U wie Unstimmigkeiten

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Gebannt blickte ich auf die Zeiger der Uhr, die in diesem Klassenzimmer besonders langsam ihre Runden drehten und drückte meine beiden Daumen fest zusammen.

Ramón hatte heute seine letzten mündlichen Prüfungen. Endlich wäre dieser ganze Lernstress vorbei und er hätte endlich mal wieder mehr Zeit für mich und auch für sich selbst. Das andauernde Lernen hatte ihn und natürlich auch seine Nerven ganz schön beansprucht.

Hoffentlich würde er seinen Abschluss mit Erfolg machen und das erreichen, was er sich vorgenommen hatte. Er hatte so hart dafür gelernt und sich wirklich sehr angestrengt. Sein Abschlusszeugnis musste einfach gut werden. Er wollte schließlich einmal an die Uni gehen.

An welche genau, konnte er mir immer noch nicht sagen und langsam hatte ich gelernt mich mit dieser Aussage abzufinden. Auch wenn sich jeden Tag mehr und mehr die Vermutung in mir breit machte, dass er sich insgeheim schon lange entschieden hatte und sich einfach noch nicht traute, mir diese Nachrichten zu überbringen. Ich glaubte langsam nicht mehr daran, dass er hier bei mir bleiben würde, zu sehr strahlten seine Augen bei der bloßen Erwähnung von Frankreich.

Noch fünf Minuten. Dann wäre Ramón mit seiner Prüfung fertig und ich mit dieser Stunde. Ach wie gerne würde ich auch schon achtzehn sein und gerade meinen Abschluss machen. Dann könnte ich endlich die Schule beenden und wäre das ganze Chaos hier los. Tja zu dumm, dass ich noch zwei Jahre Qualen vor mir hatte.

-

Es war Nachmittag, als es an meiner Tür klingelte. Von meiner Familie war - wie jeden Freitag - niemand zu hause und deshalb war ich die jenige, die von ihrem Bett aufsprang und hektisch die Treppen nach unten zur Haustür rannte.

Ich sperrte diese augenblicklich auf und grinste glücklich, als ich zugleich sehr vertraute Lippen auf meinen spürte.

"Bonjour, chérie.", Ramón lehnte sich wieder ein wenig zurück und unterbrach den Kuss langsam.

"Wie war deine Prüfung?", fragte ich ihn sogleich und trat zur Seite, damit er ins Haus kommen konnte.

"Perfekt.", er grinste und zog sich seine Jacke aus. Als er meinen misstrauischen Blick bemerkte, fing er an zu lachen.

Hatte er das gerade ernst gemeint? Bei mir verliefen Prüfungen nie 'perfekt.' Und wenn dieser seltene Fall eintrat, kam am Ende immer heraus, dass ich irgendetwas falsch verstanden hatte und mir diese Aufgabe deswegen so leicht gefallen war. Tja und meine Note war dementsprechend dann nicht so 'perfekt'.

"Oui, Französisch mündlich ist ein wahrer Segen.", er grinste unschuldig und fuhr sich einmal durch die Haare.

Klar, dass ihm diese Prüfung leicht gefallen war. Ramón sprach schließlich fließend Französisch und hatte sich aufgrund seiner Herkunft wohl nie schwer getan die Vokabeln zu lernen und die Grammatik zu verstehen. Für ihn war Französisch natürlich ein Kinderspiel.

"Chérie, ich bin gekommen um dir etwas mitzuteilen.", sagte er ruhig, nachdem ich ihn in unsere Küche geführt und ihm angeboten hatte, einen Tee zu kochen.

Meine Atmung setzte kurz aus, als ich diesen Satz hörte. Hatte er jetzt etwa eine Entscheidung gefällt?

"Ich habe mich entschlossen, was ich nach der Schule machen will.", sagte er langsam und schluckte.

Oh Gott schlucken bedeutete schonmal ganz sicher nichts gutes.

"Du weißt, dass ich dich über alles liebe, mon amour?", er seufzte und machte eine kurze Pause.

Wenn du mich so sehr liebst, dann bleib hier bei mir! Gott ich sollte aufhören so egoistisch zu sein. Er sollte doch nicht wegen mir seine berufliche Zukunft einschränken oder vernachlässigen.

"Aber als ich heute diese mündliche Prüfung hatte und endlich einmal wieder fließend in meiner Muttersprache reden konnte, bemerkte ich plötzlich wie sehr ich doch Frankreich vermisste."

Ich schloss kurz die Augen und stützte mich mit meinen Händen auf der Tischplatte auf. Ich sollte mich unbedingt festhalten, bevor ich auf der Stelle umkippte.

"Und deshalb will ich in Frankreich studieren.", er atmete erleichtert aus, als dieser Satz seinen Mund verlassen hatte. So als würde dieser ihn schon längere Zeit belasten.

Dieser Satz schlug in meinem Herzen ein wie eine Bombe. Meine Puls ging hoch, meine Atmung wurde unkontrolliert. Er würde tatsächlich so weit weg gehen. Wir würden uns fast nicht mehr sehen.

Ich merkte wie Tränen in meinen Augen aufstiegen und egal wie sehr ich versuchte diese zu unterdrücken, desto stärker kamen sie plötzlich an die Oberfläche.

Und als Ramón seine starken Arme um mich legte, mich auf seinen Schoß zog und mir beruhigende Worte zuflüsterte, während ich mir die Augen ausheulte, wusste ich, dass ich ihn so unendlich sehr liebte, dass die Angst ihn zu verlieren mich innerlich auffraß.

V wie...?

26 Letters Of LoveWhere stories live. Discover now