5. Die Stadt des Pfaus

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Po rieb sich die Augen und starrte erneut nach vorne. Unterhalb des Hügels lag ein gigantisches Plateau, welches sich zwischen niedrigen und höheren Bergen erstreckte. Auf seiner flachen Bergfläche standen mehrere kleine und größere Gebäude, eingehüllt in einem dichten Geflecht von Baustellen-Gerüsten. In diesen Baustellen bewegten und arbeiten unzählige Schafe, Ziegen und Schafböcke.
Der Panda und die Pfauenhenne waren so gefangen von diesem Anblick, dass sie den winkenden Huf des kleinen Schafes zunächst nicht wahrnahmen, welches ihnen signalisierte ihm zu folgen.
So gingen sie den breiten Weg hügelabwärts, bis sie am Baustellen-Gebiet der Stadtmauer ein großes Tor erreichten. Auf der linken und auf der rechten Seite postierten zwei große Ziegenböcke. Po beäugte die beiden Türen auf dem auf jeder Seite ein roter Pfau mit weit geöffneten Flügeln abgebildet war. Po konnte nicht sagen, ob er es als eine Angriffs- oder eine Willkommensgeste deuten sollte. Vielleicht beides.
Die großen Ziegen-Wächter schnaubten und starrte zu ihnen hinunter.
Doch das kleine Schaf zeigte keinerlei Furcht und hob auffordernd den Huf. „Öffnet das Tor!"
Po dachte schon, die beiden würden Widerstand leisten, doch kurz darauf wurde das Tor tatsächlich geöffnet.
Das kleine Schaf trat zuerst ein. Die Besucher folgten ihm. Po winkte den Wachen heiter zu.
„Hey, Kumpel, was geht?"
Doch der Bock antwortete nicht, sondern starrte ihn nur mit grimmigen Blick an.
Po lächelte verschmitzt. „Ebenfalls."
Schnell rannte er den anderen hinterher, wurde aber sogleich wieder langsamer. Mit einem Schaudern im Nacken sah er sich um.
„Wow!"
Noch nie in seinem Leben hatte Po so viele Haus-Baustellen auf so engen Raum gesehen. Schwer beladene Schafe und Ziegen, die Steine und andere Baumaterialien auf Karren hinter sich herzogen. Andere hantierten an kleine chinesischen Häuser, Schafe fegten die Räume aus, andere wiederum kochten Essen. Entlang der Mauern und Häuser hingen Seile im Flaschenzug, um die Steine daran hochzuziehen.
„Sehr belebter Ort", murmelte Po.
„Die Stadt steht noch am Anfang", erklärte das kleine Schaf. „Aber wir machen Fortschritte."
Sie spazierten durch die Baustellen der neuen Stadt bis sie ihr Hauptziel erreicht hatten.
„Oh", hauchte Po voller Bewunderung. „Das ist sehr beeindruckend."
Wieder standen sie vor einer Mauer, was Po an die Mauern um den Turm von Gongmen erinnerte, nur diesmal ohne einen Turm in der Mitte.
Neugierig reckte der Panda den Hals. Aber er musste nicht länger warten. Die Mauerntore wurden geöffnet und Po konnte sich um ein erneutes „Wow" nicht bremsen.
Zur rechten und zur linken standen mehrere große Ziegenböcke und Steinböcke mit Lanzen verteilt auf der Mauer. Das kleine Schaf führte sie vorwärts und sie überquerten einen großen leeren Platz. Po lief ein Schauer unter sein Fell. Das Feld, gepflastert mit bestem Stein, war so groß, dass eine ganze Armee darauf locker Platz gehabt hätte. Diese unangenehme Weite zwang ihn sich hastig umzuschauen. War das eine Falle?
Doch die Ziegen und Steinböcke, die an den Mauern patrouillierten, erweckten nicht den Eindruck, einen Angriff auf sie zu planen. Dennoch beobachteten sie jeden Schritt von ihnen.
Endlich hatten sie das große Haupthaus erreicht. Es besaß ein typisch chinesisches Dach und erinnerte von der Form her an den Jade-Palast. Nur etwas größer. Die Wände waren rot bestrichen, Säulen aus Silber, die Fassaden bedeckt mit wehenden Flaggen mit roten Pfauen auf weißem Hintergrund oder weiße Pfauen auf roten Hintergrund. Jedoch stand keine Baustelle mehr drum herum. Anscheinend war dieses Haus als erstes fertiggestellt worden.
„Sehr nett", meinte Po und hielt an. „AHA, mein guter alter Feind und Freund..."
Verwundert beobachtete Xia, wie die Augen des Pandas nach oben wanderten.
„Stufen!"
Das Palastgebäude stand auf dem leeren Platz wie eine Insel. Doch um an die Haustür zu gelangen, musste man die Stufen hochsteigen, die aus hundert oder mehr bestanden.
„Nun, besser als zuhause", seufzte Po wehmütig und setzte den ersten Fuß auf die erste Stufe. Doch dann hielt er inne und drehte sich um. Xia stand still da und schien unsicher zu sein ihm zu folgen.
„Oh, komm schon", sagte Po. „Das ist immer noch besser als einen Berg hochzuklettern."
Jetzt gab sie sich einen Ruck und nahm eine Stufe nach der anderen. Zusammen gingen sie hoch bis sie die letzte Stufe überwunden hatten und standen vor großen Flügeltüren. Das Schaf klopfte an. Es dauerte nicht lange und ein sehr, sehr kleines Fensterchen wurde in der Tür geöffnet. Der Ziegenbock im Haus fragte etwas, und das Schaf antwortete. Kurz darauf wurde das Fenster wieder geschlossen und die großen Türen geöffnet.
Sie betraten eine weiße, rote, zusammen mit Farben aus Gold, Silber dekorierten Korridor, mit aufwändig verzierten Wänden und Decken. Muster von Pfauen, Pfauenhennen und Blumen, Bäumen, Häusern waren gemalt oder eingeritzt in die Wände, Säulen, Vasen und Tische.
Po kam sich vor wie in einem chinesischen Kunstmuseum. Das war mehr als ein Palast. Doch Pfaue waren ohnehin bekannt für ihren Ruf als große Kunstliebhaber. Genauso farbenfroh wie ihre Federn.
Po hielt an, als er den lauten Klang einer Glocke vernahm.
„Folgen Sie mir", sagte das kleine Schaf.
Sie spazierten durch den langen Korridor, der sie in eine große Halle führte, dekoriert mit großen weiß roten Flaggen. Am Ende der Halle stand ein großer Stuhl und Po wusste sofort, dass es sich dabei um einen Thron handelte.
Das Schaf hielt an und hob seinen rechten Huf.
„Warten Sie einen Moment."
Damit verließ er sie und verschwand durch eine Tür am anderen Ende der Halle.
Po nutzte die Zeit und legte seinen Rucksack ab.
„Mm. Mal ehrlich. Mit der Einrichtung ist er nicht knauserig."
Er lachte. „Wow, was für eine gigantische Vase. Ich frage mich, was da wohl drin ist."
Seine Faszination wurde unterbrochen, als er merkte, dass Xia sich nach allen Seiten umschaute und nervös ihre Fingerfedern knetete.
„Nur keine Sorge", sagte er und lächelte sie an. „Ich werde mit ihm zuerst reden."
Die Pfauenhenne sah ihn an und versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht so wie sie es wollte. Und noch bevor Po ihr eine Frage stellen konnte, hörte er kleine Schritte aus einem Flur. Das kleine Schaf erschien und winkte mit dem Huf zur rechten Seite.
„Der Lord erwartet Sie jetzt."
Ein lauter Gongschlag hallte durch die Halle, bis er verklungen war. Doch der sterbende Klang wurde von klaren, klirrenden Fußschritten abgelöst.
Sie warteten. Po ran ein Schauer über den Rücken, als er eine Bewegung durch die Seitentür der Halle sah. Zuerst war da die Welle einer Robe, gefolgt von einer weißen Figur. Po hielt den Atem an, als der weiße Lord die Halle mit langsamen Schritten betrat. Er trug eine silberne Robe mit roten Stickereien. Die Flügel lagen zusammengefaltet unter seinem Gewand, wie immer; sein Gesichtsausdruck erfüllt mit Stolz und Ruhe, als wäre er nicht von dieser Welt. Seine ausstrahlende Eleganz hatte er nicht verloren. Äußerlich wirkte er zwar zerbrechlich, aber seine Gewandtheit war nicht zu unterschätzen. Und das wusste Po nur zu gut.
Seine langen Federn waren wieder vollständig auf ihre volle Länge nachgewachsen und glitten über den schimmernden Marmorboden.
Der Pfau trat näher an sie heran. Neben dem Thron hielt er an und blickte auf sie herab. Po machte den Anfang und winkte ihm zu.
„Hi, lange nicht mehr gesehen."
Der Panda biss sich auf die Unterlippe. Dann senkte er das Gesicht und verneigte sich respektvoll. „Friede sei mit dir."
Der Lord nahm einen tiefen Atemzug, was mehr wie ein Seufzen klang, doch er behielt seinen stolzen Gesichtsausdruck bei.
„Sei gegrüßt, Panda."
Der Drachenkrieger seufzte. „Kannst du mich nicht Po nennen? Warum so formell?"
Der Lord hob die Nase etwas höher. „So ziemt es sich nun mal, Panda."
Po zuckte die Achseln und sah sich um. „Nette Behausung, sehr groß. Wirklich sehr beeindruckend. Wie hast du diesen Platz bekommen?"
Der Lord schritt ein paar Schritte vor, während er seinen Flügel schweifen ließ.
„Nachdem mein Vater mir sein letztes Erbe hinterlassen hat, kaufte ich das Land von diesem Volk, unter der Bedingung, dass es in der Stadt lebt und sie für mich aufbaut." Er ließ seinen Blick wandern. „Du siehst, sie sind eifrig und allesamt loyale Arbeiter." Er machte eine Pause und seine Augen ruhten auf den Panda. „Doch was führt dich zu mir?"
Eine gewisse Unsicherheit lag in seinen Augen.
„Oh, ja, ja. Tut mir leid, ich war so überwältigt von deinem neuen... Residenz, dass ich vergaß... ich... nein, nicht ich, sie.. ich habe... da ist jemand, der dich sehen möchte."
Er schwang seine Hände hinter sich und deutete auf die Pfauenhenne, die ihren Strohhut abgenommen hatte. Po machte ein paar Schritte zur Seite und schaute von einem zum anderen, wobei er die Handflächen vor Spannung aneinanderrieb.
Die zwei Vögel sahen sich an. Stille herrschte. Niemand sprach ein Wort. Der Panda beobachtete genau ihre Gesichter. Xia, mehr ängstlich, und Shen – keine Reaktion.
„Wer bist du?", war des Pfaus einzige neutrale Frage.
Po ließ enttäuscht die Schultern sinken. Sie kannten sich nicht?
Die Pfauenhenne bewegte den Schnabel und schaffte es einen Laut von sich zu geben.
„Ähm, mein Name ist Xia."
Für einen Moment senkte sie ihren Blick, fand aber erneut die Courage wieder zu ihm aufzuschauen.
Shen sah sie verständnislos an und verzog skeptisch die Schnabelwinkel.
„Und? Kennen wir uns?"
Das Mädchen legte die Fingerfedern zusammen und tippte sie unruhig aneinander. „Ähm, nun, nicht wirklich, nicht direkt."
Sie seufzte schwer.
Shen wartete immer noch auf eine detaillierte Antwort. Er machte einen Schritt nach vorne, sein Gesicht überzogen mit Misstrauen. „Ich kenne dich nicht. Woher weißt du, dass wir uns nicht wirklich kennen?"
„Ich... ich..."
Po rieb sich die Stirn. Es war als hätte sie ihren Text vergessen, bis sie einen erneuten Atemzug nahm.
„Ich bin deine Tochter."

Der letzte KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt