Kapitel 33

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Am nächsten Morgen werde ich durch das Klingeln meines Handys wach. Murrend hebe ich den Kopf, fahre mir durch das Vogelnest auf meinem Kopf und gehe, ohne auf den Namen zu schauen, ran.

"Jaaah?", frage ich mit schiefer Stimme in den Lautsprecher.

"Guten... Morgen, denke ich, in Deutschland, Haruka."

Sofort sitze ich kerzengerade im Bett. Ich muss mich an die Höflichkeitsfloskeln im Koreanischen erinnern- "Onkel Jinyoung..."

Sag mal, Haruka, wo sind deine Gehirnzellen hin?

Ich höre ein leises Lachen am anderen Ende. "Guten Morgen, Nichte. Wie geht es dir?"

Also dieser Anruf verwirrt mich mehr als alles andere in den letzten Tagen. 

"Naja, muss... Ich bin doch voll in die Verhandlungen reingerutscht und meine Mutter erzählt jetzt Lügen."

Kurz herrscht Stille, ich kann nur raushören, dass Jinyoung in einem Auto sitzt, jedenfalls dem Hupen und den Geräuschen, die stark denen eines Motors ähneln nach.

"Onkel Jinyoung, wenn du gerade Wichtigeres zutun hast, solltest du nicht mit mir telefonieren, ich komme schon klar und möchte deine Zeit nun wirklich nicht verschwenden", sage ich leise.

"Süße, du würdest meine Zeit niemals verschwenden, hörst du? Ich kenne die Lage, in der du steckst."

"Weil Grandma und Grandpa sich auch haben scheiden lassen?"

"Ganz genau."

Einen Moment überlege ich, ob es ratsam wäre, Jinyoung von den Familienproblemen zu erzählen, von all dem Mist, der hier gerade vor sich geht. Doch ich entscheide mich dagegen. Er hat sicherlich wichtige Dinge zutun, sitzt deswegen bestimmt auch im Auto. Weil er zu irgend einem wichtigen Meeting muss.

"Hat es einen Grund, dass du anrufst, Onkel Jinyoung...?", frage ich dann leise und knabbere nervös auf meiner Lippe herum.

"Wollte nur nach deinem Wohlergehen sehen", murmelt er. "Die Jungs vermissen dich sehr, sogar Hyunjin redet weniger als sonst."

"Wenn ich dafür verantwortlich bin, dass sie weniger leisten, tut es-"

"Stopp, Haruka." 

Sofort schweige ich. Normalerweise unterbricht Jinyoung mich nicht...

"Du bist das Beste, was ihnen passieren konnte", sagt er gelassen. "Du bist ein tolles Mädchen, Haruka. Und eine Bereicherung für Jeden, der die Ehre hat, dich kennenlernen zu dürfen."

Ich schweige einen Moment völlig überrascht. Diese Worte sind ungewöhnlich für meinen sonst so verschlossenen Onkel. Doch was ist momentan schon normal. Seine Worte erwärmen mein Herz ungemein.

"Danke...", sage ich mit leiser, kratziger Stimme. Auf der anderen Seite der Leitung tuscheln zwei Männer leise.

"Haruka, ich muss aufhören. Aber ich melde mich nachher noch einmal. Wir sehen uns."

"Bis später."

Ich lege auf und starre auf meine lila-weiße Bettdecke mit Blumenmuster. Mein Onkel hat mit einem einzigen Satz wohl gerade meinen Tag gerettet. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, das Piepen meines Handys reißt mich wieder aus den Gedanken. Es ist eine Nachricht von Felix, der mir einen Guten Morgen wünscht. Lächelnd öffne ich diese und antworte mit einem Selca. 

Und nun? Wo ist eigentlich mein Vater?

Auf wackligen Beinen schäle ich mich aus dem Bett und strubble durch meine sowieso schon ruinierten Haare. Ein Blick in den Spiegel genügt um festzustellen, dass ich schlimmer aussehe als jede Vogelscheuche nach 15 Jahren Wind und Wetter.

Als ich in der Küche ankomme, finde ich nur eine knappe Nachricht von meinem Vater vor, dass er sich mit seinem Anwalt berät und anschließend zum Gericht fährt. 

Obwohl ich anfangs keine Lust hatte, stundenlang in diesem stickige Raum zu sitzen, möchte ich mir doch heute die Verhandlungen nicht entgehen lassen, notfalls werde ich alles geben, um meinen Vater zu verteidigen. 

Also mache ich mich so schnell wie noch nie fertig, meine Haare föhne ich, während ich leichtes Make Up auflege und fühle mich dabei wie der Meister im Multitasking.

Nach einem Apfel verlasse ich das Haus und schlendere unsere Straße entlang. Die Sonne scheint mir auf den Kopf, doch wärmt sie kein bisschen. Außerdem herrscht ein kalter Wind, der mich den Reißverschluss meiner Jacke höher ziehen lässt. Wenige Minuten später komme ich an der Bushaltestelle an und warte noch ein wenig auf den stündlich fahrenden Bus.

Dance With Me » Stray KidsWhere stories live. Discover now