16. Eisiges Wiedersehen

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Po bekam irgendwie nicht so richtig mit, was um ihn herum passierte. Alles was er sah war nur, dass Shen mit langsamen Schritten eine Treppenstufe weiter runterglitt. Der Panda drehte sich nach hinten um. Die Pfauenhenne war zu Boden gesunken. Vor lauter Schreck sprang der Drachenkrieger auf.
„Oh nein! Sie ist tot!... Nein, sie atmet noch!"
Während Po aufgeregt um sie herumhüpfte, schritt Shen die Treppe langsam herab. Sein emotionsloser Gesichtsausdruck blieb unverändert. Nur seine Augen waren auf die Stelle gerichtet, an dem die Lady niedergefallen war.
In der Zwischenzeit hatte Po sie auf den Rücken gedreht und wedelte mit den Tatzen über ihr Gesicht.
„Sie braucht frische Luft!"
„Panda", begann der weiße Lord mit ruhiger, gelassener Stimme und überquerte die letzte Stufe. „Sie ist nur in Ohnmacht gefallen, bevor du noch vorhast Mund zu Mund Beatmung zu machen."
Po war nahe daran ihren Schnabel zu öffnen, aber dann hielt er inne und dachte nach.
„Oh, okay, okay, jetzt hab ich's kapiert. Natürlich, niemand außer dir darf ihre Lippen berühren, stimmst?"
Shens Gesichtszüge zogen sich wutschnaubend zusammen und der Pfau verschränkte die bereits schon zusammengelegten Flügel nur noch mehr. „Könntest du endlich damit aufhören, Panda? Was ich damit meinte ist, dass sie es nicht verdient. Wie ich bereits sagte – sie bedeutet mir nichts."
Po verdrehte die Augen und wedelte genervt mit den Tatzen. „Warum sagst du das jedes Mal?! Könntest du mir mal erklären, was sie dir getan hat?!"
Doch Shen wich seinem Blick aus. „Es geht dich nichts an, Panda!"
Verärgert verengte der Panda die Augen. „Es heißt immer noch Po. Und ich muss dir sagen, dass ich dein kindisches Verhalten langsam satthabe."
„Kindisch?" Ein kaltes Lächeln huschte über die Schnabelwinkel des Lords. „Du solltest nicht über Dinge reden, von denen du keine Ahnung hast."
„Über was soll ich denn jetzt schon wieder eine Ahnung haben?!"
Der Lord verfiel zurück in seine stolze, stramme Haltung und schloss und öffnete seine Augen sehr langsam.
„Lass es mich dir erläutern, Panda. Ich habe ja bereits über deine Naivität gesprochen. Und was du da vor dir liegen siehst, ist die Verruchtheit in Person. Sie weiß ihre Verlogenheit sehr gut zu verstecken."
Er hielt inne. Ein schwaches Stöhnen erfüllte den Raum. Die Pfauenhenne begann sich wieder zu bewegen, aber ihre Augen waren immer noch geschlossen. Nervös tippte Po die Finger aneinander, als sie zu blinzeln begann. Vor ihr war die Sicht noch ganz verschwommen und sah nur einen weißen und einen weiß-schwarzen Schatten.
„B-bin ich tot?", fragte sie schwach.
Po blickte zu Shen. Doch der zog es vor zu Schweigen. Aus diesem Grund machte Po den ersten Schritt.
„Nein, Sie sind nicht tot. Glaube ich." Vorsichtig beugte er sich über sie. „Lassen Sie mich Ihnen hochhelfen."
Sachte schob er seine Tatzen unter ihre Flügel und richtete sie auf. Sie war immer noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber sie fand Kraft genug sich oben zu halten. Jetzt hatte sich ihr Sehvermögen soweit wieder erholt, dass sie klar sehen konnte. Po blieb hinter ihr stehen und beobachtete wie sie auf den weißen Pfau starrte, der immer noch dastand wie eine Statue. Endlich schaffte sie es ihren Schnabel zu bewegen.
