7. Türchen

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Irgendwann waren alle Schokofrüchte verspeist und Julia saß an Nicholas Rücken gelehnt auf der Picknickdecke und sah hinaus aufs Wasser, wo die Wellen brachen und die Möwen am Himmel kreisten. Sie war das letzte Mal im Sommer hier gewesen, nur war der Strand zu dieser Zeit von Touristen übersät gewesen, so dass man kaum Platz für sich gehabt hatte. Jetzt war sie praktisch mit Nicholas allein. Von den Möwen einmal abgesehen. Es fühlte sich gut an, Nicholas so nah zu sein und seine Nähe zu genießen, auch wenn sie wusste, dass sie sich nicht zu sehr darin verlieren durfte. Aber dazu kam es ohnehin nicht, als Nicholas plötzlich aufsprang und seine Jacke auszog. Einen Moment starrte sie ihn einfach nur an. Mit einer Spur Fassungslosigkeit und Entsetzen.

„Was tust du da?", fragte sie schließlich, als seiner Jacke und dem Oberteil auch seine Hose folgte.

„Wonach sieht's denn aus?"

„Nach einer schwachsinnigen Idee, wenn du mich fragst."

„Ich will mit dir schwimmen gehen."

„Schwimmen?!", schrie sie entsetzt, „Es ist Winter, Nicholas!"

Verletzt schob er ein wenig seine Unterlippe vor. Sie hasste ihn in diesem Augenblick, weil er wusste, dass er sie so weich bekam. Mit diesem Ausdruck hatte er immer etwas von einem Hundewelpen, den sie nicht abweisen konnte.

„Aber es ist kalt", murmelte sie, als er nur noch in Boxershorts vor ihr stand.

„Es ist windig", gab sie zu bedenken, als er grinste und ihr den Rücken zu wandte.

„Wir werden erfrieren", warf sie ein, bevor sie ihn mit den Füßen im Wasser verschwinden sah.

„Ach verdammt", kam es ihr über die Lippen, bevor sie es ihm gleichtat, sich ihre Klamotten vom Leib riss, bis sie nur noch in Unterwäsche zum Meer lief und bereits vor Kälte am ganzen Körper Gänsehaut hatte. Nicholas war bereits bis zum Bauchnabel im Wasser verschwunden und sie tat sich schon schwer damit, überhaupt einen Zeh ins kühle Nass zu tauchen.

„Du bist so ein Idiot", beschwerte sie sich lautstark, bis sie sich einen Ruck gab und laut kreischend ins Wasser lief, bis sie an seiner Seite war.

Die Kälte war unbeschreiblich. Das Wasser fühlte sich an wie Eis auf ihrer Haut, es schmerzte und es fiel ihr schwer zu atmen. Dort wo das Wasser nicht hinkam, hatte der kalte Wind sie in seinen Fängen und zog an ihrem Haar, doch als Nicholas seine Arme um sie schlang war die Kälte mit einem Mal erträglich und sie fand sogar die Kraft, ihn ein wenig mit Wasser zu bespritzen. Er lachte und sie hätte seine dabei auftauchenden Grübchen für den Rest des Tages bewundern können.

„Es tut mir leid", murmelte er an ihrem Ohr und sein 3-Tage-Bart kitzelte dabei ihren empfindlichen Nacken, „aber ich konnte nichts anders. Ich musste mit dir einfach nochmal ins Wasser. Noch einmal."

Sie konnte ihn nicht fragen, was er damit meinte oder warum er wieder so klang, als würde er sich von ihr verabschieden, weil er sie im nächsten Moment schon gepackt und im hohen Bogen ins Wasser geworfen hatte. Es war ein Schock, völlig im Wasser einzutauchen und sie schnappte hektisch nach Atem, kaum, dass sie die Wasseroberfläche wieder durchbrach. Aber außer der Kälte war da auch dieses Gefühl von Lebendigkeit, das von ihr Besitz ergriff und sie stimmte in ihr Lachen ein, bevor sie ihn erneut, dieses Mal mit weniger Vorsicht nass spritzte. Der Winter rückte in den Hintergrund und für einen Augenblick fühlte sich in die alten Sommer zurückversetzt, als sie am Strand Frisbee und Volleyball gespielt hatten, nur um sich anschließend im Wasser abzukühlen. Sie hatte genauso viel Spaß wie damals und vor allem konnte sie endlich wieder loslassen, die Gedanken fielen von ihr ab und zurück blieben nur sie, Nicholas und das Wasser.



Noch einmal fliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt