Kapitel 12

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Die letzte Schulwoche vor den Weihnachtsferien hatte begonnen. Ich hatte große Sehnsucht, über die Ferien nach Hause zu fahren. Doch ich wollte Nico nicht über den Weg laufen, also entschied ich mich, hier im Internat zu bleiben. Die Meisten hier, also beinahe jeder, führ heim nach seiner Familie. Auch Jonas. Ich würde hier also mehr oder weniger allein zurückbleiben. Allein schon der Gedanke daran macht mich traurig. Wer wollte denn schon das Weihnachtsfest alleine verbringen? Ich nicht, aber nach Hause fahren wollte ich auch nicht...

Ich lag auf meinem Bett und starrte zur Decke hoch. Jonas kam ins Zimmer, schenkte mir einen kurzen Kuss und fing dann an seine Sachen zu packen.

"Ich wünsche dir viel Spaß bei dir daheim!"

"Danke den Spaß wirst du doch auch haben, Engel'chen!" Er packte weiter seine Sachen in seine riesige Reisetasche ein, ehe er zu mir herüberschaute. Ich blickte ihm etwas verwirrt entgegen. Was meinte er denn damit? "Den Spaß wirst du doch auch haben?", wiederholte ich seinen Satz nocheinmal.
Da lachte er auf.
"Ja den Spaß wirst du auch haben."
Ich ließ mich auf mein Bett zurückfallen und blickte hoch auf die Decke. Den Polster drückte ich mir fest gegen den Bauch, so als hätte ich totale Bauchschmerzen.
Ich legte meinen Kopf zur Seite und beobachtete ihn beim Packen.
"Hier wird es bestimmt ganz witzig, " meinte ich mit einem sarkastischen Unterton und Jonas fing erneut an zu lachen. Was war daran so amüsant, dass man darüber lachen konnte.
"Engel'chen..."
Als ich mich angeprochen fühlte, löste ich mich aus meinen Gedanken sowohl auch aus der Starre ins Leere und blickte automatisch zu ihm hoch: "Was?"
"Pack endlich deine Sachen, verdammt, du fährst mit mir zu meinen Eltern!"

"Was?"

Mehr brachte ich einfach nicht aus mir heraus. Das war eindeutig der noch viel schlechtere Scherz als der vor wenigen Minuten. Wenn das jedoch kein Scherz war... dann hieße das doch..

"Worauf wartest du denn, Fabian? Meine Eltern kommen in knapp einer Stunde, um uns abzuholen."

"In einer Stunde?" Ich weitete meine Augen. Nur eine Stunde, dann würde ich seine Eltern kennenlernen. In einer Stunde werde ich im Auto sitzen und zu Jonas nach Hause fahren. In einer Stunde werde ich erfahren, wie Jonas lebt, ich werde seine Freunde und seine Familie kennenlernen. Ich muss den perfekten ersten Eindruck bei ihnen machen! Oh gott, dann muss ich noch schnell duschen gehen und mich frisch machen. Was zieh ich nur an? Und den Koffer sollte ich auch noch packen.

"Weniger als eine Stunde, Fabian."

"Weniger?" Er nickte und ab diesem Zeitpunkt gab ich Gas. Ich stopfte regelrecht sämtliche Klamotten die ich hier hatte in die Reisetasche und hüpfte anschleßend unter eine kurze Dusche. Es war noch eine zeit von zehn Minuten übrig und ich ließ mich erschöpft aufs Bett fallen. Jonas kam direkt auf mich zu und setzte sich erstmals auf meinn Schoß und strich mir die nassen Haare nach hinten.

"Wie viel habe ich dir von meinen Eltern schon erzählt?"

"Ungefähr soviel, wie ich dir von meinen Eltern erzählt hatte... also gar nichts."

Unsere Stirn lagen aufeinander und ich schloss meine Augen. Ich mochte das Gefühl, in so nah bei mir zu spüren.

"Dann sollten wir vielleicht anfangen darüber zu reden, Engel'chen? Meine Eltern wirst du demnächst sowieso kennenlernen. Also wie sind deine Eltern denn so?"

Ich schwieg eine zeit lang, ehe ich meine Augen wieder aufmachte und ihm direkt in seine Augen blicke. Erneut versinke ich in ihnen und komme erst Sekunden später wieder zu mir. "Ich will noch nicht darüber reden." Ich musste mich zusammenreissen, nicht gleich zu heulen. Eine weitere Frage zu diesem Thema hätten meine Gefühle wohl ins kippen gebracht und ich hätte angefangen zu heulen. Jonas blieb jedoch still und wir starrten uns gegenseitig an, ehe ein Klopfen ertönte.

live on and be yourselfWhere stories live. Discover now