Kapitel 71

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Nervös wippte ich mit meinem Fuß auf und ab, während ich neben meinem Vater im Kommandostand saß. Meine Finger waren nach wie vor überkreuzt. Gerade hatte Max gute Chancen aufs Podium zu fahren. Wie gerne ich unten im Parc Ferme stehen würde und ihn zujubeln würde.

Ich bemerkte, dass mein Vater mich kritisch beäugte. "Was ist denn?", fragte ich ihn und sah das er angefangen hatte zu Grinsen. "Das mit dem Fuß, dass hast du von mir.", erklärte er. "Ehrlich?", fragte ich noch einmal nach. "Damit fange ich immer an, wenn ich nervös bin.", erwiderte ich und mein Dad nickte. "Macht dich das Rennen nervös?", fragte er dann nach und sah wieder auf den Bildschirm vor ihm.

"Es macht mich immer nervös, wenn Max fährt. Ich will ihn nicht verlieren und ich will das er gewinnt.", antwortete ich etwas kleinlaut. Mir war es unangenehm mit meinem Vater über Max zu reden. "Es kann nicht viel passieren. Natürlich ist es kein ungefährlicher Sport, aber Max ist gut. Die Zeiten in denen jede Saison zwei Fahrer gestorben sind, sind vorbei."

"Zwei Fahrer pro Saison? Das ist doch wahnsinnig. Wann ist der letzte Fahrer gestorben?" Im Grunde wusste ich schon, dass ich diese Frage bereuen würde. "Damals sind die Fahrer ohne Helm und mit T-Shirts gefahren. Sicherheit war noch kein Thema. Der letzte Fahrer war Jules Bianchi. Er hatte 2014 einen Unfall und ist 2015 dann gestorben."

Ich war doch etwas geschockt. "2014. Das ist noch nicht lange her. Welches Rennen war das?" Mein Vater beantwortete meine Frage nicht. Ehrlich gesagt konnte ich mir die Antwort dadurch relativ gut erschließen. Er hatte nur den Kopf geschüttelt und noch etwas sturer als sonst auf seinen Bildschirm gestarrt. Daraus schloss ich, dass es Japan gewesen sein musste.

Meine Nervosität schwoll bedrohlich an. Mir stiegen die Tränen in die Augen. "Du kannst ruhig in Max' Raum gehen, wenn du einen Moment Ruhe brauchst. Ich kann dir versichern, dass so ein Unfall nicht mehr passieren könnte." Wirklich beruhigen taten mich seine Worte trotz allem nicht. Es war das erste Mal, dass ich ernsthaft Angst hatte, weil Max, mein Max in einem Rennwagen saß.

Am Anfang dieses Wochenendes dachte ich noch, dass ich das gut wegstecken kann. Immerhin kannte ich Max nicht anders. Plötzlich wurde ich aber doch nervöser als sonst. Ganz ruhig war ich nie, aber ich hatte auch nie wirklich Angst um ihn. Bis zu diesem Tag. Jetzt hatte ich plötzlich schreckliche Angst. Das war furchtbar. Dieses Gefühl war extrem ekelhaft und ich wusste nicht wie ich es abstellen sollte.

Zum Glück waren die letzten Runden des Rennens. Es sah sehr gut aus, dass Max aufs Podium fuhr. Ich versuchte mich einfach für ihn zu freuen und meine Angst auszublenden. Er würde sicher sofort merken, dass es mir nicht gut ging. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg in den Parc Ferme. Max kam wenige Minuten später und stellte seinen Wagen ab. Er schien sich zu freuen, aber so ein großer Jubel wie beim Großen Preis von Österreich blieb natürlich aus.

Schnell redete er mit seinen Mechanikern, bevor er auf mich zukam. "Aria.", rief er freudig und nahm mein Gesicht in seine Hände. Vor all den Kameras und Reportern küsste er mich einfach. Die Schmetterlinge fingen an zu fliegen und ich grinste in den Kuss hinein. Trotzdem war Max' erste Frage, nachdem er sich gelöst hatte: "Was ist los? Du scheinst dich nicht so wirklich zu freuen."

Ich sah ihm an, dass er etwas enttäuscht war. Das war ja auch mehr als verständlich. Er fuhr aufs Podium und ich ignorierte ihn praktisch. "Ich habe mir nur solche Sorgen um dich gemacht. Ich will dich nicht verlieren und irgendwie war es das erste Mal, dass ich Angst um dich hatte.", erklärte ich im Schnelldurchlauf. Max musste gleich ein Interview geben und konnte nicht mehr lange bei mir bleiben.

Mein mattes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Mir passiert nichts, Aria. Ich komme immer wieder zu dir zurück und jetzt freu dich gefälligst für mich." Er hörte sich überhaupt nicht böse an, aber vielleicht war ein Hauch von Enttäuschung in seinem Tonfall. Deshalb versuchte ich einfach auf ihn zu hören. Das Sicherheitsthema könnten wir auch wann anders noch ausdiskutieren.

Ich rang mich also zu einem Lächeln durch. "Genieß dein Podium!", sagte ich zu ihm, bevor er sich wieder von mir entfernte und zu den Interviewer ging. Fast wie im Trance sah ich mir das Podium an. Meine Gedanken waren ganz wo anders. Ich wusste ja, dass ich Max gerade wohl ziemlich enttäuscht hatte. Ich war einfach keine besonders gute Schauspielerin.

Mein Vater hatte mich für den Tag entlassen und so machte ich mich auf den Weg ins Hotel. Max hatte noch eine Pressekonferenz, Interviews und ein kurzes Meeting. Es würde sicher noch ein paar Stunden dauern bis er wieder zurück kommen würde. Schnell zückte ich mein Handy und schnappte mir die Kopfhörer. Ich machte mich auf den Weg auf die Dachterrasse des Hotels.

Dort setzte ich mich auf eine der Bänke. Ein paar Minuten saß ich einfach nur da und sah ins nichts, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich fing an zu googeln. Jules Bianchi. Ich las was für ein Talent er wohl war und natürlich über den Unfall. Daniel schien relativ gut mit ihm befreundet gewesen zu sein. Schließlich stieß ich sogar auf ein Video. Eigentlich wusste ich, dass ich es mir nicht ansehen sollte. Meine Neugier siegte dann aber doch.

Ich zuckte kurz zusammen als der Formel 1 Wagen in das andere Fahrzeug krachte. Ich schloss meine Augen und schaltete das Video wieder weg. Sofort hatte ich die Vorstellung im Kopf wie Max crashte. Dieser Gedanke ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Wie sollte ich das nur überleben? Noch vor zwei Tagen hatte ich mir seiner Mutter geredet und mir gedacht, dass die Gefahr kein Problem für mich ist.

Sie ist es wohl doch. Ich wusste natürlich, dass immer weiter an der Sicherheit gearbeitet wird, aber Sorgen machte ich mir trotz allem. Es war nicht leicht, den Mann, der wichtiger war als alles andere alle zwei Wochen in einen Wagen steigen zu sehen, der ihn den Tod bringen könnte. Mein größtes Problem: Ich musste lernen damit umzugehen, denn Max würde ganz sicher nicht aufhören.

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