Kapitel 13

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Draußen angekommen, steige ich gleich in den nächsten Bus. Mir ist vollkommen egal, wo dieser hinfährt, Hauptsache weg vom Dorm der Jungs.
Manchmal brauche ich meine Zeit für mich, ich habe immer vermutet, dass es daran liegt, dass ich Einzelkind bin.

Ich denke an all die schönen Erinnerungen meiner Kindheit zurück, während der Bus sich ruckelnd wieder in Gang setzt und mein Kopf sich automatisch an die kühle Scheibe lehnt. Der stechende Schmerz, der dabei durch meine Schläfe schießt, ist mir egal. Ich bemerke ihn nicht mal, er lähmt viel eher mein Gehör und meine Augen. Ich nehme meine Umgebung gar nicht mehr wahr. Auf einmal wird mir wieder bewusst, warum ich hier bin. Weil Dad mich aus der Scheidung heraushalten will. Aber bei wem werde ich dann wohnen? Wird das jetzt in Deutschland ohne mich verhandelt?

In diesem Moment möchte ich sofort aus dem Bus springen und in den nächsten Flieger nach Hause steigen. Ich will nicht, dass das unantastbare Glück der wenigen Jahre meines Lebens zerstört wird. Eine einzelne Träne rennt über meine Wange.

Irgendwann, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, nehme ich eine tiefe Stimme neben mir wahr. Es ist die des Busfahrers.

"Ist alles in Ordnung? Junge Dame, der Bus endet hier."

Ich schrecke auf und blicke in das besorgte Gesicht des Mannes. Er ist ungefähr Mitte vierzig, seine Augen sehen müde und träge aus, seine Lippen sehen aus wie das Ergebnis einer Leinwand nach 10 Minuten alleine mit einem 6 jährigen Kind, dem du Liliane und Pinke Acrylfarbe in die Hand gedrückt hast. Es ist eine perfekte Mischung aus dunklem pink und sehr dunklem lila.

"Sicher, mir geht es gut. Habe nur geträumt. Eh... Tschüss", verabschiede ich mich dann überstürzt und verlasse den Bus. Ich sehe mich um, habe keine Ahnung, wo ich bin. Ich vernehme das Zischen der Bustüren und wie der Bus sich wieder in Bewegung setzt. Anhand der grellen Werbeschilder versuche ich, herauszufinden, wo genau ich hier bin, allerdings ist mein Hangul sehr eingerostet.

세븐일레븐
송파구

Songpa. Ich bin also neben Gangnam. Ich muss ziemlich weit gefahren sein, die Wohnung der Jungs lag im Norden von Gangnam.

Seufzend betrete ich einen kleinen Pub in der Nähe. Davor steht ein knutschendes Paar, das Mädchen ist ungefähr 16, trägt einen Igelschnitt und hat Pinke Haare, eine goldene Creole baumelt an ihrem Ohr herunter. Sie trägt schwarze Boots, eine Fischnetzstrumpfhose und schwarze Hot Pants, dazu ein bauchfreies, ebenfalls schwarzes Top. Ihr Make Up ist eher dunkel, hingegen der Typ neben ihr... ist ein Sunnyboy, wenn ich ihn mal so bezeichnen darf. Er trägt einen teuren Anzug, dazu eine grässliche, rote Krawatte. Seine Augen sind zusammengekniffen, seine Haare akkurat nach hinten gestyled.
Außerdem stehen noch ein paar mehr Leute vor dem kleinen Häuschen. Sie halten alle ein Glas in der Hand, in dem entweder eine rötliche, gelbliche, oder transparente Flüssigkeit enthalten ist.

Ich schlucke. Eigentlich habe ich so gar keine Lust, da jetzt reinzugehen. Doch ich überwinde mich. Meine Beine sind schwer wie Blei, vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich muss dabei so dämlich aussehen. Als wäre ich gerade aus einem Raumschiff gefallen.

Dabei ärgere ich mich über meine Zimperlichkeit. Warum bin ich so ausgerastet? Ich hätte einfach nach unten zu den anderen gehen können. Sie sind sicherlich alle genervt von mir und fühlen sich wie die Babysitter eines kleinen Kindes.

Ich betrete den kleinen Pub, sofort steigt mit der Geruch von Bier, Schnaps und Erbrochenem in die Nase. Mit einem Hauch von Verwesung. Ich gehe auf die Theke zu, an der ein gut aussehender Junge steht und sich mit einem Gast unterhält. Man sieht ihm an, dass ihm die deutliche Fahne des Gasts auf die Nerven geht.

"Hallo?", frage ich unsicher. Sofort sieht der Junge auf, scheinbar dankbar für jede Ablenkung.

"Guten Abend", begrüßt er mich, seine kastanienbraunen Augen funkeln mich freudig an. Automatisch muss ich lächeln.

"Ich habe ein kleines Problem", gestehe ich mit einem schüchternen Lächeln. "Ich komme aus Gangnam und bin im Bus hier her eingeschlafen. Ich wollte eigentlich nur ein paar Stationen weiter. In Gangnam. Können Sie mir sagen, ob...-"

"Vielleicht noch ein Bus fährt?" Der Junge lächelt mich an. "Warten Sie hier einfach...", er wirft einen Blick auf die schwarze Uhr an der Wand, "zehn Minuten. Dann kommt der nächste Bus und der fährt direkt nach Gangnam."

"Was hat'n so 'n kleines Mädschen wie du eigentlich Geld für 'ne Wohnung in Gangnam?", nuschelt der betrunkene Mann auf dem roten Barhocker vor dem Jungen. Er trägt einen schäbigen, grauen Bart. Auf seinem Gesicht bildet sich ein ebenso schäbiges Grinsen. "Bist 'ne Dame für eine Nacht, hm?" Er zwinkert. "Wie viel?"

"Ich verbiete mir so einen Kommentar", knurre ich. "Wenigstens betrinke ich mich nicht mitten in der Woche in irgendeinem Pub."

"Du bisch ganz schön frech für deine Grösche", lallt der Mann und richtet sich auf. Er taumelt ein wenig und hält dann die Fäuste in die Höhe. "Fight me!"

"Bitte, Joon, lass das." Der Junge verdreht die Augen und zieht Joon dann wieder auf seinen Hocker.

"Huch, das ging ja so schneeell" beschwert sich dieser und sieht seinen gegenüber mit großen Augen an.

Ich beschließe, dass mir das hier eindeutig zu blöd wird. Ich bedanke mich bei dem Jungen für die Auskunft und verlasse dann den müffelnden Pub. Ich stelle mich an die Bushaltestelle und ignoriere den herablassenden Blick der pinkhaarigen Lady und ihres Snob Freundes.

Plötzlich läuft der Junge, der hinter der Bar stand, hinaus zu mir und drückt mir einen kleinen Zettel in die Hand.

"So eine Schönheit kann ich doch nicht einfach so gehen lassen", erklärt er mit einem fetten Grinsen auf den Lippen, bevor er dann auf dem Absatz kehrt macht und wieder reinläuft.

Ich falte den Zettel auseinander. Darauf steht seine Nummer.

Dance With Me » Stray KidsWhere stories live. Discover now