Kapitel 1 | Die Musterschülerin tanzt aus der Reihe

7.4K 165 4
                                    

Hermine Granger holte tief Luft, bevor sie die dunklen, steilen Treppenstufen in den Kerker hinunterstieg, darauf bedacht, den Gedanken an die bevorstehende Aktion zu verdrängen. Verärgert ließ sie die letzte Stufe hinter sich, um dann rechts in einen von Fackeln erleuchteten Gang abzubiegen, der sie zu ihrem Ziel bringen sollte.

„Nachsitzen! Sie! Hermine Granger!", dachte sie erbost und sofort kamen ihr die Bilder von letzter Nacht in den Sinn.

Es war nicht ihr Absicht gewesen, um Mitternacht durch die Gänge von Hogwarts zu irren, nur um dann von dem miesesten, gemeinsten und gefürchtetsten Zaubertranklehrer erwischt zu werden, den man sich in seinen kühnsten Träumen nur vorstellen konnte. Nein, ganz sicher nicht. Nach dem Abendessen hatte sie sich in die Bücherei zurückgezogen, auch wenn ihr Harrys und Rons Proteste, sie wolle doch nicht wirklich an einem Freitagabend in der Bücherei rumhängen, noch Stunden später in den Ohren gehangen war.

Natürlich wollte sie in der Bücherei „rumhängen" – schließlich musste sie sich auf vieles vorbereiten! Von den Abschlussprüfungen im nächsten Jahr ganz zu Schweigen, hatte sie weitaus wichtigere Dinge zu recherchieren. Der Kampf gegen den dunkelsten Magier aller Zeiten schien unaufhaltsam voranzuschreiten und auch wenn Harry in den letzten Wochen, nach etwaigen Besuchen bei Dumbledore, immer stiller geworden war, so stand einem Kampf bald nichts mehr im Wege, dessen war sich die junge Hexe sicher. Und auch wenn sie nicht genau wusste, wann diese Zeit kommen sollte, ihr Bauchgefühl ließ sie immer weniger daran zweifeln.

Seufzend verlangsamte sie ihre Schritte, da die dunkle, schwere Eichentür nur noch wenige Meter entfernt war.

Dass sie in der Bücherei eingeschlafen war, das war Hermine Jean Granger wirklich noch nie passiert! Es war so...lächerlich gewesen. Über einem Buch von „Verteidigung gegen die dunklen Künste – Im Angesicht des Gesichtslosen" war sie Stunden später panisch aufgeschreckt. Niemand hatte bemerkt, dass die junge
Gryffindorschülerin noch in der Bibliothek gewesen war, in einer dunklen Ecke, in der sie sich seit Jahren mit Büchern zurückzog und sie verschlang, wie Ron sein Toast am frühen Morgen.

Und zu allem Übel war sie auf dem Weg in den Turm dann auch noch erwischt worden. Nicht von irgendeinem Lehrer, nein, von IHM. Dem fiesen, dunklen Kerkerbewohner – Severus Snape!

Kopfschüttelnd verzog sie ihr Gesicht, da ihr die Szene ihres Zusammentreffens immer noch im Kopf umherschwirrte.


„Miss Granger, was macht eine so intelligente und hochtalentierte Schülerin wie Sie, nachts, auf den Fluren von Hogwarts, obwohl dies einem doch so verblödeten und unüberlegten Handeln gleichkommt?", erschreckte sie eine süffisante, zynische Stimme fast zu Tode, als sie langsam durch die dunklen Flure schlich, mit einem Zauberstab bewaffnet, der ihr schwaches Licht schenkte.

Ruckartig drehte sie sich um, in der Hoffnung, sich über den Anwesenden Lehrer geirrt zu haben, doch sie wurde bitter enttäuscht.

Vor ihr stand Professor Snape, schwarze, elegante Schuhe, dunkle Hose – sie ließ ihren Blick weiter hinaufgleiten – und überraschenderweise trug er ein dunkles Hemd, anstelle seines sonstigen Gehrocks und dem dazugehörigen, schwarzen Umhang.

Unglaubwürdig erreichte sie, nach kurzem Aufhalten, dann doch sein Gesicht. Seine zusammengekniffenen Augen, gepaart mit einer deutlich herausstechenden Hakennase, ließen seine kontrollierte und emotionslose Maske nicht grade freundlicher erscheinen.

Schluckend holte sie tief Luft, um die Situation noch irgendwie zu retten, doch Snape kam ihr zuvor.

