31

1.5K 90 19
                                    


Elisabeth machte große Augen, als sie sich am Esstisch in der WG von Anke niederließ. Der große, runde Tisch mitten in dem gemütlichen Wohnzimmer hatte alles zu bieten, was man sich an einem Sonntag beim Brunch wünschen konnte: Eier in jeglicher Form, Bacon, Toast, Joghurt, Obst, Gemüse, Organgensaft – und vor allem Kaffee, der seinen Duft in der ganzen Wohnung verbreitete. Obwohl alle Möbel hier offensichtlich von Flohmärkten oder Onlinebörsen stammten, fühlte Elisabeth sich sofort wohl. Das Zimmer hatte Persönlichkeit.

»Du kannst Juliane dafür danken«, kommentierte ihre beste Freundin Elisabeths Starren. »Sie hat alles eingekauft und damit die meiste Arbeit gehabt.«

»Gar nicht wahr«, protestierte Sarah, die gerade mit einer Käseplatte in der Hand reinkam. »Ich hab hier stundenlang Eier gebraten und gekocht und den Käse geschnitten. Einkaufen was das leichteste!«

Lachend packte Elisabeth den Strauß Blumen, den sie mitgebracht hatte, aus. Anke hatte ihr versichert, dass das Essen und Trinken ganz von der WG gestellt würde, also hatte sie einen großen, bunten Strauß gekauft. Blumen machten immer glücklich.

»Das wichtigste kommt von mir. Ich habe Kaffee gekocht.« Triumphierend warf Anke ihre schwarzen Haare zurück und ließ sich auf einen der Stühle fallen, der dabei bedenklich quietschte.

Verunsichert, ob die offensichtlich sehr alten Stühle überhaupt noch dazu taugten, zum Sitzen benutzt zu werden, nahm Elisabeth deutlich langsamer auf dem Stuhl daneben Platz.

Als schließlich Juliane mit einem Tablett voller Geschirr und Besteck reinkam, war die Runde vollzählig und das Festmahl konnte beginnen. Schweigend luden sich alle vier Frauen ihre Teller voll, gossen sich gegenseitig Orangensaft und Kaffee ein und konzentrierten sich ganz darauf, den ersten Hunger zu überbrücken.

Nachdem Anke ihre erste Portion Rührei verschlungen hatte, lehnte sie sich mit ihrer Kaffeetasse in der Hand zurück und musterte Elisabeth eindringlich. »Du hast einiges verpasst am Freitag.«

Dass Juliane und Sarah daraufhin in heftiges Kichern ausbrachen, unterstrich die Worte ihrer Freundin perfekt. Sie beschloss, das Spiel mitzuspielen. »So? Was ist passiert?«

Ehe Anke eine Chance hatte zu antworten, rief Sarah dazwischen: »Peter hat ihr einen Heiratsantrag gemacht!«

Beinahe hätte sie sich an ihrem Kaffee verschluckt. Hustend stellte Elisabeth die Tasse auf den Tisch und presste sich ihre Serviette an die Lippen, ehe sie ihre Fassung wieder erlangte. »Bitte was?«

Anke lehnte sich zur Seite und schlug nach Sarah. »Hey, das wollte ich erzählen!«

»Ihr macht nur Spaß, oder?«

Einstimmig schüttelten die drei anderen Studentinnen den Kopf. Grinsend stopfte Anke sich ein Stück Mandarine in den Mund, ehe sie genauer erklärte, was vorgefallen war. »Da war diese echt heiße Studentin auf der Party. Ethnologie und Slavistik. Die geilsten, perfektesten Dreadlocks, die ich je gesehen habe. Honigblondes Haar und anscheinen stellt sie selbst den Schmuck her, den sie reinmacht. Echt abgefahren.« Ein verträumter Ausdruck trat auf ihr Gesicht, dann fuhr sie fort: »Jedenfalls hab ich sie angequatscht und wir haben uns gut verstanden. Zwei Bier später standen wir in irgendeiner Ecke und haben rumgeknutscht.«

»Uuuuuh«, machte Lily grinsend, während sie genüsslich ihren Kaffee schlürfte.

»Und dann kam Peter. Sturzbetrunken. Hat sich vor mir auf die Knie geworfen und gesagt, dass er immer dachte, dass wir mal heiraten würden und warum ich ihn jetzt betrügen würde.« Ankes Wangen färbten sich rot bei den Worten, doch sie stockte nicht. »Das heiße Mädel dachte natürlich direkt, ich wäre vergeben und ist abgehauen. Ich hab Peter mein übriges Bier über den Kopf geschüttet und bin ihr nach.«

»Peter ist direkt dort in der Ecke eingeschlafen«, warf Sarah von der Seite ein, die sich ein Grinsen kaum unterdrücken konnte.

»Ich bete, dass er sich Montag an nichts erinnert. Und ich bete, dass er das nicht ernst meinte.«

Alle viert stimmten in ein Lachen ein, doch Lily konnte sehen, dass Anke ihre Worte ehrlich meinte. Sie hatte Mitleid mit Peter, auch wenn er es sich selbst zuzuschieben hatte, in diese peinliche Lage gekommen zu sein. Für sie war es offensichtlich, dass er wirklich an Anke interessiert war. Der Heiratsantrag war sicher nur dem Alkohol zuzuschieben, aber seine Gefühle waren echt.

»Da wünschte ich fast, ich hätte nicht arbeiten müssen«, nickte sie.

»Das verstehe ich eh nicht«, kam es sofort von Juliane. »Als Anke uns damals vorgestellt hat, da hab ich dich gefragt, woher du kommst. Und du meintest, du bist aus Winterhude. So arm können deine Eltern doch nicht sein.«

Hilflos zuckte Elisabeth mit ihren Schultern. »Mein Verhältnis zu meinen Eltern ist speziell.«

Sarah knotete sich ihre braunen Haare im Nacken zusammen und stützte ihr Kinn auf eine Hand. »Was? Wollten sie, dass du Jura studierst und ihre Anwaltskanzlei übernimmst und du hast rebelliert und jetzt haben sie dich enterbt?«

Sie schnitt eine Grimasse. »Haha. Meine Eltern sind keine Anwälte und ich bin nicht enterbt. Es ist einfach...« Sie verstummte. Es gab nichts, was sie sagen konnte, um sich zu erklären. