Teil 15

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Es klopfte.
Ich war bereits fertig angezogen. Draußen war es ziemlich Windig, weshalb ich mit Jacke, einem dünnen Schal sowie einer ebenso dünnen Mütze ausgestattet war.
Bie sah ähnlich eingepackt aus wie ich.
„Wir treffen uns vor dem Notausgang im hinteren Teil mit den anderen."
„Kommt sonst noch wer mit?", wollte ich wissen.
„Nicht das ich wüsste."
Also schlichen wir zu zweit die Korridore entlang, die Treppe runter und zur anderen Seite des Gebäudes. Dort warteten bereits Selena, Loreen und Paul auf uns.
„In fünf Minuten geht es los", hörte ich Selena aufgeregt flüstern.
„Jetzt müssen wir nur noch nach draußen kommen." Auch ich war aufgeregt, fraglich war nur, ob die Sternschnuppen oder der Regelbruch daran Schuld waren.
„Keine Sorge. Die Tür hier ist immer offen." Damit lehnte sich Paul gegen die Tür, die mit einem Klacken aufging.
Schon standen wir an der frischen Luft. Ein Kiesweg führte zu einem bepflanzten Park mit Bänken, von denen wir uns zwei aussuchten, die vor einem baumfreien Wiesenabschnitt lag, sodass wir eine gute Aussicht auf den Himmel hatten.
Selena warf einen Blick auf seine Uhr.
„Es dürfte gleich losgehen"
Es musste ein romantisches Bild abgegeben haben: Loreen in Pauls Arm auf der einen und wir auf der anderen Bank, alle gespannt zum Himmel schauend.
Und dann ging es tatsächlich los! Ein atemberaubender Moment, in dem es schien, als vielen Unmengen an Sternen vom Himmel. Erst eine, dann zwei und nach und nach immer mehr in immer geringer werdenden Abständen.
Leider hielt besagter Moment nicht allzu lange an, denn schon bald hatte der Sternenschauer seinen Höhepunkt erreicht und die Zahl der sich bewegenden Leuchtkörper schwand langsam.
„Schade. Ich hätte hier ewig sitzen können." Das hätte ich wirklich.
„Dann gäbe es nur irgendwann keine Sterne mehr am Himmel", sagte eine mir bekannte Stimme. Alle Köpfe drehten sich um 180 Grad nach hinten, wo ich Nathan stehen sah.
Bie stupste mich an und drängte „sag schon was"
„Da hast du vermutlich recht." Er kam lächelnd näher. „Du brichst noch in der ersten Woche die Schulregeln?" Er schien überrascht.
„Anders als andere hier Anwesenden tat ich dies ohne Absicht."
„Dann hoffen wir mal, dass wir nicht erwischt werden und du noch eine Chance bekommst, die Hausordnung zu lesen."
„Ich denke dafür ist es bereits zu spät", ertönte eine weitere Stimme, die mir ebenfalls nicht unbekannt war, doch auf die ich jetzt hätte mehr als verzichten können.
„Sie alle werden jetzt ohne umschweifen auf eure Zimmer gehen. Morgen treffen wir uns dann im Büro des Rektors." Herr Bacherts Stimme war kalt wie immer und sofort standen wir auf, um seiner Anweisung folge zu leisten. Ich schenkte Nathan einen entschuldigenden Blick. Hätte uns ein anderer Lehrer erwischt, wären wir vermutlich mit einem blauen Auge davon gekommen, aber Herr Bachert war wie immer knallhart. Armer Nathan.
„Nathan, Rose, Sie bleiben beide hier." Die anderen verschwanden, nachdem sie uns mitleidige Blicke zugeworfen hatten.
„Ich habe Ihre Aussage bezüglich der Regelbrechung gehört und zur Kenntnis genommen", begann er an Nathan gerichtet. „Aufgrund Ihrer kurzen Ankunftszeit denke ich, dass dieser kleine Zwischenfall keine weiteren Konsequenzen mit sich ziehen wird." Das hätte ich am wenigsten von ihm erwartet. „Doch sollte ich sie in kürzester Zeit noch ein Mal erwischen, wird das sehr unangenehme Folgen haben." Das hatte ich schon eher erwartet. „Jetzt gehen Sie auf ihr Zimmer." Er nickte mir kurz zu und ging. Nun war ich alleine mit ihm. Genau diese Situation hatte ich vermeiden wollen.

„Sie können ihren Freunden mitteilen, dass ich die Sache vergessen werde", sagte er förmlich ruhig. War das seine Art der Wiedergutmachung?
Schweigen.
Auf einmal streckte er seine Hand aus. Seine Finger berührten meinen Arm, meine Hüfte, mein Bein. Diese Berührungen verschafften meinem Körper eine Gänsehaut.
„Morgen nach dem Unterricht bei mir." Damit kehrte er mir den Rücken zu.

Der Wecker klingelte viel zu früh. Es kam mir vor, als wäre ich gerade erst ins Bett gegangen, was wohl nicht so weit von der Realität entfernt war.
Es war Samstag. Jeden zweiten Samstag hatten wir bis zum Mittag Unterricht. Ein gewaltiger Unterschied zu meiner vorigen Schule. Aber dafür sparte ich mir jeden Tag den Weg zur Schule und wieder zurück, ein großer - wenn nicht sogar der größte Vorteil eines Internats.
Als ich mich zu den anderen an den Tisch setzte, war die Stimmung eher verhalten. Noch wussten meine Freunde schließlich nicht, dass es keinen weiteren Ärger geben würde.
„So langsam muss ich meine Ansicht über Herrn Bachert doch überdenken", begann Loreen. „Sein Charakter macht ihn tausendmal weniger attraktiv. Kein Wunder, dass der keine Freundin hat."
Daran hatte ich noch nie gedacht. Tatsächlich war es mir ein Rätsel, wie so ein gut aussehender Junger Mann nicht in einer Beziehung sein konnte. Zumindest hoffte ich, dass es so war, denn wenn nicht würde ich mir ziemlich schmutzig vorkommen, aber vorstellen konnte ich es mir nicht. Die meisten Lehrer, die in einer Beziehung waren lebten sowieso Außerhalb, was auf ihn nicht zutraf.
„Vielleicht ist er ja doch nicht so ein Arschloch", warf ich ein.
„Das sagst gerade du? Er hat Nathan und dich doch gestern noch extra dabehalten. Wahrscheinlich, weil ihr in seinem Kurs seid und er euch so noch eine mehr reinwürgen kann", schimpfte sie weiter, „Man könnte beinahe denken du wärst in ihn verliebt."
„So ein Unsinn. Aber deine Aussage hat einen Haken: Er hat uns dabehalten, weil wir beide noch nicht so lange auf der Schule sind und er uns gewarnt hat, dass das besser das letzte Mal gewesen sei, bevor es ernste Konsequenzen gebe. Anders formuliert soll ich euch ausrichten, dass wir keinen Ärger zu erwarten haben und er der Schulleitung gegenüber Stillschweigen bewahrt." Alle starrten mich ungläubig an.
„Das hätte ich nicht erwartet." Bie, Selena und Paul nickten anerkennend.
„Na gut, dann hat er halt ein Mal nicht den Idioten raushängen lassen, dass macht ihn aber auf keinen Fall automatisch zu einem guten Menschen." 
„Aber es geht in die richtige Richtung. Wenn er so weiter macht, wird er vielleicht doch noch ganz nett und dein Bild von ihm ist wieder in Ordnung", scherzte ich und Loreen lachte endlich wieder.

Heute hatten wir das erste Mal unser neues Fach Wirtschaft. Unsere Lehrerin Frau Singer war bis jetzt Krankgeschrieben, weshalb der Unterricht bisher immer ausgefallen war. Wie ich feststellen durfte, war es zumindest von der Klasse her einer der besten Kurse, denn wie durch einen Zufall waren Bie, Selena, Loreen und sogar Paul auch in diesem Kurs.
In Wirtschaft ging es darum, seine eigene Firma aufzubauen und der erste Schritt - neben der Theorie - war eine Geschäftsidee, über die wir uns als Hausaufgabe Gedanken machen sollten. Auch Frau Singer machte auf mich einen sehr herzlichen Eindruck, sodass ich glaubte, es könnte neben Sport mein neues Lieblingsfach werden.
Das letzte Fach an diesem Samstag war Geschichte. Nathan und ich waren schon vor Herrn Bachert im Raum, sodass ich ihm schnell erklärte, was unser Lehrer mir gestern noch gesagt hatte.
„Da bin ich aber erleichtert", sagte Nathan sichtlich entspannter. „Ich musste die ganze Nacht an den Stress mit meinen Eltern denken, sollten sie herausfinden, dass ich schon in den ersten Tagen Mist gebaut habe."
„Ist ja noch mal gut gegangen", zwinkerte ich. „Hast du dir inzwischen die Hausordnung durchgelesen?" Er lachte.
„Bis jetzt nicht. Aber wenn du Zeit und Lust hast, kannst du sie mir auch vortragen. Du scheinst dich ja bestens damit auszukennen."
War das ein Flirtversuch gewesen?
„Die ist aber ganz schön lang", gab ich zu bedenken.
„Ich hab Zeit. Von mir aus auch bis in die Nacht." Bevor ich etwas darauf erwidern konnte trat Herr Bachert vor uns ans Lehrerpult.
Er würdigte uns nur eines kurzen Blickes. Dann teilte er den Test aus. Eine gute zwei. Damit konnte ich leben.
Nathan bekam sein leeres Blatt nicht zurück. Offensichtlich hatte Herr Bachert ihn nicht bewertet, was nur fair war. Auch hatte er sein Verhalten ihm gegenüber verändert, indem er ihn sogar etwas sagen lies, wenn er sich meldete. Vielleicht hatte er ja doch so etwas wie ein Gewissen, denn sein Auftritt in der ersten Stunde war mehr als unangebracht gewesen.
Es klingelte.
„Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?", fragte Nathan, während er seine Bücher in den Rucksack schob. „Dann könntest du mir die wichtigsten Regeln im Schnelldurchlauf erklären."
Im Augenwinkel meinte ich ein kurzes Funkeln in Herr Bacherts Augen wahrnehmen zu können.
„Nein", antwortete ich schnell. „Also ich meine, ich kann jetzt nicht. Ich muss noch was wichtiges erledigen." Da war es wieder: das zufriedene Lächeln in den Augen meines Lehrers. „Aber ein andern Mal gerne." Er nickte und wir verließen den Raum, wobei er in Richtung Speisesaal und ich in Richtung Zimmern abbog. 

Lehrer meiner LustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt