#3 - Warum gerade jetzt?

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Kapitel 3
Warum gerade jetzt?

Eine halbe Stunde später war ich zwar ansprechbar, aber ich bekam keinen vernünftigen Ton aus mir heraus. Mein Herz rutschte mir in die Hose und meine Atmung setzte aus.

„W-was?", brachte ich dann doch heraus.

Das war doch kein Traum?

„Schw-schwanger?", fragte ich. Ich sah Dr. Smith geschockt an. „Meinen Sie das ernst?"

Erst nachdem ich die Frage ausgesprochen hatte, merkte ich, wie doof sie doch klang.

„Also, eigentlich ist das keine Thema mit dem ich zu scherzen pflege.", antwortete Dr. Smith schmunzelnd auf meine Frage.

„'Tschuldigung, war 'ne doofe Frage.", murmelte ich in meinen imaginären Bart und sah auf meine in meinem Schoß liegenden zitternden Hände.

Claire sah mich erst geschockt an, bis sich ihr Gesichtsausdruck zu einer Mischung aus Schock, Freude, Überraschung, Rätsel und Besorgnis wechselte.

Bei ihr war ich echt immer wieder überrascht, wie viele Gefühle sie mit allein ihrem Gesichtsausdruck zeigen konnte. Dazu kam wahrscheinlich meine gerade etwas missliche Lage, in der mich mit ziemlicher Sicherheit alles verwirrt und fasziniert hätte - einfach, weil ich zu furchtbar durcheinander war.

„Gut, ich lasse Sie mal alleine, Miss Johnson.", sagte der Doktor und wollte sich gerade verkrümeln, als Claire aufsprang.

„Warten Sie. Wann darf Liv raus?", fragte sie.

Meine gute Claire, immer aufmerksam und mit vollem (Körper)-Einsatz bereit. Auf so eine Frage wäre ich erst gekommen, wenn mir langweilig geworden wäre.

„Oh, ja. Ähm, Miss Johnson dürfen Sie eigentlich sofort wieder mitnehmen."

Claire verzog das Gesicht zu einem Fragezeichen. „Machen Sie nicht normalweise einen Ultraschall um zu schauen, ob alles in Ordnung ist? Mit dem Baby meine ich."

Dr. Smith nickte und schaute zu mir. „Normal schon. Ich hatte nur den Eindruck, dass Miss Johnson die Nachricht erst einmal verdauen sollte, bevor sie ihr Kind schon das erste Mal sieht."

Ich nickte, immer noch nicht in der Lage, etwas Nützliches zu sagen. Dr. Smith wandte sich an mich. „Miss?"

Ich sah auf. „Wegen Ihrer Schwangerschaft... holen Sie sich unten an der Rezeption einen Mutterschaftspass und machen Sie einen Termin in ungefähr vier Wochen zur Kontrolle aus."

Ich nickte wieder nur. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Atmen funktionierte gerade so.

Warum gerade jetzt?

„Wie weit ist sie schon?", fragte Clare Dr. Smith.

„Miss Johnson ist in der sechsten Schwangerschaftswoche."

Ich rang mir ein müdes Lächeln ab und murmelte noch ein schwaches „Dankeschön Dr. Smith." Dieser lächelte mir fast schon mitleidig zu und verschwand durch die Tür.

Na super, das ist erstens so ziemlich das Letzte, das ich jetzt erwartet hatte und zweitens das Letzte, das ich jetzt gebrauchen konnte.

Ich konnte keinen von meinen (ehemaligen?) Freunden erreichen, weil die ach so wunderbaren Chefs mir mein Handy mit der alten SIM-Karte und somit auch mit allen alten, und im Moment furchtbar wichtigen, Nummern weggenommen hatte und mir im Tausch dagegen ein Neues mit einer ebenso neuen SIM-Karte ohne Nummern gegeben hatte.

So war ich unerreichbar für sie und sie unerreichbar für mich. Eigentlich eine optimale Lösung, wenn man jemanden loswerden wollte. Nur ziemlich blöd, wenn man selbst derjenige war, den man loswerden wollte.

~

Auf dem Nachhauseweg sprach Claire mich nicht an. Sie merkte wohl, dass ich mich gedanklich gerade nicht in dieser Welt bewegte.

Warum gerade jetzt?

Das war so ungefähr der ungünstigste Zeitpunkt um schwanger zu werden.

Du warst schon schwanger, als ihr noch glücklich ward.

Ja super, danke. Das half mir jetzt wirklich viel. Was er wohl jetzt sagen würde? Wäre er glücklich? Ich wusste, er wollte schon immer Kinder. Aber der Zeitpunkt? Ich bezweifelte, dass der ihm so in den Kram passte.

Vielleicht hätte er dir jetzt sogar einen Heiratsantrag gemacht.

Ich musste lächeln. Meine Hand streichelte wie automatisch über meinen noch flachen Bauch. Eine Träne wollte mir die Wange hinunter bei dem Gedanken, dass er sein Kind niemals sehen würde und niemals mit ihr oder ihm spielen würde, ihr oder ihm niemals ein Gute-Nacht-Lied singen konnte.

Toll, ich befürchtete, dass das die Hormone waren. Wenn ich nicht jetzt rausgefunden hatte, dass ich schwanger war, hätte ich dann jetzt auch geheult und wäre ich sonst auch so schnell sentimental geworden? In letzter Zeit hatte ich solche Zustände einfach darauf geschoben, dass ich mich nicht in gewohnter Umgebung befand und mein altes Leben vermisste.

„Liv? Ist alles in Ordnung soweit?", fragte Claire vorsichtig und nahm meine Hand.

Ich schreckte hoch. Wir standen schon vor meinem Haus. Anscheinend war ich gedanklich gerade wirklich weit weggewesen.

„Komm.", sagte Clare leise und zog mich vorsichtig hinter sich in Richtung Haustür.

Ich lächelte sie dankbar an, als ich in meinem Wohnzimmer auf der Couch saß.

Schwanger.

Ich wusste nicht wirklich, wie ich das schaffen sollte.

Believe in yourself.

Ich musste lächeln. Es war, als ob er mir immer noch Mut machte. Unbewusst natürlich. Irgendwie wusste ich, dass unsere Verbindung immer da sein würde.

„Ist es okay, wenn ich dich allein lasse?", fragte Claire vorsichtig.

Ich nickte ihr lächelnd zu. „Klar. Sorry, dass ich dir so 'nen Schrecken eingejagt habe. Und danke für alles."

Ich umarmte Clare dankbar. „Du bist echt 'ne tolle Freundin."

Nachdem ich alleine war, reagierte mein Körper wie von alleine. Wie ferngesteuert ging ich in mein Schlafzimmer und holte die Kiste mit den Fotos unter dem Bett her. Den Fotos von ihm und mir.

Die Fotos, die Erinnerungen, die Momente.

Alles Schöne mit ihm.

Alles Schöne mit Harry.

Won't Give Up On Us [Harry Styles]Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz