Kapitel 33: Minseok

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Tag 230: IMMER NOCH Recht und Ordnung

Minseok erwachte mit einem pulsierenden Schmerz hinter seiner Stirn. Seine Wange lag gegen rauen Steinboden an und mehrere Hände hantierten über seinem Körper. Weiße Kittel flatterten vor seinen trägen Augenlidern, als er sich aus seinem benebelten Zustand hinausblinzelte. Kurz darauf saß er kerzengerade da.

„Wo sind sie?", verlangte er zu erfahren.

Ein Arzt, der bei seiner jähen Bewegung zurückgeschreckt war, starrte ihn an. „Sind Sie in Ordnung?"

Minseok blinzelte. „Es ist Ihr Job mir das zu sagen." Konnte in diesem Land nicht einfach jeder seiner verdammten Verpflichtung nachkommen?

„Oh, das—ich habe Sie hier plötzlich in meiner Mittagspause auf dem Boden liegen sehen."

„Das beantwortet meine Frage nicht." Minseok griff sich an den Kopf und untersuchte sich dann selbst auf Schuss- oder Einstechwunden. Als er sich für körperlich unversehrt bewog, stand er auf.

„Vielleicht sollten Sie noch einen Moment länger—"

„Keine Zeit", sagte Minseok. „Ich bin im Dienst."

„Im Dienst? Eben haben Sie noch mitten auf der Straße geschlafen."

Minseok wirbelte zu dem Arzt herum. Seine Haare waren blondgefärbt, aber der schwarze Ansatz machte sich bereits bemerkbar. Schatten prangten unter seinen Augen und ließen sein Gesicht lang und hager erscheinen. Er sah aus wie jeder Arzt auf der Welt. Ausgezerrt und mit den Nerven am Ende in Folge der vierten heftigen Pandemiewelle, die die Welt bereits erschüttert hatte. Es war Minseoks Lieblingsanblick, weil das bedeutete, dass sie sich nicht vor ihrem Job drückten.

„Wie lange geht Ihre Pause? Ich nehme Sie gleich ebenfalls fest, wenn Sie sich als systemrelevante Person nicht entsprechend um ihre Verantwortung kümmern."

Nun war es der Mann, der Minseok verwundert entgegenblinzelte. „Ich habe Sie eben in eine stabile Seitenlage gebracht", sagte er und klang tatsächlich ein wenig belustigt dabei. „Ich denke, das beweist, wie ernst ich meinen Job nehme."

„Ich bin kein betrunkener Teenager, der zum ersten Mal ohnmächtig geworden ist", sagte Minseok und klopfte sich kleine Kieselsteine von den Handflächen.

Der Arzt schnalzte mit der Zunge. „Das hat nichts mit Betrunkensein zu tun." Er vergrub die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. „Also, wohin haben Sie es so eilig?"

Richtig. „Mein Fahrzeug wurde gestohlen." Minseok zog sein Handy aus seiner inneren Jackentasche und öffnete das Navigationssystem, das ihm anzeigte, wo sich der Wagen gerade befand, der ihm gestohlen wurde. „Ich muss einen Supermarkt-Mitarbeiter wieder an seinen rechtmäßigen Ort bringen." Er ballte die freie Hand zur Faust. „Zurück an das Laufband der Gerechtigkeit!"

„Das... Oh. Und ich dachte, Sie hätten vielleicht etwas mit den Kugelschüssen auf einen unserer Ärzte zu tun."

„Kugelschüsse?", wiederholte Minseok.

Der Arzt zuckte die Achseln. „Einer unserer Mitarbeiter wurde attackiert."

„Und wo befindet sich der Mann nun?"

„Keine Ahnung. Oh. Vielleicht hat er Ihren Wagen gestohlen?"

„Nein, wie gesagt, das war der Supermarkt-Mitarbeiter, den ich zurück an das Laufband der– Moment. Heißt das, ein Mitarbeiter aus dem Krankenhaus ist ebenfalls nicht an seinem Arbeitsplatz?"

„Er ist wahrscheinlich geflohen, um—"

Das klang ja immer mehr wie Weihnachten, fand Minseok. „Noch ein weiterer Gesetzesbrecher, also."

„Was ich damit sagen wollte—"

„Keine Sorge", unterbrach Minseok. „Es ist meine hochgeachtete Pflicht, Menschen in systemrelevanten Berufen an ihre Aufgaben und Verantwortungen zu erinnern! Ich werde den davongelaufenen Arzt und den verantwortungslosen Supermarkt-Arbeiter wieder zurückbringen." Minseok konnte es sich gerade so noch verkneifen, zu salutieren, aber es kitzelte ihm in der Handfläche.

„Von mir aus."

„Und Sie werden mir dabei helfen!"

Der Arzt stockte. „Bitte?"

„Ich kenne sein Gesicht nicht und nun muss es schnell gehen. Sie müssen mich begleiten."

„Ich frage mich schon seit einer Weile, ob Sie vielleicht eine Gehirnerschütterung erlitten haben, aber..." Der Arzt blickte über seine Schulter gen Krankenhaus-Hintereingang und dann wieder zu Minseok zurück. Seine Augen waren regelrecht tot, als er ernst mit dem Kopf nickte. „Sie haben recht. Schnappen wir den Mistkerl."

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⏰ Last updated: Dec 26, 2020 ⏰

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