„Du – du bist-"
Shen verengte die Augen. Kein Lächeln war zu sehen. Das war kein positives Zeichen. Er sah aus, als wäre sein Blick pures Gift. Vor lauter Angst schnappte Po nach Luft und befürchtete sie würde wieder zu Boden sinken. Doch stattdessen ließ sie sich nach vorne fallen und umarmte den Lord in einer verzweifelten Art und Weise, als befürchtete sie, er würde sich jeden Moment in Luft auflösen.
„Ich habe dich vermisst", flüsterte sie heiser.
Für einen kurzen Moment hoffte Po, er würde ihre Umarmung erwidern und seine Flügel um sie legen. Doch dann...
Blitzschnell drückte er ihre Flügel runter und stieß sie von sich, wobei er ihr wütend ins Gesicht schaute.
„Nach so langer Zeit und das ist alles, was du zu sagen hast?!"
„Also wenigstens ein „Hallo" wäre angebracht gewesen", dachte Po.
Die Pfauenhenne war wie vor dem Kopf geschlagen und starrte ihn mit großen, unsicheren Augen an. „A-aber, ich... ich dachte... du wärst tot."
Wutschnaubend wich Shen noch etwas weiter von ihr weg und wandte sich ab. „Überrascht? Mm. Du riskierst nicht gerade eine große Klappe, wenn du vor mir stehst, was?"
Po beobachtete wie Yin-Yus Flügel zu zitternd begannen. Ihr rechter Flügel platzierte sie über ihre Brust als hätte sie Sorge, dass ihr Herz jeden Moment aussetzen könnte. Ihre Augen wurden feucht.
Shen warf ihr einen bösen Seitenblick zu.
„Ja, ich weiß alles, Fang. Oder sollte ich besser sagen: Yin-Yu?"
Ihre Stimme erstarb. Da war kein Laut mehr in ihrer Kehle. Aber irgendwie nahm sie einen starken Atemzug, aber ihre Stimme zitterte immer noch.
„E-es tut mir leid. Ich wollte... ich wollte dich nie verlassen... aber ich hatte Angst wegen der Wachen meiner Eltern."
„Ich weiß", schnitt Shen ihr das Wort ab. „Xia hat es mir bereits gesagt."
„Du hast sie gesehen?"
„Schweig!" Er riss seine Robe herum. „Ich bin nur wegen einer Sache gekommen. Sag mir – stammen diese beiden Kinder von mir, oder nicht?!"
Sie zögerte. Shen sah sie so drohend an, dass sie Zeit brauchte, um genug Mut für eine Antwort zu sammeln. Shen beobachtete ihre Schnabellippen wie ein Raubtier seine Beute.
„J-ja."
Ihr erstickter Schrei wurde jäh abgebrochen, als er auf sie sprang. Beide Vögel landeten auf den Steinboden. Sie auf dem Rücken, während der Lord auf ihrem Oberkörper stand und ihren Hals mit seinen Krallen seines Fußes festhielt. Po musste sich extrem beherrschen nicht dazwischen zu gehen. Shens Körper zitterte vor Zorn, während er mit kontrollierter, aber explosiver Stimme, weitersprach.
„Wie oft willst du mich noch anlügen?!"
„Was für Lügen?", stieß sie atemlos hervor. „Ich gebe ja zu, dass ich dir meine wahre Herkunft verschwieg, war eine Lüge, aber... sie sind deine Kinder...!"
„Oh, wirklich?" Der Sarkasmus in seiner Stimme war mehr als hart. „Denkst du ich habe bereits vergessen, was du mir geschrieben hast? Wie dumm bist du eigentlich?! Oder viel mehr, für wie dumm hältst du mich? Bist du so verlogen, dass du dachtest, mich mit einem einfachen Brief abservieren zu können und ich mir später dein Gefasel anhören soll?! Warst du so feige und konntest es mir nicht direkt ins Gesicht sagen?! Was glaubt du eigentlich, wer du bist?!"
Die Dame war wie gelähmt.
„E- ein Brief? Ich verstehe nicht. Na-natürlich hatte ich einen geschrieben, a-aber das ist unmöglich, du konntest ihn nicht bekommen haben. Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt ihn abzuschicken."
Shen stieß fauchend die Luft aus. „Ich kann nicht glauben, dass du darüber ohne Bedauern reden kannst und immer noch die Frechheit besitzt mir dabei in die Augen zu sehen! Du bist das Verlogenste was ich je sehen musste!"
Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte und schwieg vor lähmenden Schock, während Shen eine Welle der Genugtuung verspürte.
„Hast du jetzt Angst?" Sachte bewegte er seine Krallen hochwärts. „Oder bin ich dir immer noch nicht gut genug?"
Ein Schimmer von Scham und Traurigkeit überzog für einen kurzen Moment sein Gesicht, bevor es wieder in Hass überging.
„Ich hatte wirklich geglaubt, du würdest was für mich empfinden. Ich hatte es wirklich geglaubt..."
„Aber... aber das tat ich doch..."
Sie zuckte zusammen, als er seine Krallen tiefer in den unteren Teil ihres langen Halses grub.
„Solange ich nicht präsent bin, denkst du, du kannst mich umherstoßen wie du willst und mich dabei zum Narren halten, was?!"
Sie begann zu schluchzen.
„Nein – das zwischen uns... unsere Nacht... war keine Lüge."
Shens Gesicht entspannte sich ein wenig. Doch nicht vollständig. Er kletterte von ihr runter und knurrte düster. Po überkam ein Schauer der Angst. Noch hie hatte er Shen so außer sich erlebt wie jetzt.
Der Pfau drehte ihr den Rücken zu.
„Ich habe dir alles gegeben", sprach er verbittert. „Meinen Respekt. Meine Rücksicht. Meine innersten Geheimnisse... jetzt alles für gar nichts; für ein heuchlerisches Ding wie dich."
Er drehte sich wieder zu ihr um. Ein hämisches, schadenfrohes Lächeln umspielte seine Schnabelwinkel. „Ich erinnere mich. Unsere Nacht. Ich nannte dich Silber. Erinnerst du dich? In der Nacht, wo wir uns geliebt haben. Ich zählte jede silberne Feder deines Körpers."
Er schleuderte dem Panda einen warnenden Blick zu. Dieser räusperte sich und schaute weg. Yin-Yu wusste nicht, was Shen als nächstes vorhatte. Sie streckte ihren Flügel nach ihm aus, um seinen Flügel zu fassen. Doch noch ehe sie eine Feder berühren konnte, wich er zurück und mied ihre Berührung.
Seine Augen waren kalt und eisig.
„Sag mir", flehte sie. „Was habe ich getan?!"
„Vergiss es!" Mit Abscheu winkte er sie mit seinem Flügel weg. „Ich hasse dich mehr als alles andere in dieser verdammten, verdreckten Welt!"
„Ich, aber ich dachte, du und ich, wir würden..."
Aber der Lord ließ sie nicht ausreden. Statt sie wieder anzuspringen, warf er sie zu Boden. Mit einem Fuß drückte er ihr auf die Kehle.
Die Frau geriet in Panik. „W-was tust du...?! Ich weiß nichts... Vergib mir!"
Doch der Lord hörte ihr gar nicht zu und beugte sich über ihr Gesicht.
„Das hättest du dir früher überlegen sollen", sagte er eisig. „Doch was du mir angetan hast, ist unverzeihlich. All die Jahre habe ich auf diesen Tag gewartet." Er lächelte böse. „Ich hatte einen Traum. Wo du tot vor meinen Füßen liegst."
Ein entsetzlicher Ruck ging durch den Körper der Frau, als er eines seiner Federmesser vor ihr Gesicht zog.
„Du hast mich fallen lassen." Die Stimme des Lords hallte durch ihren Kopf. „Ich hatte vor, dir die Kehle damit durchzuschneiden."
Sie hielt den Atem an, als die scharfe Klinge ihren Schnabel berührte. Shens Gesicht wechselte zu einem mitleidigen Spott.
„Aber du sollst für meinen Schmerz, den du mir bereitet hast, genauso leiden. Hattest du gedacht, ich hätte ein Gefühl? Ist es wegen meiner Farbe? Oh nein, komm mir nur nicht wieder mit dieser Schnee-Geschichte. Das war eine schlechte Masche. Doch ich bin bereit dir das Gesicht zu zerschneiden, sodass jeder deine hässliche Visage sehen kann, die du unter deinen dunklen Federn verbirgst."
„Nein!"
Po war nahe daran vorzupreschen, aber die Stimme des jungen Mädchens ließ ihn erstarren. Ein farbiger Schatten tauchte auf, stieß den Lord zur Seite und warf sich über die Pfauenhenne.
Der Panda riss die Augen auf.
„Xia?"
Die Stimme ihrer Mutter sendete einen Schauer der Erleichterung durch sie mit der Gewissheit, dass noch Leben in ihr war.
Für einen Moment war der Pfau ziemlich verwirrt.
„Wie bist du...?"
„Ich hatte mich mit auf dem Karren versteckt!", antwortete das Mädchen, während sich ihre Fingerfedern um ihre Mutter klammerten.
Der Lord bebte vor Ärger. „Wie kannst du es wagen?!"
Jetzt sah sie zu ihm auf und funkelte ihn kriegerisch an. „Hattest du wirklich gedacht, ich würde dich mit ihr alleine lassen? Du schienst sie zu hassen. Ich hatte mir Sorgen gemacht."
„Aus sehr gutem Grund."
Der Pfau wollte keine weitere Zeit verlieren und versuchte sie wegzustoßen.
„Geh mir aus dem Weg!"
„Wie grausam bist du eigentlich?!"
Ihre Augen waren gefüllt mit Hass und Verzweiflung.
Der Lord knurrte. „Frag sie mehr wie grausam sie zu mir sein konnte!"
Po zuckte zusammen, als er spürte wie etwas Kleines auf seinen Kopf sprang.
„Verzeiht mir", sagte Tu und schaute in eines von Pandas Augen. „Da draußen ist ein ziemlicher Tumult. Wir sollten besser machen, dass wir von hier wegkommen, bevor sie noch alle Ausgänge blockieren."
„Oh, ja", stimmte Po nervös zu. „Leute! Vielleicht solltet ihr den Familienstreit verschieben. Wir müssen ganz schnell von hier verschwinden."
Das musste Po nicht zweimal sagen. So schnell sie konnte half Xia ihrer Mutter hoch und rückte mit ihr in den Flügeln näher zum Panda, während Shen mit seiner Wut an Ort und Stelle stehen blieb.
Po konnte nicht anderes und beugte sich zu den jungen Pfauenhennen vor. „Alles in Ordnung?"
„Alles gut, danke", antwortete Xia kurz.
Ihre Mutter sagte nichts. Mit gesenktem Kopf stand sie da und hatte Mühe sich auf den Beinen zu halten. Po zog es vor erst mal keine Fragen zu stellen und warf Shen einen tadelnden, vorwurfsvollen Blick zu. Aber der Lord zeigte keine Reue für das, was er beinahe getan hätte. Seine Augen hingen immer noch über diejenige, die er vor langer Zeit geliebt hatte und jetzt nichts mehr als ein Nichts für ihn war. Sogar Tu wusste nicht die richtigen Worte zu finden, bis er sich dazu entschied es kurz zu machen.
„Na gut. Diesen Weg."
Po war der Erste, der sich in Bewegung setzte. „Okay, folgt..."
Plötzlich knallte etwas gegen ihn. Po fiel zur Seite und hörte kurz darauf jemanden fluchen.
„Hey!", beschwerte sich der Panda und rieb sich den Arm. „Kannst du nicht...?"
Po gefror das Blut in den Adern.
Das was ihn gerade so gerammt hatte, war ein zweiter Pfau.

Der letzte KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt