Kapitel 9

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Kapitel 9:

Jeta

- Ich war bei Onkel Azem, dessen Haus gleich daneben war und spielte mit Shqipe, die zu diesem Zeitpunkt noch 1 Jahr alt war, als wir plötzlich Schüsse nebenan hörten. Onkel Azem mahnteTante Merita verzweifelt, wir sollen uns nicht vom Fleck rühren , doch ich eilte nach draußen und lief zu ihnen. Da lagen sie beide. Überall war Blut. "Mami, Babi" schrie ich und schüttelte die beiden abwechselnd - "Mami, Babi"...

Schweissgebadet wachte ich auf. Ich hatte sogar im Schlaf geschrien. 18 Jahre waren vergangen und mich plagten noch immer hin und wieder dieselben Albträume.

Ich sah mich nach Albert um und sah, dass er friedlich schlief also zog ich mir ein Sportgewand an, setzte die Kopfhörer auf und rannte los. Ich rannte so schnell ich konnte, während mir 1000 Gedanken durch den Kopf gingen, die ich zu verdrängen versuchte. "Mami, Babi" hallte es immer wieder in meinem Kopf, während sich der Traum in einer Endlosschleife wiederholte. Ich machte die Musik lauter und beschleunigte das Tempo, um alles zu verdrängen.

Als ich zu müde war weiter zu laufen und verzweifelt nach Luft schnappte, machte ich eine Verschnauffpause. Ich entdeckte eine Sitzbank in der Nähe und setzte mich hin, hob die Beine hoch und lehnte mich an meine Knie. 

Es war 7 uhr morgens, kalt und menschenleer, vor mir der idylische See. Es war einer dieser Momente, wo man sein ganzes Leben Revue passieren lässt. Ich dachte über die letzten Jahre nach. Ich war Krankenschwester geworden, hatte meine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ich hatte einen psychisch labilen man mit Suchtproblemen  geheiratet, der aber das gleiche Schicksal mit mir teilte und zu 40 % der Zeit auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Ich war weit weg von Onkel Azem und Tante Merita gezogen, den Menschen, die mich großgezogen hatten. Ich vermisste es, sie um mich herum zu haben. Shqipe und Arlind waren derzeit in einem schwierigen Alter, aber dennoch versuchten sie sich immer bei mir zu melden. Just in dem Moment schickte mir Shqipe ein Video mit einem lustigen Filter aus Snapchat, wo sie sprach und ihre Stimme sich heliumartig anhörte. Verrücktes Mädchen. Ich hatte noch nie verstanden, wie alle sich sehr auf Social Medias hatten fixieren können. Ich war froh wenn ich mein Handy ab und zu zum Telefonieren und SMS schreiben verwendete - und dass, obwohl Shqipe mich regelmäßig zu überreden versuchte.

Mir fiel gerade auf, dass ich schon lange nicht mehr mit Tante Merita telefoniert hatte.  Sie würde bestimmt mit mir schimpfen. Deshalb schnappte ich mir mein Handy und rief an. Es klingelte zwei Mal, ehe Tante Merita ranging.

"Bije, si te kemi? Cka ka te re? A je mir? Wie läuft die Arbeit? Alberti a asht mir?" sagte sie, während Flora im Hintergrund Babygeräusche von sich gab. Mensch, war die kleine süß. Es wurde höchste Zeit sie mal wieder zu besuchen. "Mir jemi te gjith, cdo gje esht mir. Ju a jeni mir? Flora a rritet a jo?". "Flora macht nur Probleme zur Zeit, ich muss alles vom Tisch nehmen, scheinbar findet sie Gefallen daran alles umzuwerfen und hinterher zu kichern. Sie schlägt alles kurz und klein, was sie findet. Onkel Azem ist bei der Arbeit. Ihm gehts gut, die Kinder sind draußen und leben ihre Pubertät gerade in vollsten Zügen aus. Ich weiss nicht wer gesagt hat, dass es einfacher wird, wenn sie erwachsen werden, aber die Person hat definitiv gelogen. Mit dir wahr es immer so leicht, du warst eine tolle Pubertierende, Jeta" sprach sie wie ein Wasserfall. Noch ehe ich zu Wort kommen konnte, ergänzte sie: "Schatz, bist du wieder bei der Veranstaltung im März dabei? Und sag jetzt nicht nein, du warst schon letztes Jahr nicht. Wir rechnen alle mit dir. Sogar Arlind vermisst dich, obwohl er das nicht zugeben will".

"Nese jam e lir ne at dit, do te vij" sagte ich und legte nach einer ausgiebigen Verabschiedung auf. Nachdem ich aufgelegt hatte, hörte ich ein kräftiges "HEY" und Schritte auf mich zukommen. Erschrocken erstarrte ich, während mein Atem schneller ging und dachte an die vielen Vorfälle und Schlagzeilen, die ich aus Aktenzeichen XY und aus den Nachrichten kannte und stellte mir schon meine eigenen Schlagzeilen...

"Junge Frau beim Joggen brutal vergewaltigt - am helligten Tag"
"Junge Frau tot im See aufgefunden"

Një jet me tyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt