Teil 11

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Perplex schüttelte ich seine Hand. Er hatte einen festen Griff, aber nicht unangenehm.
„Und wer bist du?", fragte er noch breiter grinsend. Ich spürte förmlich wie meine Wangen sich verfärbten. Gott, was war nur mit mir los?
„Rose", antwortete ich schnell, „freut mich."
„Freut mich auch." Anders als ich schien er nicht nervös zu sein.
„Bist du neu hier?", frage ich und merke noch im selben Moment wie blöd das klingt, schließlich gab es auf dieser Schule vermutlich keinen einzigen Menschen der nicht von ihm gehört hatte.
„Ja, heute hier angekommen. Möchtest du dich nicht setzten?" Immerhin schien er mir das nicht übel zu nehmen.
Also nahm ich meine Sachen von Tisch und setzte mich neben ihn. Ich spürte die neidischen Blicke der Mädchen auf uns, die wahrscheinlich nur zu gerne den Platz mit mir tauschen würden.
„Wie ist unser Lehrer so?" Bei dieser Frage zog sich mein Magen unangenehm zusammen.
„Naja... weißt du... er..." Danke Gott dafür, dass ich meinen Satz nicht beenden musste, denn Herr Bachert selbst beantwortete die Frage so gut wie er konnte.
„Packt eure Sachen weg, ich möchte nur einen Stift und ein Blatt Papier auf euren Tischen sehen." Damit ging er festen Schrittes an uns vorbei zu seinem Pult.
„Ihr könnt euch wohl denken was jetzt folgt." Er zog einen dicken Stapel Papier aus seiner Tasche.
„Wer mehr schreibt als Platz auf dem Papier ist bekommt sofort zwei ganze Noten abgezogen! Ich habe keine Lust meine Freizeit mit eurem Firlefanz zu verderben." Er sah uns nicht mal mehr an, als er die Papiere regelrecht auf unseren Tisch schmiss. Als er Nathan ebenfalls drei zusammengetackerte Blätter vorsetzte setzte er zu einer Satz an:
„Sir, vielleicht haben Sie es nicht bemerkt, aber..."
„Doch Herr Ackermann ich habe Sie bemerkt", fiel er ihm ins Wort. Nathan schwieg. Einen solchen Umgangston hatte er vermutlich nicht erwartet. Er tat mir leid. Sein erster Tag hier und schon so eine Erfahrung. Aber warum sollte es ihm anders ergehen als all den anderen?
Ich schenkte ihm einen aufmunternden Blick, bevor die 20 Minuten liefen und sich alle auf den Test konzentrierten.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. So leise arbeiteten alle. Nur das Rascheln der Blätter, die ab und zu umgeschlagen wurden war zu hören.
Armer Nathan. Er saß etwas überfordert auf seinem Platz und starrte auf die Fragen, mit denen er nichts anfangen konnte. Sie waren über das Buch was wir momentan lasen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Nathan es  auch nur angefangen hatte zu lesen.
Jeder andere Lehrer hätte das auch noch nicht verlangt, schließlich war es sein erster Tag.

Schließlich sammelte Herr Bachert den Test ein, ohne uns auch nur eine Minute mehr für seine viel zu langen Aufgben zu geben. Nathan hatte geschlagene Null Worte auf sein Blatt geschrieben, abgesehen von seinem Namen natürlich.
Jetzt sah er mich mit einem wie-ist-der-denn-drauf-Blick an, den ich ihm nicht verübelte. Der erste Eindruck war wohl ein Fehlschlag.
Ich schenkte ihm meinen das-wird-schon-Blick und ein kleiner Lächeln dazu.
Die restliche Stunde über hatte sich Nathan mehrere Male zu einem allgemeinen Thema, das auch im Buch behandelt wurde gemeldet, doch nahm ihn Herr Bachert kein Mal dran, sah ihn nicht mal mehr richtig an.
Als es klingelte und alle anfingen zu tuscheln und ihre Sachen einzupacken bemerkte Nathan:
„Ich habe das Gefühl er kann mich nicht wirklich leiden." Dabei sprach er so leise wie möglich, da wir nicht allzu weit weg von Herr Bachert standen.
„Warte ab, er wird zwar nicht freundlicher, aber immerhin weniger Arschloch", gab ich mit einem Zwinkern zurück. Er zuckte lachend mit den Schultern.
„Weißt du zufällig wo Raum Nummer 126c ist?" Ratlos starrte Nathan auf einen unübersichtlichen Lageplan des Internats, der mir in meinen ersten Tagen genauso wenig geholfen hatte wie jetzt ihm.
„Bio bei Frau Berger?"
„Ja." Ein überraschter Blick.
„Ich schätze wir haben mindestens zwei Fächer zusammen!", lachte ich und machte mich auf den Weg, Nathan im Schlepptau.
Doch hatte ich nun ein etwas flaues Gefühl im Magen, denn als ich mich zur Tür gedreht hatte, waren mir kalte Blicke meines Geschichtslehrers entgegen gepeitscht. Ob er eifersüchtig war?
Vielleicht erklärte das auch sein Verhalten gegenüber Nathan.
„Wie lange hast du gebraucht dich zurechtzufinden?", fragte er, nachdem wir schon so manche Biegung und Abzweigung genommen hatten.
„Ich schätze ich habe immer noch nicht alles Räume gesehen." Wir erreichen den Naturwissenschaftstrakt. „So da wären wir. Ich bin auch neu hier, zum Schuljahresbeginn hier angekommen."
„Dann sind wir ja quasi Leidensgenossen. Sitzt neben dir schon einer? Ich kenne hier sonst niemanden." Sein breites Lächeln war einfach unwiderstehlich, weshalb ich ihn zu meinem Platz führte.

Nathan entpuppte sich als ein leidenschaftlicher Naturwissenschaftler, der eine Menge von seinem Fach verstand. Viel mehr als ich. Bio war zwar spannend, aber viel zu viel Lernerei - meine Meinung.
Er hingegen sog förmlich jede Information gierig auf und ließ sich nicht ein Mal ablenken. Bewundernswert wenn man beachtete, dass es nicht viele von seiner Sorte gab.

Nach der Stunde trennten sich unsere Wege. Ich hatte einen Ausfall, weshalb ich Zeit hatte Nathan zu seinem nächsten Raum zu begleiten.
„Dich interessiert Biologie ziemlich oder?", erkundigte ich mich, obwohl die Antwort natürlich auf der Hand lag.
Schließlich erfuhr ich, dass seine Eltern beide als Wissenschaftler im selben Labor tätig waren. Er hatte es also quasi in die Wiege gelegt bekommen.
„Na dann viel Spaß!" Ich verabschiedete mich und machte mich auf den Weg in die Lernecken um mich an ein paar Aufgaben zu setzten. Gerade in Geschichte hatten wir diesmal unglaublich viel aufbekommen. Die Analyse eines Plakats mit allem drum und dran. Zwei Minuten vor Stundenende aufgeteilt, sodass ja niemand Fragen stellen konnte.
Ich betrachtete das Plakat. Es stammte aus dem 18 Jahrhundert und trug einen Französischen Aufdruck mit dem Inhalt „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod", womit man sicher sein konnte, dass es aus der Französischen Revolution stammte.

Als ich zum Aufgabenblatt weiter blätterte fiel mir ein Zettel entgegen.

Rose.
ich erwarte dich um 14:30 Uhr in meinem Zimmer. Eine Verspätung wird nicht geduldet. Auf Taten folgen Konsequenzen.

Der Brief war anders als sonst, anders geschrieben. Vermutlich mit einer Art Schreibmaschine, aber sicher war ich mir da nicht. Ich konnte mir schon denken, dass es dabei um Nathan ging.
Ich ging meinen Stundenplan durch und stellte fest, dass ich dort Mathe hatte. Ich musste mir also überlegen, ob ich wirklich zu Herrn Bachert gehen sollte.
Andererseits wirkte er eben schon ziemlich aufgebracht und irgendwie wollte ich unseren „Kontakt" jetzt nicht abbrechen.
Also stand es fest: ich würde hingehen.

Lehrer meiner LustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt