29

14.8K 777 41
                                    

„Uh, das ist hübsch, leihst du mir das mal?“ Eleanor hielt eins meiner Tops in die Höhe und betrachtete es. „Jep“, erwiderte ich und holte die letzten beiden Kleidungsstücke aus dem Umzugskarton. 

Wir waren in meiner neuen Wohnung und räumten den Kleiderschrank ein, während Harry und Louis mein Bett aufbauten. Oder, nach ihrem Fluchen zu urteilen, es zumindest versuchten. Aber sie hatten es ja unbedingt machen wollen, weil sie ja die Männer waren.

„Nein, Harry, das ist die falsche Schraube!“, rief Louis und wedelte mit der Anleitung rum. „Die hast du mir gerade gegeben!“, schimpfte Harry und schmiss die Schraube zurück in das kleine Schälchen. Er strich sich mit einer Hand die Locken aus dem Gesicht, während er wartete, dass Louis herausgefunden hatte, welche Schraube er jetzt nehmen sollte. Er sah so gut aus, wenn er das machte…

„Hey!“ Eleanor fuchtelte mit einer Hand vor meinem Gesicht rum. „Hör auf Harry anzustarren und sag mir wo du deine Sweater hinhaben willst.“ Sie deutete demonstrativ auf den Kleiderschrank, der wahrscheinlich groß genug war, um das Doppelte meiner Klamotten hineinzustopfen. „Egal“, murmelte ich und schielte kurz zu Harry, der belustigt grinste. Dann stand ich auf und holte den nächsten Karton.



Ein paar Stunden später war alles fertig und Louis und Eleanor waren gegangen. Ich rannte total begeistert durch meine Wohnung, während Harry auf dem Sofa saß und mit „Ja, finde ich auch“ und „Da hast du Recht“ auf meine Schwärmereien über Teppiche, Wandfarbe, die passende Bettwäsche zu den Vorhängen und über alles andere. „Das ist die schönste Wohnung, die ich je hatte!“, rief ich glücklich und schmiss mich auf mein Bett. „Ist ja auch deine erste“, erwiderte Harry vom Sofa aus. 

Es klingelte. „Es hat geklingelt“, brüllte Harry. Ach nein. „Und hast du gehört wie schön das klingt?“ Ich hüpfte über den Teppich, den Liam und Danielle mir zu Weihnachten geschenkt hatte in den Flur, der mit dem Bad der einzige geschlossene Raum in der Wohnung war, und machte die Tür auf. Vor mir stand Patrick, mein Mitarbeiter von Hollister mit dem Eleanor mich vor Harry verkuppeln wollte und der seitdem irgendwie merkwürdig drauf war. „Pa-Patrick“, sagte ich überrascht. „Was machst du hier?“ Ich wusste noch nicht mal, dass er wusste wo ich wohnte. „Ich hab deine Adresse von Mitch bekommen“, erwiderte Patrick schnell. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich…also, dass ich… Na ja, ich weiß , wir haben nicht besonders viel miteinander zu tun, aber ich ziehe bald um und ich dachte. Nun ja, wenn nicht jetzt, wann dann?“ Er lachte kurz auf. Ich war verwirrt. Was wollte er mir damit jetzt sagen? „Ich habe mich irgendwie… total in dich verliebt, Sophia!“ Fassungslos starrte ich ihn an. Was? Ich hatte noch nie mehr als zwei Worte mit ihm gewechselt und verdammt, er wusste, dass ich mit Harry zusammen war! Patrick deutete mein Schweigen wohl als positiv und drückte mich gegen die Wand. Moment, was ging denn jetzt? Bevor ich reagieren konnte, fing er an mich zu küssen.  Mein protestierendes „Hör auf! Sofort!“ hörte sich eher an wie ein Hund, dem man auf den Fuß getreten war. Meine Versuche ihn wegzuschieben waren beinahe unmöglich, denn der Typ trainierte anscheinend extrem viel für sein Sixpack und dachte gar nicht daran, mich in Ruhe zu lassen. Was sollte das? Ich hatte Patrick eigentlich immer als netten, zurückhaltenden Typen gehalten, aber das fand ich weder nett noch zurückhaltend, das war einfach nur widerlich.

„Hey! Finger weg von meiner Freundin, du Penner!“ Patrick sprang zurück und sah Harry, der wütend in der Tür zum Wohnzimmer stand, erschrocken an. „Harry!“, rief ich und rannte zu ihm. „Alles okay?“, fragte er leise. Ich nickte. „Und du…“ Harry ging wütend auf zwei Schritte auf Patrick zu. „Sie wollte das nicht, das hast du gemerkt, oder?“ Patrick strich sich nervös durch die Haare. „Äh, ja… also ich…“ er war tatsächlich ein paar Zentimeter kleiner als Harry. Und dann machte er einen ganz entscheidenden Fehler.

„Bist du dir sicher, dass sie es nicht wollte?“ Ich hatte Harry immer für seine unglaubliche Geduld bewundert, aber selbst die hatte ihn jetzt wohl verlassen. Er machte einen letzten Schritt auf Patrick zu, holte aus und schlug ihm voll ins Gesicht.

In einem unrealistischen Horrorfilm wäre das Blut wahrscheinlich bis an die Decke gespritzt, aber hier, in der Realität, hörte man nur einen dumpfen Laut und ein „Umpfh!“ von Patrick. „Harry, hör auf!“, kreischte ich erschrocken, als er wieder ausholte. „Du tust ihm weh!“ 

„Ich-“, er brach ab. „Ich tue ihm weh? Ich tue ihm weh?“ Er strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Dann hat er am Ende vielleicht Recht und du wolltest das wirklich?“ 

Wie bitte? „Nein!“, protestierte ich und schüttelte den Kopf. 

„Warum schützt du ihn dann?“ Schützen? So langsam übertrieb er das ganze aber. 

„Ich schütze ihn doch nicht!“ Wieso glaubte er mir denn nicht?

„Und was tust du dann?“, fauchte er und schubste Patrick zurück, der anscheinend etwas hatte sagen wollen.

„Gute Frage“, brüllte ich zurück. „Was mache ich hier überhaupt?“ Ich warf die Hände fassungslos in die Luft. „Ich verteidige mich für irgendwas total Unwichtiges, Albernes, Kindisches!“ 

„Unwichtig, albern und kindisch also, ja?“, schrie Harry.

„Genau das ist das hier doch!“, erwiderte ich wütend. 

„Du siehst unsere Beziehung also als unwichtig, albern und kindisch?“ Er sah mich wütend an.

„Das habe ich doch gar nicht gesagt!“, rief ich und warf die Arme in die Luft.

„Aber gedacht!“, schrie er.

„Woher willst du denn wisse, was ich denke? Heißt du neuerdings Edward Cullen, oder was?“ Idiot. Idiotidiotidiot.

„Ich sehe dir das doch an!“, verteidigte er sich. Hä?

„Das macht keinen Sinn, Harry“, erwiderte ich und verschränkte die Arme.

„Was macht keinen Sinn?“ Er war wirklich sauer gerade. Wieso hätte Patrick nicht einfach wegziehen können?

„Deine Logik“, klärte ich Harry auf.

„Meine Logik macht keinen Sinn?“, brüllte er. „Meine Logik?“

„Richtig“, erwiderte ich ruhig. Ganz ruhig, Sophia, ganz ruhig. Es bringt euch überhaupt nicht weiter, wenn du jetzt ausrastest. 

„Schön, dann gehe ich jetzt“, meinte er und drehte sich zur Tür um.

„Geh doch“, rief ich wütend hinter ihm her. Mir egal, was uns weiterbrachte oder nicht. Wenn er gehen wollte, bitte. Ich würde ihn nicht aufhalten.

Ein paar Sekunden später hörte ich im Erdgeschoss die Tür zuknallen. Der ging doch jetzt nicht wirklich? Ich hastete zum Fenster und schaute auf die Straße. Und tatsächlich schlängelte sein schwarzes Auto durch den nachmittäglichen Verkehr. Er war weg. 

„Sophia, also… das tut mir echt leid. Das wollte ich nicht, aber ich bin doch viel…“ Ich drehte mich um und blitzte ihn so böse an, dass er verstummte. Gut so. „Raus.“ Meine Stimme zitterte. „Aber er ist doch wirklich-…“, fing er wieder an. „Raus!“, brüllte ich. „Du bescheuerter Vollidiot hast alles kaputt gemacht!“ Patrick ging zur Tür. Und dann war auch er weg. Ich warf mich heulend auf mein Bett. Welch Ironie, dass Harry es zusammen mit Louis noch vor ein paar Stunden aufgebaut hatte.

Ich hatte mich inzwischen einigermaßen wieder eingekriegt und beschlossen Eleanor anzurufen. Als ich Harry als meinen Handygrund sah, fing ich wieder an zu heulen. Irgendwann hatte ich es dann tatsächlich geschafft mich von seinen Grübchen und seinen Augen und seinen Locken und seinem Lachen, von ihm, loszureißen und mein Handy wählte Eles Nummer. Besetzt. Wieso war denn jetzt besetzt, verdammt? Okay, zweite Möglichkeit: Niall. 

„Nialler“, schluchzte ich ins Telefon. „Oh Gott, Phia, was ist passiert?“, hörte ich Nialls erschrockene Stimme. „Ich hab Scheiße gebaut“, schniefte ich. Wo hatte ich denn nochmal die Taschentücher? „ich komme vorbei.“ Mein Geheule schien mächtig Eindruck zu machen. „Okay“, sagte ich und fing wieder an zu heulen, als ich daran dachte, warum ich überhaupt weinte. „Und ich bring was zu essen mit. Eis oder Schokolade oder so.“ Dann legte er auf und ich musste tatsächlich grinsen. Niall und sein Essen, typisch.



Ein paar Minuten später war Niall dagewesen, tatsächlich zusammen mit einer Tasche voll Eis und Schokolade. Also saß ich mit ebendieser Tasche und eine großem Löffel auf meinem Bett und erzählte Niall essend was passiert war. „…und dann ist er gegangen und ich habe Patrick angebrüllt und dann ist er auch gegangen“, schloss ich und schob mir einen großen Löffel Eis in den Mund. „Was mache ich denn jetzt?“, fragte ich mit vollem Mund und sah Niall hilfesuchend an. „Joa…“ Niall kratzte sich unbeholfen am Kopf. „Immerhin bist du da“, schniefte ich. Er lächelte, wahrscheinlich vor Erleichterung, dass ich keinen Rat in Sachen Harry von ihm verlangte. „Natürlich. Immer doch.“ 

Es klingelte wieder und während ich die erste Eispackung weglegte und bei der nächsten den Deckel abmachte, stand Niall auf, um zu öffnen. Ich hörte, wie er sich leise mit der Person an der Tür unterhielt und dann wie die Tür wieder ins Schloss fiel. Ich stopfte mir den ersten Löffel Schokoeis in den Mund. „Phia!“ Eleanor drängte sich an Niall vorbei und setzte sich neben mich aufs Bett, nachdem sie die leere Eispackung beiseite geschoben hatte. „Ich geh dann mal… ähm… das hier wegbringen“, meinte Niall und hob den Müll schnell auf. „Ich habe zwei Versionen gehört“, sagte Ele und nahm sich mit Nialls Löffel auch ein bisschen Eis, „und ich muss sagen, das ich eher Nialls glaube, als die von Harry und Louis. Auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass Patrick sowas macht.“ Ein Stein fiel mir vom Herzen. Was hätte ich nur gemacht, wenn Eleanor und Niall mir nicht geglaubt hätten? „Danke“, flüsterte ich und umarmte sie. „Passt schon, Süße“, erwiderte sie und strich mir über den Rücken. Ich fing wieder an zu heulen. „Oh Gott, was habe ich falsch gemacht?“ Eleanor sah mich erschrocken an. „E-e-er hat mich auch i-immer ‚Süße‘ genannt“, stotterte ich. Jetzt war ich total am Heulen.



Niall und Eleanor hatten mich irgendwann wieder soweit hergestellt, dass ich den Namen Harry hören konnte ohne gleich in Tränen auszubrechen und Eleanor hatte beschlossen bei mir zu übernachten, falls es wieder schlimmer werden sollte. Niall erklärte, er wäre zwar wirklich gerne geblieben, aber er müsste morgen wirklich früh raus, da er und die Jungs irgendwas wegen ihrem neuen Album mit ihrem Management besprechen mussten.

So blieben also Ele und ich zurück und beschlossen einen Mädelsabend zu machen. Ärgerlicherweise hatte ich noch nicht wirklich viel Essen im Kühlschrank, also bestellten wir Pizza und dazu eine Flasche Sekt. Ich war ein bisschen skeptisch mit dem Sekt, denn als wir das letzte Mal zusammen getrunken hatten waren wir ja danach doch ein bisschen… voll gewesen, aber Ele meinte, ich solle mich nicht so anstellen, das bräuchte man auch mal. Okay.



Wir hatten ungefähr die halbe Flasche Sekt ausgetrunken und waren (schon wieder…) ein bisschen angeheitert, als Eleanor vorschlug zu den Jungs zu fahren und Harry die Meinung zu geigen.

„Nein“, murmelte ich. „Nein, lieber nicht.“ 

„Ach, koooomm schoooon“, quengelte Eleanor. Sie bearbeitete mich so lange, bis ich schließlich zustimmte und nachdem wir den restlichen Sekt ausgetrunken hatten, riefen wir uns ein Taxi. Immerhin reichte die Aktivität unserer Gehirnzellen noch dafür, dass wir nicht selber Auto fuhren.



„Uuuund geklingelt!“ Eleanor kicherte und drückte ihre Nase an die Milchglasscheibe an der Haustür der Jungs. Ich bekam langsam ein etwas mulmiges Gefühl. Entweder das war der Alkohol oder ich hatte ein bisschen Schiss Harry zu treffen. Wenn ich ganz ehrlich war, tippte ich auf letzteres. 

„Mädels, was macht ihr denn hier?“ Niall hatte uns die Tür aufgemacht. „Ach, wir wollten mal Hallo sagen“, trällerte Eleanor und schob sich an ihm vorbei. Ich zuckte mit den Schultern und folgte ihr. Wenn ich schon mal hier war. „Ähm, Phia, bleib besser hier“, meinte Niall plötzlich und rief dabei meinen Namen merkwürdig laut. „Wieso?“, ich sah ihn verwundert an. Eleanor riss die Tür zum Wohnzimmer auf und ich wusste was er meinte. Neben Harry, oder besser auf Harry drauf, saß ein Mädchen. Schlagartig war ich wieder nüchtern. „Ich glaub es nicht!“, fauchte ich. Harry drehte sich erschrocken um. „Wir sind noch nicht mal richtig getrennt und du… du…du blöder Macho hast schon ´ne Andere?!“, kreischte ich. „Das… ist jetzt alles irgendwie ein Missverständnis“, rief Harry schnell. „Ein Missverständnis? Ein Missverständnis? Du machst mit dieser… dieser Tussi rum, weil wir uns einmal gestritten haben und sagst es ist ein Missverständnis?!“ Ich war enttäuscht von ihm. Klar, wir hatten uns gestritten, aber hatten wir Schluss gemacht? Nein. „Du hast doch auch deinen komischen Typen da geküsst!“, brüllte Harry zurück. „Er hat mich geküsst!“, schrie ich. „Und ich habe versucht mich zu wehren! Falls du mal darauf geachtet hast, der war fast so groß wie du, was sollte ich denn machen, verdammt nochmal?“ Das schien ihm ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gut. „Vielleicht hättest du ihn danach dann nicht verteidigen sollen“, meinte er dann kühl. „Vielleicht dachte ich, dass du nicht als gewalttätig in der Zeitung stehen wolltest“, erwiderte ich genauso kalt, auch wenn ich mich innerlich überhaupt nicht so kalt fühlte. „Das… ist ein guter Punkt“, murmelte Harry. „Genau, das ist ein guter Punkt, der vollkommen offensichtlich ist. Und du suchst dir die nächstbeste Tussi und machst… keine Ahnung was mit ihr! Und jetzt sag mir nicht wieder, dass das ein Missverständnis ist“, unterbrach ich seinen Versuch etwas zu sagen. „Ich bin nämlich nicht total bescheuert.“ Ich sah ihn ein letztes Mal traurig an, drehte mich dann um und lief nach oben in mein altes Zimmer. 

Auf dem Bett lag noch ein Pullover von Harry. Ich hob ihn auf und strich einmal zärtlich darüber. Das war mein Lieblingspullover von ihm gewesen und ich hatte ihn extra hier liegen gelassen, damit er ihn das nächste Mal anzog, wenn wir uns trafen. Tja, Ironie des Schicksals. 

Mit dem Pullover auf dem Arm ging ich wieder runter. Ich atmete einmal tief durch und machte dann die Tür zum Wohnzimmer auf und drückte Harry, der aufgesprungen war seinen Pullover in die Hand. „Den kannst du auch wieder haben, Styles.“ 

Seine Augen sahen traurig aus. Verdammt traurig, aber das, was er gerade getan hatte, konnte ich nicht so schnell verzeihen. „Der ist dir eh viel zu groß, so klein wie du bist“, meinte die Tussi und stand auf. Sie war fast so groß wie Harry, sah aus wie ein Model. Ironischerweise konnte ich sogar verstehen, dass er sie hübsch fand. „Und dein Kopf ist vielleicht ein bisschen zu große für das Volumen deines Gehirns“, fauchte ich sie an. Sie sah mich verwirrt an. Wahrscheinlich wusste sie nicht, was Volumen bedeutete.

„Phia, warte“, Harry kam mir hinterher, als ich zur Tür ging. Ich drehte mich um und sah in das letzte Mal traurig an. 

„Nein.“

Tit for Tat | h.s.Where stories live. Discover now