„Wo sind denn Potter und Weasley – haben die beiden die Flucht ergriffen oder treiben Sie sich, zweifelhafterweise, wirklich alleine um diese Zeit hier herum?", setzte er mit einem spöttischen, gar sarkastischen, Satz nach.

Wütend über seine wie immer herablassende, respektlose Art, verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und starrte ihren Professor mit einem zornigen Blick an.

„Ich schleiche tatsächlich alleine hier herum, während dieser verbotenen, unvernünftigen Uhrzeit, Professor Snape.", erwiderte sie ironisch, wobei seine Augenbrauen sofort gen Himmel wanderten.

„Und was veranlasst Sie dazu, um diese „verbotene" Zeit hier herumzustreunen?", sagte er kalt.
Verdammt! Es war zu peinlich, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Schlafwandeln.", antwortete sie knapp und wandte ihren Blick ab.

Snape schnaubte.

„Natürlich. Schlafen Sie immer in ihrer Alltagskleidung, Miss Granger?", fragte er naserümpfend, was sie sofort dazu veranlasste, ihrem Lehrer für Zaubertränke erneut in die Augen zu blicken. Jede einzelne Faser seines emotionslosen Gesichts stellte ihre Aussage in Frage.

„Hm.", machte sie nur. Das Verhör ging ihr gewaltig auf die Nerven, nicht nur, dass es sie über Maßen ärgerte in der Bibliothek doch tatsächlich eingeschlafen zu sein, nein, jetzt musste sie mitten in der Nacht auch noch einem Verhör nachkommen, wobei jeder andere Lehrer sie verwarnt und dann entlassen hätte. Aber nein, zu allem Übel musste sie Professor Snape begegnen.

„Tja, Miss Granger, haben Sie noch einen weiteren Punkt um ihre Verteidigung zu stärken? Im Moment sehe ich da eher schwarz.", meinte er leichthin, wobei ihr seine zynische Art immer mehr gegen den Strich ging. Nicht nur, dass sie ihn im Unterricht schon ertragen musste, nein, jetzt demütigte er sie auch noch in ihrer Freizeit!

„Sonst noch etwas, Professor Snape?", fauchte Hermine, bereute es jedoch sofort, da sein Blick ihren Körper fast dazu veranlasste, panisch die Flucht zu ergreifen. Mit kalten und abschätzigen, schwarzen Augen blickte er in ihr Gesicht.

„Zügeln Sie ihren Ton, Miss Granger.", erwiderte er bedrohlich. „Oder möchte die notorische Besserwisserin doch tatsächlich einmal in ihrer ach-so-erfolgreichen Schullaufbahn nachsitzen?"

Ruckartig hob sie den Kopf und verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen.

„Anscheinend.", sagte Hermine knapp, wobei sie sich im Inneren eine Ohrfeige verpasste. Sie war um diese Zeit aber auch wirklich zu nichts mehr zu gebrauchen! Zumal ihr die Anwesenheit ihres gehässigen und boshaften Professors, der sie seit Jahren ignorierte und Harry das Leben schwer machte, nervös werden ließ.

„Haben Sie eben eine Portion Dummheit verspeist, Miss Granger?", fragte Snape missbilligend, da ihm das Verhalten seiner Musterschülerin anscheinend missfiel.
Sie schwieg.

„Tja, dann kann ich mich doch tatsächlich daran erfreuen Gryffindor 50 Punkte abzuziehen UND sie Morgen um fünf Uhr in meinem Büro anzutreffen, Miss Granger!", rief Snape erfreut und schon fast dachte sie, er würde vor Begeisterung mit den Händen klatschen. „Sie dürfen jetzt in ihren Schlafsaal zurückkehren, Miss Granger!"

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und eilte mit schnellen Schritten in ihren Turm, den letzten Satz ihres Lehrers in ihrem Kopf widerhallend.

Zögernd hob Hermine ihre Hand, nur um sie dann sofort wieder zu senken. Was wäre, wenn sie einfach nicht auftauchen würde? Würde er dieses Verhalten tatsächlich bei Professor McGonagall ansprechen? Wie würde sie reagieren?

Seufzend verwarf sie den Gedanken – sie wollte schließlich nicht noch mehr Ärger.
Also nahm sie all ihren Mut zusammen, hob ihre Hand und klopfte bestimmt an der dunklen Eichentür von Professor Snapes Büro.

Truth | Fan-FictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt