#4 - Sechseinhalb Monate

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Kapitel 4
Sechseinhalb Monate

Auf allen Fotos mit ihm und mir, manche auch mit seiner Familie, manche mit meiner, manche mit allen Jungs, strahlte ich in die Kamera.

Auf allen Fotos blickte mir eine junge Frau mit strahlend blauen Augen und dunkelbraunen, fast schwarzen Haaren entgegen. Heute hatten meine Augen diesen Glanz verloren. Diesen Glanz, der nur zu sehen war, wenn ich mit Harry zusammen war.

Da war es logisch, dass meine Augen heute weder leuchteten, noch irgendwie strahlend blau waren, sie strahlten Kraftlosigkeit aus. Meine Haare hingen ebenso glatt und matt über meine Schultern herunter.

Keine Freunde sah man der Zwanzigjährigen an, die mir jetzt gerade als Spiegelbild gegenüber stand.

Ich wollte meinen Harry wieder. Ich seufzte. Anscheinend fingen nicht nur Hormone an, in meinem Körper umherzugeistern, sondern auch irgendwelche anderen, die mir dazu veranlassten, Stimmungsschwankungen zu haben. Am besten war es wohl wenn man mich heute komplett alleine ließ und ich einmal lernte für mich alleine zu sorgen. Wenn ich es in knapp sieben Monaten auch für mich und noch jemanden Kleines machen musste, war nun der beste Zeitpunkt, um zu üben.

Allerdings konnte ich gerade auch gut Gesellschaft gebrauchen. Scheiß Stimmungsschwankungen.

Mein plötzlicher Heißhunger auf Eis unterstütze meine Entscheidung, Claire anzurufen und mit ihr zur Eisdiele zu gehen. Anscheinend war das das Einzige, das mich im Moment wenigstens ein wenig aufheitern konnte. Mit Claire fühlte ich mich generell besser - Irgendwie lebendig.

~

Seit dem Arzttermin im Krankenhaus waren schon sechseinhalb Monate vergangen.

Sechseinhalb Monate von Nächten, in denen ich mit den eingerahmten Bildern von Harry und mir und einem Gruppenbild mit seiner und meiner Familie und den Jungs vor mir und einer Packung Eis auf dem Schoß heulend auf meinem Bett verbracht hatte. Ich sag' s ja, blöde Stimmungsschwankungen! Manchmal hätte ich mich für mein schlimmes und unnötiges Gezicke gerne selbst in meinen nicht vorhandenen Keller gesperrt und wäre erst wieder rausgekommen, wenn meine Fruchtblase geplatzt wäre.

Sechseinhalb Monate, in denen ich zusammen mit Claire das Kinderzimmer für die Kleine eingerichtet hatte. Ja, es wurde ein Mädchen. Zu allererst hatte ich nicht gewusst, ob das jetzt gut oder schlecht sein sollte, hatte mich dann jedoch dafür entschieden, dass es nicht ganz so schlecht sein konnte, einen reinen Frauenhaushalt zu gründen.

Sechseinhalb Monate, in denen ich (gefühlt) mehr gegessen hatte, als im ganzen letzten Jahr. Claire meinte, meine Einschätzung wäre gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Ich weiß, das sind ermutigende Worte, wenn man sowieso nicht so gut drauf ist und nur an sich selbst herummeckert.

Manchmal fehlte mir meine Mutter mehr, als Harry. Nur leider konnte ich beide nicht erreichen wegen des getauschten Handys.

Sechseinhalb Monate, in denen ich mich mit meinen Nachbarn angefreundet hatte, ganz besonders mit der netten alten Dame von gegenüber, Mrs. Penny, die mir immer wieder selbst gebackene Leckereien brachte.

Sechseinhalb Monate, in denen ich ein Album mit allen Ultraschallbildern von der Kleinen angelegt hatte. Ich glaube, ich war zu mehr Untersuchungen, als ich hätte gemusst, aber Claire fand es so faszinierend meine kleine Tochter in schwarzweiß auf einem komischen Bildschirm zu sehen, dass ich nun genug Fotos für ein Album hatte. Also so, dass es sich lohnt, eines anzufangen.

Und sechseinhalb Monate, in denen ich immer noch keinen Namen für meine Tochter gefunden hatte.

Mir wollte einfach partout nichts Vernünftiges einfallen. Immer überlegte ich, was Harry für Mädchennamen gefallen würden. Diese Überlegungen endeten aber meistens mit einem Heulanfall meinerseits. Ich hoffte noch darauf, dass mir nach der Geburt, wenn ich die Kleine sah, ein passender Name einfallen würde. Vielleicht fiel mir auch Situationsbedingt zwischendurch noch ein guter Namen ein. Andererseits - ich wollte nicht, dass meine Kleine mich für den Rest ihres Lebens hasste, weil mir in meiner depressiven Phase ein extrem seltsamer Name für sie eingefallen ist.

Es war nicht so, dass mir keine Namen einfielen, es war eher so, dass mir kein Name für meine kleine Maus so richtig gefallen wollte, was ebenfalls an meinen Stimmungsschwankungen liegen könnte.

„Liv?", fragte Claire und klopfte vorsichtig an meine Schlafzimmertür.

Ich schreckte hoch. Claire wusste nicht, wer der Vater war und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass das auch so bleiben sollte.

Nur... wenn ich die momentane Ordnung in meinem Schlafzimmer beibehielt, konnte das etwas schwierig werden.

„Nicht reinkommen!", rief ich hecktisch und versuchte panisch so schnell wie möglich alle Fotos und Merkmale, die an meine Zeit in London erinnern könnten, in den Karton zu schmeißen, um den dann wieder ganz tief unter das Bett zu schieben.

„Liv, ist alles in Ordnung?", fragte Claire wieder. Ich sah, wie sich die Türklinke nach unten bewegte.

„Ja, es ist alles klar, Claire, ich komme gleich raus.", versuchte ich sie zu beruhigen. Gerade bereute ich, dass ich ihr einen eigenen Haustürschlüssel besorgt hatte.

In meiner Hektik fiel mir der Karton auf den Boden und alle Fotos purzelten heraus.

Es klopfte wieder. „Liv!" Claire kam ins Zimmer gestürmt, stoppte aber abrupt, als sie mich auf dem Boden in mitten der vielen Fotos sitzen sah.

Wie das wohl gerade aussah?

Na, wie wohl.

Ich reagierte erst gar nicht auf den blöden Kommentar meinerseits und sah mit verheulten Augen zu Claire auf.

Sie kam auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Dann setzte sie sich neben mich und betrachtet das Chaos um mich herum etwas genauer. Vorsichtig nahm sie die Fotos von mir und Harry in die Hand.

Ich bereitete mich innerlich auf einen Ausraster ihrerseits vor. Ich wusste gar nicht, ob sie die Jungs überhaupt kannte. Andererseits, wer kannte sie heutzutage nicht?

„Ist das...?", ohne den Namen zu sagen, brach sie wieder ab. Ich nickte nur und streichelte über meinen Bauch, in dem meine Maus gerade trat. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es kam mir vor, als wüsste sie genau, dass ich gerade traurig war und mich trösten wollte.

„Ernsthaft, Liv?! Du warst mit Harry Styles zusammen und sagst mich nichts davon? Du weißt schon, dass ich das persönlich nehmen muss?"

Ich lachte nur ironisch auf. „Haha!", machte ich und rollte meinen Kopf in Claires Richtung.

Sie grinste mich an und ich sah ein schelmisches Glitzern in ihren Augen funkeln. „Du Biest!", rief ich und schlug ihr leicht auf den Oberarm.

Sie kicherte leicht, was mich ebenfalls zum Lächeln brachte und nahm sich weiter Fotos von den Jungs vor.

Nach einiger Zeit nahm sie eins und packte es in den noch leeren Bilderrahmen. „Das gefällt mir am besten.", lächelte sie und stellte es auf den Boden vor uns. Ich sah es mir genauer an.

Harry und ich standen im Vordergrund auf einer Bank und versuchten Arm in Arm das Gleichgewicht zu halten während Niall, Louis, Zayn und Liam von hinten angerannt kamen und teilweise hochsprangen. Liam sah mehr aus, als würde er demnächst im Schlamm ausrutschen.

Ich konnte vor dem inneren Auge sofort sehen, wie es weiter ging.

Liam war nicht ausgerutscht. Die Junges hatten sich über die Lehne der Bank, auf der Harry und ich standen geschwungen und waren dann alle auf Liams Rückengesprungen, da er am vordersten stand. Dieser hatte dann eine Grimasse geschnitten.

Ich lachte auf. „Danach hat Louis uns von der Bank geschubst. Harry und ich sind davor voll in den Schlamm geklatscht. Liam hinter der Bank und Zayn saß auf ihm und Niall ist mit seinen Schuhen im Matsch stecken geblieben. Louis war der Einzige, der nicht hingefallen ist. Wir haben ihn hinterher mit Schlamm beworfen."

Claire hörte mich kichernd zu. „Hört sich lustig an."

„Oh, ja!", nickte ich und strich einmal über das Foto. „Das war es."

Won't Give Up On Us [Harry Styles]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt