31. Familienangelegenheiten

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Hastig zog sich Po wieder in die Burg zurück, als er Shen und Yin-Yu zurückkommen sah. Und kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, wurden sie dort auch schon von den anderen erwartet, mit Ausnahme von Wang, der in diesem Moment nicht anwesend war. Po, Xia und Sheng, die Zikade Tu miteinbezogen, blickten sie erwartungsvoll an.
Xia war die Erste, die ein paar Schritte in Richtung ihrer Eltern wagte.
„Was ist jetzt?", fragte sie.
„Was ist was?", fragte Yin-Yu zurück.
Xia rieb sich nervös die Flügel. „Gehen wir jetzt wieder nach Hause?"
„In welches Zuhause?", fragte ihre Mutter sie erneut.
„Ich meine..." Xia sah sie verwirrt an. „Ich verstehe das nicht."
Sachte legte Yin-Yu ihre Flügel auf die Schultern ihrer Tochter.
„Wir haben darüber gesprochen, und ich denke..."
„Wir sind uns einig darüber", beendete Shen ihren Satz und legte seine Flügel um die ältere Pfauenhenne.
Jetzt war es Sheng, der sich näher zu ihnen begab und sie unverwandt ansah. „Und was bedeutet das?"
Yin-Yu zwang sich zu einem Lächeln durch. „Ich denke, dass sollten wir im Kreis der Familie besprechen."
Ihre Kinder sahen sie überrascht an.
Xia brachte es treffend auf den Punkt. „Sowas hat Xiang nie mit uns gemacht."
Jetzt hob Yin-Yu den Kopf. „Wie geht es ihm? Was passiert mit ihm?"
„Ähm, ähm", meldete sich Po zu Wort. „Während ihr euch draußen unterhalten habt, sprach Wang etwas davon, dass er für seine Taten eine Strafe erhalten wird, aber er sagte auch..."
„Sie haben das Recht über sein Schicksal zu entscheiden", sagte Wang, der gerade hereinkam. Mit festen Schritten kam er auf die Vogel-Familie zu und sah sie mit ernstem Gesicht an.
„Es sei denn, Sie haben etwas gegen mein Urteil einzuwenden", fügte der große König hinzu. „Immerhin ist er immer noch Ihr Ehemann."
Er machte eine kurze Pause. „Oder soll ihm das schlimmste Urteil wiederfahren?"
Yin-Yu wusste was er damit meinte. Unsicher tauschte sie mit Shen Blicke aus. Doch er wollte sich nicht in ihre Angelegenheit einmischen. Wie Wang bereits gesagt hatte, war er ihr Ehemann und besaß die nächste höchste Verfügung über ihn.
Wang zog die Augenbrauen hoch. „Wenn Ihr ein Urteil gefällt habt, dann sollten wir es heute hier und jetzt vollstrecken."
„Ja", stimmte Po zu. „Nur um auszuschließen, dass er schon wieder abhaut. Also vielleicht – aus Versehen – nur um ganz sicher zu gehen."
Der Panda hatte nicht die große Lust sich wieder mit diesem Pfau anzulegen.
Die Pfauenhenne senkte ihren Blick. Um sie herum lag eine schmerzliche Stille.
Schließlich hob sie den Kopf und sah Wang an. „Er ist in deinen Händen", sagte sie. „Tu mit ihm, was du für richtig hältst. Nur töte ihn nicht." Ihre Augen wanderten zurück zu Shen. Sie konnte ihm ansehen, dass er nicht unbedingt ihrer Meinung war, aber sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht."
Mit einem Schnauben der Verachtung wich Shen ihrem Blick aus, doch er wollte ihr nicht seinen Willen aufzwingen. In seinem Inneren brannte ein zerstörerisches Feuer, das nur darauf aus war diese verruchte Kreatur zu vernichten.
„Demnach ist es also beschlossene Sache?", hackte Wang nach.
Sie nickte, wenn auch mit einem Zögern. Ihr Hass war zwar immer noch sehr groß, doch andererseits hatte er all die Jahre für sie gesorgt, sodass sie es nicht über sich bringen konnte an ihm die höchste Strafe zu verhängen, die ihm das Leben nehmen würde.
„Wollen Sie ihn noch ein letztes Mal sehen?", erkundigte sich Wang.
Ein Hauch des Horrors überkam sie.
„Er ist völlig kampfunfähig", sicherte Wang ihr zu. „Er kann Ihnen nichts anhaben."
Sie zögerte, doch dann nickte sie. Wang winkte ein paar seinen Soldaten was zu und sie entfernten sich. Und es dauerte nicht lange bis sie zurückkamen. Anscheinend hatten sie ihn nicht sofort weggesperrt, sondern nur in einer einsamen Ecke verwahrt. Der blaue Pfau wehrte sich nicht, als sie ihn in das Gebäude führten. Fesseln aus Eisen lagen um seinen Hals, Flügel und Füße, die wiederum mit einer Kette verbunden waren. Von Zeit zu Zeit sträubte er sich ein bisschen, als wäre er in der Lage die Ketten mit einer Bewegung zu sprengen. Die Schnittwunde von Shen hatte aufgehört zu bluten, aber ein großer Blutfleck zierte seinen linken Flügel.
Die Soldaten platzierten sich in der Halle aber mit genügend Abstand zur Pfauenhenne.
„Na schön", begann Wang mit verschränkten Armen. „Dein Verhalten war mehr als rücksichtlos gewesen. Aber da ich den Willen deiner Frau respektiere, sehe ich davon ab an dir die schlimmste Strafe zu verhängen. Du wirst in den Steinmienen arbeiten. Dort wirst du genug Beschäftigung haben."
Xiang sah ihn mit bockigem Gesichtsausdruck an, so als habe er vor ihn anzuspringen und sein Gesicht zu zerkratzen. Sein hasserfüllter Blick fiel auf seine ehemalige Familie.
Plötzlich stürmte er nach vorne, aber die Ketten verhinderten, dass er sie erreichen konnte. Ärgerlich riss er an den Ketten.
„Du verfluchte Hexe!", schrie er. „Komm mir nur noch einmal unter die Augen und ich werde...!"
Plötzlich warf Shen mehrere Federmesser vor ihm auf den Boden und verfehlten nur ganz knapp die Füße seines Rivalen. Das brachte den blauen Pfau erst mal zum Schweigen, aber seine Wut war noch lange nicht verflogen.
„Wag es nur einmal in ihre Nähe zu kommen!", fauchte Shen drohend. „Dann wirst du derjenige sein, der stirbt!"
Beide stierten sich an.
„Das glaube ich eher weniger", zischte Xiang.
Yin-Yu bemerkte wie kurz Shen davorstand, erneut ein Messer auf ihn zu werfen, hielt ihn aber gerade noch davon ab den blauen Pfau zu erdolchen. Stattdessen drückte sie seine Flügel runter und sah ihn bittend an. Nicht so.
Ein bisschen ruhiger nahm er sie in die Flügel, als er spürte, wie die Angst sie wieder vereinnahmte.
Vor lauter Hass verengte der blaue Pfau die Augen.
„Denkt nur nicht, dass ich das auf mir sitzen lasse!", brüllte er und zog erneut mit aller Kraft an den Fesseln. „IHR SEID ALLE TOT!"
Ungehalten packte König Wang ihn an der Halskette. „Sei froh, dass seine Frau dich am Leben lässt."
Er schleuderte ihn von sich.
„Führt ihn ab!", befahl er. „Ich kann ihn nicht mehr sehen."
Die Soldaten gehorchten, aber Xiang dachte nicht daran einfach so aufzugeben und fuhr mit seinem Herumgefluche unbeirrt fort, während man ihn wegzog. Doch bevor man ihn endgültig wegbrachte, drehte er sich nochmal um. „Ich werde zurückkommen! Ich schwöre das bei meinem Tod!"
Verwirrt rieb sich Po den Kopf. „Äh, du meinst mit deinem „Leben", oder etwa nicht?"
Ein schneidender Blick von Xiang ließ den Panda erschaudern.
„Ihr werdet dafür bezahlen!", war der letzte klare Satz, den sie von ihm hörten. Seine Schreie wurden leiser bis sie ganz verklungen waren.
Po warf Wang einen zweifelnden Blick zu. „Das hat er aber jetzt nicht ernst gemeint, oder?"
Doch Wang winkte ab. „Keine Sorge. Der kommt nicht wieder."
Unsicher sah Po in die Richtung, in die man Xiang verschleppt hatte. „Na hoffentlich."
Besorgt sah er zu den anderen. Shen hatte sie wieder in die Flügel genommen. Mittlerweile war Wang an sie herangetreten und seine Augen blieben auf Yin-Yu hängen.
„Tja, ich vermute mal, dass Sie nicht hierbleiben möchten, oder?"
„Das glaube ich kaum", flüsterte Po ihm zu. „Die haben seit 17 Jahren auf diesen Moment gewartet. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass sie..."
„Panda!", schnitt Shen ihm das Wort ab.
„Schon gut. Ich bin ja schon still. Tschuldigung. Ich hab ja nur gedacht..."
„Hört zu, König Wang", begann Yin-Yu. „Euer Vorschlag ehrt mich sehr, aber ich habe bereits eine Familie."
Damit nahm sie Shens Flügel in ihre und Wang musste ihre Entscheidung akzeptieren.
„Aber was wird jetzt aus Ihrer Heimatstadt?", fragte der Ochse weiter.
Sie tauschte kurz einen Blick mit Shen. Aber es war eine klare Sache, dass sie nie wieder einen Fuß in Xiangs Stadt setzen wollte.
„Ich übertrage Ihnen die Verantwortung darüber", sagte sie. „Ich kann dort nicht bleiben."
König Wang rieb sich den Kopf. „Na gut, aber..."
„Po?! Bist du hier?!"
Wie elektrisiert drehte Po sich um und sah wie Mr. Ping im Eingang stand.
„Dad?"
Hinter dem Gänserich folgten die Wahrsagerin und Xinxin.
„Wie kommst du denn hierher?"
„Durch den Tunnel", erklärte Mr. Ping. „So wie ich dich kenne, hast du es wohl bereits geschafft und ich dachte nur, dass du Hunger hast... Liebe Güte! Ich wollte nur sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist."
Po rannte auf ihn und umarmte ihn. Schnee rieselte auf den Boden.
„Das war nicht mein Verdienst", meinte Po und ließ ihn wieder los. „Jemand anderes hatte die meiste Arbeit erledigt."
Er schaute zu den beiden Vögeln und Mr. Ping verstand. Po führte ihn zu ihnen, doch Shen und Yin-Yu schienen sie nicht so richtig zu bemerken. Nicht einmal die Wahrsagerin, die sie mit einem warmen Lächeln beobachtete. Mittlerweile wanderte Pos Blick von einem zum anderen.
„Hey, bilde ich es mir nur ein, oder steht noch etwas an?"

Der letzte KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt