15. Türchen

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Nach dem Ball folgten einige Tage der Funkenstille. Zuerst hatte Julia es darauf geschoben, dass sie sich beide von dem Ball erholen mussten und ohnehin war nicht jeder Tag auf Nicholas Liste mit einer Zahl versehen. Also verbrachte sie ihre Zeit damit mit ihrer Mutter einen Tannenbaum zu kaufen und diesen ins Wohnzimmer zu hieven. Schnell war der Stamm gekürzt und der Baum aufgestellt. Sorgsam hatte sie ihn mit zwei Lichterketten versehen und mit Kugeln aus weiß und rot geschmückt, bis er das Wohnzimmer mit seiner Pracht erleuchtete, doch ihre weihnachtliche Stimmung blieb gedrückt, weil Nicholas sich immer noch nicht gemeldet hatte. Langsam begann sie sich Sorgen zu machen und fragte sich, ob er wegen ihrer Aktion beim Ball dachte, dass sie ihn am Ende abgewiesen hatte, doch eigentlich widersprach dem die Tatsache, dass er ihr sogar noch ein Bild von sich und Louis geschickt hatte. Sie war sich sicher, dass er dies nicht getan hätte, wäre er sauer gewesen. So schickte sie ihm zögerlich eine Nachricht und fragte ob alles in Ordnung sei. Ein weiterer Tag verging und er blieb ihr eine Antwort schuldig. Auch ihre Anrufe die darauf folgten, nahm er nicht entgegen, bis er ihr irgendwann endlich schrieb, dass er krank sei.

Sie saß gerade auf dem Sofa, als ihr Handy vibrierte und als sie diese Zeilen las, verschüttete sie versehentlich ihren Tee. Das konnte nicht sein Ernst sein. Aber so viel sie auch blinzelte, die Zeilen verschwommen nicht sondern leuchteten ihr auf dem Display immer noch entgegen. Ihr Magen verkrampfte sich, als sich der Ärger in ihr breit machte, zusammen mit einem Hauch von Wut. Sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht und das war also seine Reaktion. Enttäuschung war vielleicht das richtige Wort, um das Chaos in ihrem Kopf zu beschreiben, dass diese Zeilen auslösten. Er hatte ihr bloß einen Satz geschrieben, ohne einen Smiley, ohne eine Entschuldigung, dass er sie solange hatte warten lassen. Neben ihrer aufflammenden Wut wurden ihre Sorgen aber noch größer, denn so ein Verhalten kannte sie von Nicholas nicht. Was, wenn irgendetwas passiert war?

Auf den Straßen hatte sich in der Zwischenzeit eine hohe Schneedecke gebildet, wunderschön anzuschauen und ein absolutes Grauen für den Verkehr, deshalb waren die meisten Busse und Bahnen ausgefallen und die meisten ließen ihre Autos Sicherhalts halber stehen. Es sprach also eigentlich alles dagegen hinaus zu gehen, aber trotzdem erhob sie sich von ihrem Sofa, schritt zu der Garderobe hinüber und schlüpfte in ihre Winterstiefel und ihren Mantel. Sie wusste, dass sie nicht aufhören würde, sich Gedanken zu machen und über Nicholas Nachricht zu grübeln, wenn sie ihm nicht ein Besuch abstatten und sehen würde, wie es ihm ging. Daher lief sie entschlossen aus der Haustür hinaus, nur um von einer kalten Brise begrüßt zu werden, die ihr ein paar vereinzelte Schneeflocken entgegen pustete.

Ihr Weg war beschwerlich, weil sie sich durch den tiefen Schnee kämpfen musste und weil die Kälte eisern versuchte durch die Schichten ihrer Kleidung zu drängen, woraufhin sie ihren Mantel noch fester an ihren Körper zog und versuchte, an etwas anderes zu denken, um zu verhindern, dass ihre Zähne vor Kälte klapperten. Auf dem Weg zu Nicholas kam sie an ihrem alten Stall vorbei und beobachtete, wie auch die Pferde ihr Bestes gaben, um dem Wetter zu trotzen und sich zusammengescharrt hatten, um sich möglichst warm zu halten. Früher war ihr Pferd eines von ihnen gewesen, bis er mit ihr umgezogen war. Sie wusste nur noch zu gut, wie auch sie einmal krank gewesen war und mit viel zu hohem Fieber im Bett gelegen hatte. Sie war dafür bekannt gewesen, an solchen Tagen trotzdem im Stall aufzutauchen, weil sie bereit war alles für ihr Pferd zu tun und dafür auch ihre eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Als sie Nicholas erklärt hatte, dass sie nicht zur Schule kommen würde, war er nach dem Training zum Stall gefahren und hatte sich um ihr Pferd gekümmert, um ihr diese Aufgabe abzunehmen und war dann mit einer großen Schokolade zu ihr gefahren. Sie hätte ihn dafür küssen können.

Jetzt war es an ihr vor seinem Haus zu stehen, dessen Eingang noch völlig verschneit und nicht im Ansatz frei geräumt war. Aber dafür konnte sie sehen, dass in seinem Zimmer Licht brannte. Von Weihnachtsschmuck war jedoch nirgendswo etwas zu sehen. Merkwürdig, wo Nicholas Mutter Weihnachtsdeko genauso liebte wie ihre eigene. Mit zitternden Fingern, ob vor Kälte oder vor Aufregung konnte sie nicht sagen, drückte sie die Klingel und verspürte einen Stich in ihrem Herzen, als Louis ihr die Tür öffnete.

„Louis?", fragte sie überrascht, hatte sie doch nicht damit gerechnet, ihm jetzt gegenüber zu stehen.

„Hallo Julia", sagte er leise, beinahe schüchtern, als sei es ihm unangenehm mit ihr zu sprechen.

„Was ist mit Nicholas?", schoss es aus ihrem Mund, als sie sich fing und sich wieder vor Augen rief, weshalb sie hier war, „Wie geht es ihm?"

„Ihm geht es ziemlich schlecht", murmelte er und stellte sich ihr in den Weg, während sie versuchte einzutreten, „Und es ist besser, wenn du wieder gehst. Er ist wahrscheinlich noch ansteckend."

„Was hat er denn?", sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es sie verletzte, dass sie erst so spät von Nicholas Krankheit erfahren hatte und jetzt nicht einmal zu ihm durfte.

„Einen Infekt", entgegnete Louis ausweichend.

„Ich würde ihn wirklich gerne sehen."

„Ich weiß", sagte er rau und blickte zu Boden, „Aber er hat gesagt, dass ich dir ausrichten soll, dass es fürs Erste besser ist, wenn er sich allein erholt und dich einfach die Tage wieder abholt."

„Aha", stieß sie aus und mittlerweile war ihr die Enttäuschung offen anzusehen. Es ließ sie bitter und trotzig reagieren. „Dann richte ihm bitte aus, dass er mir das nächste Mal schreiben soll, bevor ich mir Sorgen mache und umsonst durch den Schnee zu ihm marschiere."

Da wurde Louis Ausdruck sanft und er griff vorsichtig nach ihrem Arm.

„Ich bin mir sicher, dass er es sehr schätzt, dass du vorbeigekommen bist, dass meine ich ernst. Aber es ist besser, wenn ihr euch nicht seht."

„Alles klar", murmelte sie bloß, entriss ihm ihren Arm und drehte ihm den Rücken zu. Dass er Nicholas grüßen solle, sagte sie ihm nicht.



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⏰ Last updated: Dec 20, 2018 ⏰

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