24. Besser als gar nichts

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„Und so sieht es momentan aus", beendete Po seinen Bericht nachdem Hangfan den anderen die Nachricht übermittelt hatte.
Sie standen zusammen in einem Raum mit ein paar anderen Schafen, Mr. Ping, der Wahrsagerin, sie sich wieder vollständig erholt hatte, Shen, und auf der anderen Zimmerseite mit Abstand zu seinem Sohn Sheng. Pos Blick ruhte besonders auf Shen. Doch der Vogel zeigte keinerlei Gefühlsregungen.
„Hey!", rief Po. „Sie ist gerade dabei wieder einen anderen zu heiraten! Macht dir das denn nichts aus?!"
Doch der weiße Pfau wandte sich wortlos ab und verließ den Raum. Po wollte ihm folgen, doch die alte Ziege hob den Arm und hielt ihn von seinem Vorhaben ab.
Sheng sah seinem biologischen Vater argwöhnisch hinterher. Dann ergriff er das Wort. „Ich bin jederzeit bereit sie da rauszuholen."
„Das ist ja alles schön und gut", meinte das Händler-Schaf. „Aber wie willst du in das Land der Hunnen reinkommen? Die Grenzen sind geschlossen. Selbst wenn sie das nicht wären, ich hab diese Woche keine Lieferung mehr an die Festung. Wir haben keinen Vorwand da reinzukommen."
Po rieb sich die Stirn. „Vielleicht könnten wir sagen, wir wären von einer Untersuchungsbehörde für illegale Grenzübergänger. Oder eine Touristengruppe, die die Burg besichtigen möchte."
Natürlich war das alles höchst unglaubwürdig, was auch Po einsehen musste.
„Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit."
Plötzlich sprang eine kleine Zikade auf Pos Kopf.
„Tu? Was machst du denn hier? Du solltest doch bei den anderen in der Burg sein und sie überwachen."
„Was sollte ich denn dort tun? Und überhaupt, wie wollt ihr sonst in die Festung gelangen?"
„Okay, okay", unterbrach Sheng. Obwohl er keine Ahnung hatte wer Tu war oder woher er kam. Er wollte nur so schnell wie möglich einen Plan auf dem Tisch haben. „Du sprachst von einer anderen Möglichkeit und woraus besteht sie?"
„Nun", begann Tu. „Vor der Grenze liegt ein versteckter Tunnel, der unter das Gemäuer führt."
„Hä?" Po nahm ihn von seinem Kopf runter. „Wieso haben wir diesen Weg nicht von Anfang an genommen?"
„Nun, die Sache hat einen Haken."
„Einen Haken?"
„Dieser Tunnel ist nicht mit den unterirdischen Gängen verbunden. Er führt dich nur zum Gefängnis. Ursprünglich war er als Fluchtweg gedacht, während die Burg noch unter chinesischer Herrschaft für eine Weile gestanden hatte. Nicht einmal Wang weiß von seiner Existenz."
Po rieb sich übers Kinn. „Nun, ist zumindest besser als gar nichts."
„In diesem Fall brechen wir sofort auf", verkündete Sheng und wandte sich zur Tür.
„Du bist aber schnell", meinte Po.
Sheng warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich will meine Mutter und meine Schwester befreien."
„Und was ist mit Xiang?"
Sheng hielt inne.
„Du hast dich nicht einmal nach ihm erkundigt. Warum nicht?"
Der junge Pfau hob die Nase hoch. „Er schafft das alleine. Er schafft immer alle Dinge alleine. Wenn dem nicht so wäre, so wäre er ein Schwächling."
„Denkst du wirklich so?"
„Er sagte es mit seinen eigenen Worten", kommentierte Sheng eisig. „Sonst wäre er ein Nichts. Das ist was er stets zu sagen pflegte."
Damit verließ er den Raum und ging nach draußen.
Pos Augen wanderten rüber zu Mr. Ping. „Ähm, nun, ich vermute mal, dass du nicht mitkommen willst, oder?"
Mr. Ping lächelte. „Ich bin mir sicher, dass du das schaffen wirst, Po. Und nebenbei bemerkt, ist es wohl das Beste, wenn ich mein Bein noch etwas schone."
„Oh, ja, dein Bein... DEIN BEIN! Warum hast du mir nichts... oh, dein Bein, dein Bein! Das hab ich ja total vergessen!"
„Aber Po, er war doch nur verstaucht. Es ist schon alles wieder in Ordnung."
Po schlug sich die Tatzen über den Kopf. „Es tut mir so leid, Dad! Ich hab gar nicht mehr daran gedacht... Ich hatte so viele Dinge im Kopf."
„Po, jetzt mach dir mal deswegen keine Sorgen. Geh ruhig. Sie brauchen dich."
Po schaute zur Tür. „Ich denke, sie brauchen jemanden mehr als mich."

