Kapitel 4: Jongin

124 27 25
                                    

Tag 224: Ein ganz normaler Abend

Junmyeon hatte Jongin schwören lassen, seine Pyramide aus Cola-Dosen morgen zu zerstören und in Plastiksäcken zu entsorgen. Für heute jedoch durfte sie stehenbleiben. Das war zumindest ein kleiner Erfolg.

Junmyeon ließ das Radio laufen, während er das Gemüse im Waschbecken wusch. Jongins Kopf lag auf der Küchentheke. Er hörte zu, wie Junmyeon leise zu dem derzeitigen Lied mitsang.

Anfangs hatte sich Jongin schlecht dafür gefühlt, dass er den gesamten Tag Zuhause verbrachte, während Junmyeon Doppelschichten im Krankenhaus einlegte und anschließend für sie kochte. Also hatte Jongin angefangen, sich um den Haushalt zu kümmern. Nachdem er jedoch zum zweiten Mal beinahe das Haus niederbrannte, versicherte Junmyeon ihm mit sanfter Entschlossenheit, dass Kochen sein Hobby war und er es ihm überlassen sollte.

Jongin war nicht undankbar darüber.

„Wie lief es heute im Krankenhaus?", fragte Jongin, während Junmyeon die Karotten in Streifen schnitt. Er konnte wirklich gut mit einem Küchenmesser umgehen.

„Die Zahl der Infizierten steigt", sagte er, wie jeden Abend. „Es sind mittlerweile immer häufiger Jugendliche und Kinder."

„Das tut mir leid."

„Mir auch." Junmyeons Bewegungen hatten aufgehört. Er starrte mit leerem Blick auf das Gemüse hinunter.

Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 hatte Junmyeon Doppelschichten im Krankenhaus eingelegt, weil sein Pflichtgefühl ihn dazu drang. Wäre Jongin nicht bei ihm eingezogen, würde er wahrscheinlich unlängst im Krankenhaus leben.

Da Jongin jedoch hier war, drängte ihn sein Pflichtgefühl hierher zurück... immerhin konnte er nicht verantworten, dass Jongin verhungerte. Oder das Haus in Brand steckte.

Junmyeon war der beste Mensch, den Jongin kannte. Intelligent, emphatisch, attraktiv...

Er stand von seinem Barhocker auf, um endlich dem Drang nachzugeben, die Arme um Junmyeon zu legen.

Auf TikTok gab es diesen Trend... Personen, die ihrem Crush nach Jahren des Schmachtens ihre Gefühle gestanden und sich dabei filmten. Für die meisten von ihnen lief die Sache gar nicht so übel... vielleicht könnte auch Jongin...

Er hielt inne.

„Junmyeon?"

Junmyeon riss sich aus seinen Gedanken und blickte zu Jongin auf. „Was?"

„Du hast Nasenbluten. Bist du in Ordnung?"

Junmyeon blinzelte, bevor er das Messer losließ und sich an die Nase fasste. Seine Fingerkuppen waren blutig, als er sie zurückzog.

„Ich wusste, du würdest dich irgendwann überanstrengen." Er ging um die Theke herum, um Papiertücher zu holen. „Leg den Kopf in den Nacken, ich—"

Junmyeon schreckte zurück, als Jongin nach seinem Arm greifen wollte. Er starrte ihn an.

„Junmyeon?"

Blut strömte immer schneller über seine Lippen, sein Kinn hinunter... landete auf seinem sauberen Shirt und zwischen seinen Hausschuhen.

„Junmyeon", wiederholte Jongin.

„Nein. Keinen Schritt näher, Jongin."

„Was? Junmyeon, das Blut!"

„Ruf im Krankenhaus an."

Jongin wurde still. Es hätte sein erster Gedanke sein sollen, als er das Blut sah, aber das war es nicht. Vielleicht, weil er nicht glauben wollte, dass die Möglichkeit auch nur bestand. Nicht bei Junmyeon.

Nein.

„Jongin—"

„Du hast dich nicht infiziert", sagte Jongin, bevor Junmyeon fortfuhr. „Komm schon, du bist nur überarbeitet. Hier—"

Jongin."

Die Bestimmtheit in Junmyeons Stimme gebot ihm Einhalt. Er ließ die Arme, die er erneut nach ihm ausgestreckt hatte, langsam sinken.

„Ruf sofort im Krankenhaus an."

Und Jongin tat es.


It's Corona TimeKde žijí příběhy. Začni objevovat