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Die nächsten Wochen nach dieser Nacht vergingen wie auf Autopilot. Die Uni besuchte ich nicht mehr, ich wollte niemanden sehen, der wusste, was mir Min und Jae angetan hatten. Oder eher was meine Existenz ihnen antat, wie es anscheinend jeder sah. Ich fiel in ein tiefes Loch, und auch wenn ich es versucht hätte, ich kam nicht einfach wieder raus. Am Anfang hatte ich bei Jimin geschlafen, fast eine ganze Woche. Doch ich wollte ihm nicht zur Last fallen, da er im Gegensatz zu mir ein geordnetes Leben führte, es im Leben noch zu etwas bringen wollte, ein Ziel hatte. Mein Ziel? Hah, ich hatte irgendwie noch nie ein wirkliches Ziel gehabt. Das einzige, was ich immer wusste war, dass ich mit Min glücklich werden wollte. Und nun war mein einziger Hoffnungsstrahl weg, alles, wofür ich versuchte, mein Leben besser zu machen als es meine Eltern getan hatten, war weg.

Wen würde es schon interessieren, wenn ich ebenfalls Arbeitslos war, einfach mein Leben so lebte wie ich es musste? Mein Bruder war mittlerweile in einem Pflegeheim, da meine Mutter nicht wirklich Wert darauf gelegt hatte, sich an die Richtlinien des Jugendamtes zu halten, also war ihm auch geholfen, er brauchte mich ebenfalls nicht. So kam es, dass ich einfach jede Nacht wach war, meiner Beziehung hinterher trauerte und am Tag meistens nur schlief, da ich durch das ganze Heulen in der Nacht einen absolut verschobenen Schlafrhythmus hatte. Nicht wissend, wie spät es war, wurde ich durch das Klingeln unserer Haustür aus meinem Halbschlaf geweckt und pellte mich aus dem Bett, da meine Mutter vorhin einkaufen gegangen war. Ja, das Arbeitslosengeld war wohl da, denn sonst musste ich immer einkaufen. Außer am Anfang des Monats, da gab sie innerhalb der ersten 3 Tage die Hälfte des Geldes aus, weil sie sich ja auch mal was gönnen musste, wie sie immer sagte.

Am Spiegel im Flur vorbei gehend erschrak ich kurz, meine Augenringe waren nicht zu übersehen, ich hatte so sehr abgenommen, dass man mein Schlüsselbein deutlich sehen konnte, genauso meine Wangenknochen. Meine Haare lagen wild durcheinander, ich war froh gestern noch duschen gegangen zu sein, denn das war auch ein wahrer Akt, wenn ich ehrlich war. Ich war einfach nur faul geworden, sah keinen Sinn mehr darin, mich für irgendwen schön zu machen. Das alte Shirt und die übergroße Jogginghose passten nicht ansatzweise zusammen. An der Tür angekommen öffnete ich und mir wurde mit einem Schlag schlecht, als ich Min vor mir stehen sah, wie immer Top gestylt. Doch als ich meinen Cousin neben ihm erkannte, wie sie ihre Hände miteinander verschränkt hatten, war ich kurz davor den beiden vor die Füße zu kotzen. "Hey, ich will meine Sachen haben." kam es aus ihm und er drängte sich an mir vorbei in die Wohnung, zog Jae mit sich, der mich nur breit angrinste. Als dieser dann an der Küche vorbei ging und das Chaos sah, welches ich noch nicht beseitigt hatte, lachte er in meine Richtung. "Hättest auch mal aufräumen können, wenn du schon nicht zur Uni gehst." meinte Jae dann, als Min einfach in mein Zimmer ging und sich seine Sachen holte, die ich in einen Karton neben meinen Schrank gestellt hatte.

"Sicher dass alles drin ist? Keine Lust noch mal in diese versiffte Bude zu kommen." sprach Min mit so einer abwertenden Stimme, dass ich mich noch kleiner als eh schon fühlte. Ich schämte mich einfach für alles, für mein Verhalten, mein unordentliches Zimmer, mein ganzes Leben. "Hättest ja mal an dein Handy gehen können, wir sind nur auf gut Glück her gekommen." pfefferte Jae mit wieder entgegen, als er sich neben Min stellte und dieser ihn kurz liebevoll ansah, so wie er es früher bei mir getan hatte. "Ich weiß echt nicht, was ich mal von dir wollte.. Schau dich doch mal an? Wie kann man sich nur so gehen lassen?" wand sich sein Blick dann wieder an mich, während ich einfach nur zu Boden schaute. Konnten sie nicht einfach gehen? Sie hatten doch den Kram von Min, was wollten sie dann noch von mir? "Ist schon lustig, wenn jeder um dich herum sich hinter deinem Rücken über dich lustig macht, oder?" kam Jae dann auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter. "Mach dir keine Sorgen, wir hatten unseren Spaß!" meinte er, zupfte an meinem Shirt herum und drehte sich wieder zu Min, erstarrte aber in seiner Bewegung.

"WAS ZUR HÖLLE MACHT IHR BEIDEN ARSCHLÖCHER HIER?!?!" hörte ich die wütende Stimme von Jimin, hob meinen Kopf und war wohl noch nie so froh, ihn zu sehen. "VERPISST EUCH!!" kam er die letzten Meter zu den beiden und riss Min seine Kiste aus der Hand, ging zur Haustür und schmiss sie raus, stampfte zurück und zog Min an seinem Kragen zu sich hinab, knurrte ihn regelrecht an. "Wag es dir noch ein einziges mal, meinen besten Freund auch nur anzuschauen, ich schwöre dir, ich bring dich um!" funkelte er ihn an, schubste ihn dann in Richtung Ausgang, als er sich zu Jae drehte. "Und du, du verdammtes Flittchen!! Wie kann man seine eigene Familie nur so verarschen?! Gott, du bist echt noch billiger, als ich es je erwartet hätte!! Komm nie wieder hier her, oder ich schlag dir deine hässlichen Rattenzähne aus, kapiert?!" packte er seinen Arm und zog ihn grob an diesem zur Haustür, ehe er meinen Cousin mit einem festen Stoß nach draußen verfrachtete. "Wenn meine Sachen kaputt sind zeig ich dich an!" hörte ich noch, wie Min Jimin anmeckerte, der jedoch drehte sich schwungvoll zu ihm. "Glaub mir mein bester, sehen wir uns noch einmal wieder, sind nicht nur deine komischen Legofiguren kaputt, dann würde ich mir viel eher Sorgen um dein hässliches Gesicht machen!" schrie er und knallte die Tür so laut zu, dass ich so richtig aus meiner Starre erwachte.

"Jeongguk.." war alles, was ich noch hörte, ehe Jimin bei mir war und mich in seine Arme nahm. "Haben sie dir was getan?" fragte er weiter, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. Nein, sie hatten mir nur die Wahrheit gesagt. Jae und Min hatten mir nur ein weiteres mal vor die Augen geführt, wie erbärmlich ich war, meine komplette Existenz. "Es tut mir leid, dass ich so eine Last für dich bin, Jiminie.." schluchzte ich zwischen meinen Versuchen, mich zu beruhigen. Ich hatte in den letzten Wochen viel zu viel geweint. Man müsste meinen, dass man irgendwann nicht mehr weinen könnte, doch das stimmte nicht. "Gukkie.. Du musst was Essen.. Du siehst so.. Kaputt aus." setzte mein bester Freund sich zu mir, woraufhin ich nur müde meinen Kopf heben konnte. "Ich bin kaputt, Chim... Ich weiß nicht mal mehr, wofür ich kämpfen soll?" gab ich zu, denn irgendwo hatte ich den Kampf aufgegeben. "Ich bin doch nur eine Last für alle um mich herum.. Obwohl, ich habe ja nur noch dich." senkte ich meinen Blick bei der Erkenntnis. "Das stimmt doch nicht.. Ich bin hier, weil Tae mich darum gebeten hat nach dir zu sehen.. Du gehst schon seit 4 Tagen nicht mehr an dein Handy, vorher hast du die Nachrichten zumindest gesehen und ab und an geantwortet.. Er macht sich wirklich Sorgen um dich." erklärte Jimin, und ich bemerkte erst jetzt, dass mein Handy wieder aus war.

"Komm, du gehst jetzt ein paar Sachen packen und kommst wieder zu mir. Meine Mom fragt schon, warum du gegangen bist, wenn es dir nicht gut geht.." zog mein bester Freund mich auf die Beine und ging zu meiner Reisetasche, die vor meinem Schrank lag. Ohne darauf zu achten, was er nahm, packte er einfach so viel rein, wie ging. "Du hast deiner Mom erzählt, wie es hier zugeht, oder?" fragte ich Jimin, und ich konnte sehen, wie er für einige Sekunden stockte, dann nickte er. "Bitte, Guk. Sie sagt, du kannst gerne für ne Zeit bei uns bleiben, bis deine Mum sich.. Gefangen hat.." redete er auf mich ein, doch das war es, was ich nicht wollte. Mitleid. "Ich schaff das schon." gab ich von mir, nahm Jimin meine Tasche von der Schulter und setzte mich auf mein Bett. "Geh bitte." sagte ich nur, worauf Jimin zuerst etwas antworten wollte, doch ich ließ ihn mit meinem Blick verstummen. Ich hasste es, wenn man anderen Leuten von meiner Familiären Situation erzählte. Dieser Blick, das Mitleid und vor allem die Abscheu, die die meisten Menschen nicht verbergen konnten, das war es, was wirklich schmerzte. War ich wirklich ein schlechterer Mensch, nur weil ich in solchen Umständen aufwachsen musste?

You. ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWhere stories live. Discover now