Shen stand außerhalb des Dorfes und ließ seinen Blick über die verschneide morgendliche Landschaft schweifen.
„Wird das jetzt zur Tages-Routine?", murmelte Po, als er den weißen Pfau wieder so alleine dastehen sah und ihm den Rücken zugewandt hatte. Aber im Moment war jetzt keine Zeit über so etwas zu reden. Stattdessen ging er näher heran.
„Äh, Shen? Wir sind im Begriff uns auf dem Weg zu machen. Willst du jetzt mit uns mitkommen?"
Zuerst schwieg Shen. Doch dann bewegte er den Schnabel. „Ich denke, bei dir sind sie in besseren Händen als in meinen."
Nervös rieb sich Po seinen Nacken. „Hey, hör mal. Ich - ich bin mir sicher sie... sie lie... mag dich immer noch."
Shen schloss die Augen und senkte den Blick. „Warum sollte sie das tun?"
Der Panda rubbelte seine Fingerspitzen aneinander. „Äh, nun, vielleicht... ich... ich könnte mir das so vorstellen... Du.. du kennst sie besser als ich. Kannst du denn nichts fühlen, dass sie genauso fühlt? Komm schon. Du weißt es und ich weiß es auch." Er versuchte den Pfau von der Seite anzusehen. „Oder etwa nicht?"
Doch Shen sah ihn immer noch nicht an. „Wie kannst du über Dinge reden, von denen du keine Ahnung hast?"
Po nahm einen tiefen, verärgerten Atemzug. „Na schön, ich hab vielleicht von solchen Sachen nicht den blasstesten Schimmer, aber ich bin mir sicher, dass sie dir bereits vergeben hat."
Jetzt überwand sich der weiße Lord ihn direkt in die Augen zu sehen und funkelte vor Ärger. „Woher willst du das wissen?!"
„Weil ich es bereits getan habe!"
Verwundert riss der Pfau die Augen auf.
Doch Po änderte nichts an seiner verärgerten Miene. „Ja, genau das ist das, was ich denke."
Der Pfau brachte immer noch kein Wort heraus.
„Hast du denn bereits alles vergessen?" Po klang ein wenig enttäuscht. „Der Tag im Tal des Friedens? Wir haben unsere Waffen niedergelegt. Hab dir ein Friedensangebot gemacht. Selbst nachdem ich wusste, dass du meine Eltern ermordet hast. Du hast mir schlimme Dinge angetan. Aber das ist nicht dasselbe, was du ihr angetan hast. Na schön. Du hast einen Fehler gemacht. Wir machen alle mal Fehler. Doch du hast bei ihr einen Vorteil. Sie hat dich geliebt. Oder etwa nicht? Und wenn du sagst, dass dir das alles Leid tut, dann bin ich mir sicher, dass sie dir verziehen wird, was du ihr angetan hast. Und sag jetzt nicht schon wieder, nein. Okay?"
Er verschränkte die Arme. Plötzlich war er selber über seinen Ton überrascht und befürchtete, er wäre jetzt zu weit gegangen. Aus diesem Grund hielt er es für das Beste ihn jetzt zu verlassen.
„Lass es uns wissen, wenn du mitkommen willst. Wir starten in 30 Minuten." Er zögerte. „Oh, und falls du wissen willst wie, wir werden einen kleinen Tunnel nehmen, der ins Gefängnis führt. Nur so eine Idee. Aber besser als gar nichts."

„Sei bitte vorsichtig, Po", bat Mr. Ping und umarmte den Panda.
„Das werde ich, Dad. Keine Sorge", sagte Po und legte nun ebenfalls seine Arme um ihn herum.
Sheng, der neben ihnen stand, beobachte die beiden nachdenklich. Aber nur für ein paar Sekunden.
„Können wir jetzt gehen?", fragte er ungeduldig.
„Na gut." Po gab Mr. Ping noch einen letzten Drücker. „Wir werden bald wieder zurück sein."
Er entließ den Gänserich, doch plötzlich hob er überrascht den Kopf. Ein vertrauter weißer Pfau spazierte durch den Schnee, trug seine weiß-rote dicke Robe und sah die kleine Gruppe mit tiefster Gleichgültigkeit an. Er streifte die Augen seines Sohnes sehr kurz, dann drehte er sich nach links und erweckte den Eindruck als würde er nur auf etwas warten. Po lächelte. Shen musste es nicht sagen, aber er war bereit mit ihnen zu gehen.
„Nuuunnnn", verkündete Po gedehnt und wandte sich der Zikade Tu zu. „Dann zeig uns mal den Weg. Wir sind bereit."
Die Zikade zitterte mit ihren Antennen. „Na gut. Aber nur wenn ich auf deinem Kopf bleiben darf."
„Auf meinem Kopf?"
„Ich bin nicht so ein großer Kerl wie du, der so lässig durch das gefrorene Wasser stolzieren kann."
„Oh, okay."
Damit nahm das kleine Insekt seinen Platz ein und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Zuerst Po und Tu, dann Sheng. Shen wartete noch bis sie an ihm vorbei waren, und war gerade im Begriff ihnen zu folgen, als ihn jemand im nächsten Moment am Ärmel festhielt.
Er schaute auf die Wahrsagerin, die ihm ein bittendes Lächeln schenkte.
„Shen. Es ist noch nicht vorbei."
Sie hielt ihm etwas hin. Es war die weiße Feder mit dem roten Kreis und dem schwarzen Fleck in der Mitte, die Xia ihm bei ihrem ersten Treffen gezeigt hatte. Yin-Yus Andenken an ihn.
Shen nahm die Feder und betrachtete sie. Dann steckte er sie unter seinen Flügelfedern und setzte seinen Weg fort.
Mr. Ping und die Wahrsagerin blieben vor den Häusern stehen und sahen ihnen nach.
„Viel Glück!", rief Mr. Ping
„Danke, Dad!", rief Po zurück und winkte ihm zu. „Nur keine Sorge. Wir passen schon..."
Plötzlich rutschte er aus und schlittete den Hügel runter.
„Po!"
„Nichts passiert!", hörte der Gänserich Pos Stimme zu ihm hoch rufen. „Alles in Ordnung!"

Der letzte KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt