3. Türchen

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„Woher?", schaffte sie es zu fragen, während sie ihr Gesicht in seinem Nacken vergrub und den wohlbekannten Geruch willkommen hieß, der sogar den Weihnachtsduft in den Schatten stellte.

„Deine Mutter hat sich bei meiner verquatscht", erklärte er sanft, wobei er seine Arme ebenfalls um sie schloss. Es gab keinen Menschen, bei dem sie sich wohler fühlte, dessen Umarmung so heimisch war oder der sie in einer so perfekten Mischung aus Ruhe und Bestimmtheit hielt. Doch es machte ihr auch bewusst, warum sie ihre Mutter eigentlich gebeten hatte, Stillschweigen über ihren Besuch zu bewahren. Ein Teil von ihr mochte geglaubt haben, dass ihre Gefühle für Nicholas längst vergessen waren, doch hier und jetzt erschütterte sie die Wahrheit so sehr, dass ihre Finger auf seinen Schultern zitterten. Nichts hatte sich verändert. Es war dasselbe merkwürdige und zugleich aufregende Gefühl der fliegenden Schmetterlinge in ihrem Bauch, dasselbe Kribbeln in ihren Gliedern. Sie liebte ihn nach wie vor. Und mit den alten Gefühlen kam die alte Bitterkeit, dass sie ihn würde lieben können, wie sie es wollte. Also löste sie die Umarmung, wenn auch ein wenig widerwillig. Seine Haare waren deutlich kürzer geworden, die gewohnte Blässe zierte sein Gesicht, aber er wirkte auch etwas schmaler als früher. Der fehlende Sport zeigte seine Wirkung. Vielleicht sollte sie aufhören ihn anzustarren, bevor es unangenehm wurde.

„Komm rein", murmelte sie daher und ließ ihn in die Wohnung. Als hätten sie ihre Routine nie verlassen, stellte er die Schuhe ohne zu fragen neben die kleine Kommode im Flur und folgte ihr dann ins Wohnzimmer, nachdem sie ihm ebenfalls eine Tasse Punsch aus der Küche geholt hatte. Ihre Mutter hatte sich zu mindestens bemüht schuldbewusst auszusehen, doch das Zucken ihrer Lippen hatte sie enttarnt. Sie mochte Nicholas, irgendwann war er zu einem Teil der Familie geworden.

Im Wohnzimmer verzichtete Julia für ihn sogar auf ihren Lieblingssessel, um sich mit ihm auf das Sofa zu setzen. Für ein paar Minuten fiel kein einziges Wort, sie genossen einfach die Anwesenheit des jeweils anderen und den süßen Geschmack des Punsches auf der Zunge, bis Julia ihre Tasse abstellte und die Fragen, die sich ihr unwillkürlich stellten, nicht mehr zurückhalten konnte.

„Was machst du hier in der Stadt?", fragte sie.

„Ich habe den ersten Teil meines Studiums hinter mich gebracht und genieße im Moment meine stressfreie Zeit", antwortete er lächelnd, bevor er ernst wurde, „Ich bin nur zufällig wieder hierhergekommen, eigentlich war ich auf dem Weg zu dir, bis meine Mutter mir den Tipp gegeben hat, dass ich dich hier finden würde."

„Zu mir?", sie konnte kaum glauben, was sie da hörte. Sie hatte Nicholas seit Jahren nicht mehr persönlich getroffen und es erschien denkbar unwahrscheinlich, dass er plötzlich beschlossen hatte, dies zu ändern.

„Ja", erwiderte er gelassen, „Ich werde mein Studium bald im Ausland fortführen und ich weiß nicht, wie oft oder wann ich zurück nach Deutschland kommen werde. Als ich meine Sachen gepackt habe, sind mir die Bilder von früher in die Hände gefallen und irgendwie fühlte es sich falsch an, einfach so zu gehen, ohne sich noch einmal mit dir zu treffen. Deshalb habe ich mir bis ins nächste Jahr freigenommen, in der Hoffnung, dass du vielleicht etwas Zeit für mich erübrigen könntest."

„Natürlich", antwortete sie schnell, obwohl sie wusste, dass es vielleicht nicht die beste Entscheidung war und sie ihn hätte abweisen sollen. Aber es war Nicholas. Sie konnte ihm nur selten etwas abschlagen.

„Großartig", er schien wirklich erleichtert zu sein und ließ sich tiefer in das Sofa sinken, während er seine rechte Hand in seine Hosentasche gleiten ließ und einen Zettel hervorzog.

„Und das ist?"

„Eine Liste", antwortete er stolz und Julia lachte leise über sich selbst. Wie hatte sie für eine Sekunde glauben können, dass Nicholas sich nicht bereits einen Plan überlegt hatte. Er war ein verdammter Perfektionist im Hinblick auf Ordnung und Planung. Oftmals plante er ihre Vorhaben minutengenau und sie hielt sich nie zurück, ihn damit aufzuziehen.

„An Weihnachten bin ich leider schon ausgebucht", erwiderte sie mit herausgestreckter Zunge, „Solltest du für diesen Tag irgendetwas vorgesehen haben, muss ich dich leider enttäuschen, ich habe meiner Mutter versprochen, dass wir zu zweit feiern und ich koche."

Nicholas winkte nur ob und rollte mit den Augen. „Als ob ich so schlimm wäre."

„Oh doch, und das weißt du selber", erwiderte sie, griff aber dennoch nach der Liste und entzog sie seinen Fingern.

Nur leider ergab die Liste gar keinen Sinn. Neben einzelnen Tagen standen unterschiedliche Zahlen, nicht aber, was diese bedeuteten.

„Als ob ich dir verraten würde, was ich für uns geplant habe", amüsierte er sich über ihren verwirrten Gesichtsausdruck, „Jede Zahl steht für eine Aktivität, die auf meiner ganz persönlichen Liste steht, die ich dir natürlich nicht aushändigen werde. Sieh' es als Überraschung."

„Du weißt, dass ich Überraschungen hasse", brummte sie missmutig, zu gerne hätte sie gewusst, was er sich ausgedacht hatte.

„Ich verspreche dir, diese wirst du lieben."


Noch einmal fliegenWhere stories live. Discover now