#10 - Fotos. Elterliche Besuche. Und andere Katastrophen.

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Kapitel 10
Fotos. Elterliche Besuche. Und andere Katastrophen.

Amy kam auf mich zu gerannt. Wie immer stolperte sie auf den letzten Metern und fiel mir lachend in die offenen Arme. Es tat mir leid, dass ich heute schon wieder eine der Letzten war, die ihr Kind aus dem Kindergarten abholte. Mein Chef hatte mich heute wieder mit Absicht Überstunden arbeiten lassen, obwohl er genau wusste, dass ich eine Tochter hatte, die darauf wartete, abgeholt zu werden.

Manchmal war mein Chef ganz in Ordnung, aber wenn er seine Tage hatte, war ich leider meistens sein Opfer. Ich vermutete, es lag dran, dass ich zu Anfang fast immer regelmäßig zu spät gekommen war, weil Amy sich im Kindergarten einfach nicht beruhigen wollte. Claire meinte einfach, das lag daran, dass er Amy noch nicht gesehen hatte.

„Langsam, Maus.", lachte ich und nahm ihre Hand. „Oma kommt heute und schläft bei uns. Und morgen machen wir was mit ihr zusammen."

Es war schön zu sehen, wie Amy sich freute, meine Mutter wiederzusehen. Es kam nicht oft vor, dass sie die Zeit fand und das Geld für einen Flug hatte, um mich und Amy zu besuchen. Mein Vater war vor ungefähr einem Jahr gestorben. Immerhin hatte er Amy vorher noch gesehen. Ich bedauerte s immer noch, dass er bei Amy so viel verpasste. Naja, es bleib ja die Hoffnung, dass er uns aus dem Himmel als männlicher Engel sah. Zumindest hatte ich das Amy so erklärt.

Ich hatte Amy zwar auf seine Beerdigung mitgenommen, aber ich bezweifelte, dass sie mit ihren damals zweieinhalb Jahren wirklich verstanden hatte, was dort passiert war und welchen Zusammenhang das jetzt mit ihrem Opa zu tun hatte.

„Was machen wir dann mit Oma?", holte mich die kindliche Stimme meiner fast vierjährigen Tochter aus den Gedanken. Ich lächelte sie an, nahm sie fertig angezogen auf den Arm und verließ mit ihr den Kindergarten.

„Mal schauen, Minnie.", antwortete ich.

Zuhause angekommen zog ich Amy schnell die Jacke und Schuhe aus und schickte sie Händewaschen.

„Mummy?" „Ja?" „Wann kommt Oma?"

Ich lächelte und half ihr auf einen Stuhl in der Küche.

„Eigentlich gleich. Was hältst du davon, wenn du Oma ein schönes Bild malst? Dann kommt sie bestimmt schneller."

Amy nickte begeistert und flitzte los, um ihre Buntstifte zu holen. Schnell kam sie zurück und setzte sich wieder. Ich musste ihr unbedingt noch beibringen, dass sie sich langsamer fortbewegte, wenn sie nicht wollte, dass noch etwas Schlimmeres passierte. Sie war genauso ungestüm und tollpatschig wie ihr Vater.

Sowieso sah ich von Tag zu Tag mehr Ähnlichkeiten von Amy zu ihrem Vater in ihrem Verhalten.

Die Art, wie sie aus ihrem Zimmer stürmte, wenn Besuch für die gekommen war. Ich hatte es aufgegeben zu zählen, wie oft sie dabei die Tür gegen das Regal geknallt hatte, welches im Flur stand und bis oben hin mit Spielen vollgestopft war.

Die Art, wie sie mich manchmal anschaute, wenn ihr etwas nicht passte, oder sie nicht ganz verstand, was ich von ihr wollte.

Die Art, wie sie ihre Nase rümpfte, wenn sie lieber in ihrem Bett bleiben würde, als in den Kindergarten zu gehen.

Die Art, wie sie sich müde die Augen rieb und gähnte.

Und ich könnte noch viele weitere solcher Beispiele aufzählen.

„Mummy, malst du mit?"

Ich schüttelte den Kopf und drehte mich zu ihr um. „Nein, ich mache was zu essen, ja?"

Amy nickte und malte drauf los.

Hoffentlich verbildlichte sie jetzt irgendein Erlebnis aus dem Kindergarten von heute und nicht eine weitere Vorstellung von der perfekten Familie mit Harry, ihr und mir.

Ich hatte schon eine ganze Weile gekocht, als Amy wieder anfing zu sprechen.

„Mummy?"

Erneut drehte ich mich vom Herd weg zu ihr.

„Was ist Daddys Lieblingsessen?"

Ich seufzte. „Du fragst in letzter Zeit oft nach deinem Daddy, oder Maus?" Sie nickte und beobachtete mich gespannt.

„Taccos mit Mais.", murmelte ich.

Das durfte mich eigentlich nicht wundern, sie mochte den Mais genauso gerne wie Harry.

Ich musste Schmunzeln bei der Erinnerung, wie er sich immer viel zu viel Mais auf sein Tacco geladen hatte, und es dann komplett wieder herausgefallen war, bevor er auch nur einen Bissen genommen hatte.

Arghh! Ich musste solche schönen und dennoch äußerst nervigen Erinnerungen irgendwie verdrängen, vergessen oder ähnliches.

„Kann ich das Foto von dir und Daddy in meinem Zimmer aufhängen?"

Ich schluckte schwer.

Immer, wenn ich meine Tochter ins Bett brachte, musste ich mir dann das Bild anschauen. Allerdings war es ziemlich egoistisch von mir zu sagen, sie dürfte es nicht, nur weil ich Harry noch so sehr vermissen würde und es mir weh tat, immer sein Gesicht sehen zu müssen. Zumal ich selbst das Bild von mir und den Jungs immer noch seit fast vier Jahren auf meinem Nachtschrank stehen hatte und das Gefühl, das ich bekam, wenn ich sie sah, schon zu meinem Alltag gehörte. Es war schon fast eine Tradition für mich vor dem Schlafengehen in fünf (ohne mich gerechnet) lachende Gesichter zu sehe.

Auch, wenn die Erinnerungen daran schmerzten.

Und in ein Gesicht, zu dem ich den Menschen einfach nicht vergessen konnte. So wehr ich es auch wollte.

Oder auch nicht.

Ich nahm Amy also mit in mein Zimmer und holte die Schachtel mit den ganzen Fotos von Harry und mir unter dem Bett hervor.

Dann setzte ich Amy auf den Fußboden und gab ihr die Kiste. „Such dir eins aus, Maus. Ich muss wieder in die Küche, ja?"

Amy nickte nur und öffnete vorsichtig die Kiste. Ich ging und wartete weiterhin auf meine Mutter. Wo blieb sie nur? Ich brauchte gerade so dringend Jemanden zum Sprechen, aber ich wollte auch nicht schon nieder Claire anrufen, da diese bestimmt zeitgleich mit meiner Mutter hier auftauchen würde. Außerdem konnte ich gerade wenig auf überdrehte Menschen mit noch mehr verrückten Einfällen oder blöden Ablenkungsmanövern. Ich kannte das Schicksal in meinem Fall und ich mochte es nicht ein Bisschen, aber wer tat das schon?

Won't Give Up On Us [Harry Styles]जहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें