30| The show must go on

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Gähnend streckte ich mich, während ich stumm dem Gespräch von Nathan und Jason lauschte. Wir befanden uns noch am gleichen Tag an der Glasfront eines Fast Food Imbisses, welchen Jason hoch angepriesen hatte, und füllten unseren Körper mit Fett und Kohlenhydraten. Während ich müde vor mir hinvegetierte, diskutierten die beiden Jungs, wie am besten gehandelt werden sollte.

Dass ich mich nicht weiter mit Milows Tod beschäftigen wollte, interessierte keinen von beiden. Genauso wenig interessierte ich mich daher für die aufgebrachten Ideen. Viel mehr war mein Blick auf das Geschehen außerhalb des Gebäudes direkt auf der Straße fokussiert.

Die Dämmerung war bereits eingetreten, wodurch das Getümmel der Menschen, die in Gedanken versunken an uns vorbeiliefen, sanft von der Reflektion unserer selbst überdeckt wurde. In Gedanken verloren irrte mein Fokus vom äußeren Geschehen zu Nathans Spiegelung im Fenster und wieder zurück. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich beobachtete wie Nathan für ihn typisch die Hand hob und mit seinem Daumen über seine Unterlippe fuhr. Ich staunte ein weiteres Mal über seine Perfektion. Seine langen Wimpern lagen nahezu sanft auf seinen Wangenknochen, während die vollen Augenbrauen zusammengezogen Falten warfen, weil er so konzentriert an Jasons Worten hing.

Schmunzelnd verfolgte ich seine Hand mit meinen Augen, doch flog mein Blick direkt zu einer Person, die in der hintersten Ecke des Raumes saß und mit einer Bewegung in der Reflektion meine Aufmerksamkeit erhaschen konnte. Hätte sie sich die Sonnenbrille nicht zurechtgerückt, wäre ich wohl nicht an ihr hängen geblieben.

Umso mehr war ich nun dabei, diese Person zu mustern. War es anfangs auch nur, weil ich die Sonnenbrille in einem Raum mit Dämmerung jenseits der Wände fragwürdig fand, so war es mit dem zweiten Blick viel mehr die komplett schwarze Bekleidung. Augenblicklich musste ich an die Person zurückdenken, welche sich auch im Gang befand, als Nathan und ich das erste Mal als Paar zur Schule gingen. Argwöhnisch bemerkte ich, dass die Person definitiv in unsere Richtung blickte. Bewusst strich ich schnell die misstrauischen Falten auf meiner Stirn glatt und hielt mein Lächeln aufrecht, damit die Person mein Beobachten nicht bemerkte.

Ein innerer Kampfgeist machte sich in mir breit, weil ich dem Ziel so nah war und gewissermaßen doch so fern. Argwöhnisch verfolgte ich seine Hand, welche sich zu seiner Gesäßtasche bewegte und ein Handy hervorholte. Ein Toyota Autoschlüssel befand sich auf seinem Tisch.

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, auf dem Straßenrand nur ein einziges Toyota zu finden? Genau genommen recht hoch. Warum also nicht einen Blick riskieren?

Weil ich in dem spärlichen Licht kaum etwas draußen erkennen konnte, widmete ich mich doch noch an die beiden Jungs.

„Verhaltet euch so, als würde ich irgendwas Cooles zu erzählen haben", unterbrach ich Jasons Monolog von einer weiteren Wette. Verwirrt nickten beide zustimmend und betrachteten mich gespannt. Angestrengt vermied ich den Blick zu der Person. „In der Ecke hinter euch sitzt ein Typ ganz in schwarz. Ich glaube, dass er auch in der Schule war und uns beobachtet hat letztens. Auch jetzt guckt er die ganze Zeit hier her. Ich habe ihn durch das Fenster beobachtet und auf dem Tisch liegt ein Toyotaschlüssel. Jason, kannst du so tun, als würdest du eine rauchen wollen und draußen nach dem Auto suchen und Kennzeichnen aufschreiben? Wir können deinen Vater dann nach Hilfe fragen, Nathan."

Als hätte ich etwas Lustiges erzählt, grinste ich verschmitzt, welches einen Hauch an Ehrlichkeit besaß, sobald Jason übertreiben anfing zu lachen und Nathan ihm einen Schlag an den Hinterkopf verpasste. „Bleib realistisch."

Kaum war ihnen die tatsächliche Anspannung anzumerken. Allein, weil ich direkt vor den beiden saß und darum einen Blick auf ihre Mimik hatte, konnte ich die verspannten Gesichtszüge und das Schielen zur Fensterscheibe erkennen.

Meinen Worten folgend streckte sich Jason recht überzeugend und wühlte in seiner Jackentasche rum. Erstaunlicherweise hatte er tatsächlich Zigaretten, wofür er einen verwunderten Blick von uns erhaschte. Als Antwort zuckte er nur mit den Schultern und nuschelte zu uns: „Gelegenheitsraucher. Claire, streich dir deine Haare hinter die Ohren, wenn er nicht mehr zu mir guckt." Nach einem Räuspern sprach er dann etwas lauter als die Zimmerlautstärke: „Ich bin gleich wieder da. The show must go on!" Demonstrativ hielt er die Zigarettenschachtel zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch und begab sich nach draußen.

Hätte ich nicht gewusst, dass ich ihm das angeordnet hätte, dann würde ich selbst keine Sekunde über die Ehrlichkeit an dieser Szene gezweifelt haben. Nicht lange musste ich warten, bis ich in der Fensterreflektion wieder erkannte, dass wir seine ungeteilte Aufmerksamkeit erhielten. Wie selbstverständlich strich ich mir daher eine Haarsträhne nach hinten und widmete mich Nathan, welcher mich bereits anguckte. „Was ist?", fragte ich ihn verunsichert und bekam nur ein riesiges Grinsen als Antwort.

„Wetten wir um fünf Euro, dass ich dich küssen kann, ohne deine Lippen zu berühren?", fragte er mich voller Ernst. Ich konnte nicht anders als in diesem Moment aufzulachen, weil es so zufällig und stumpf war. Gegen das schnellere Pochen meines Herzes konnte ich nichts machen, einfach, weil er so unglaublich süß war.

Ich wusste, dass ich die Wette verlieren würde. Ein Kuss auf meine Wange, auf meine Stirn oder Hand wären genug Lösungen und doch nickte ich, einfach, weil jeder Kuss es wert wäre. „Wette gilt!", erwiderte ich euphorisch und beugte mich über den Tisch rüber. Grinsend kam er mir entgegen, nahm mein Gesicht in seine rechte Hand und zog mich noch weiter zu sich rüber. Ein erschrockenes Quieken entfloh mir, weil ich beinahe auf die Platte zwischen uns geplumpst wäre, doch hielt Nathan mich fest.

Lachend blickte ich ihm in die Augen und riss erst überrascht die Augen auf, als er mir mit der linken Hand fünf Euro zuschob und augenblicklich seine Lippen auf meine senkte. Wohlig aufseufzend legte ich meine Hand in seinen Nacken und spielte leicht mit seinen weichen Haaren. Ich würde nie genug von ihm kriegen können.

Recht schnell lösten wir uns voneinander trotz des Brennens in unseren Körpern. Es war nicht so unser Ding, in der Öffentlichkeit ohne Hemmungen rumzuknutschen. „Das war es mir wert", grinste Nathan spitzbübisch und steckte mir den Geldschein in mein Dekolleté. Überrascht schnappte ich nach Luft und warf lachend eine benutzte Serviette nach ihm, die er lediglich auffing. Über meine roten Wangen grinste er nur und warf mir einen Kussmund zu.

„Ihr seid ekelhafte Turteltauben. Habt noch nicht einmal gemerkt, dass der Typ sich verpisst hat. Und doch seid ihr so kawaii, oh mein Gott. Clathan for life!" Kichernd warf sich Jason auf seinen besten Freund und schlang seine Arme um ihn. Erschrocken drehte ich mich zu der Ecke um, erkannte aber schnell, dass Jason Recht behielt. Wer immer sich dort niedergelassen hatte, war bereits gegangen.

„Scheiße, hat er dich erwischt?" Jason schüttelte den Kopf. „Ich konnte den Toyota schnell ausfindig machen und stand bereits nach einigen Minuten wieder am Eingang. Wollte eigentlich wieder reingehen, aber habe gesehen, dass er sein Tablett weggebracht hat und loswollte. Deswegen bin ich draußen rauchend stehengeblieben und bin sichergegangen, dass es das richtige Auto war."

„Du bist unser Held, Jason!" 

Please, once againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt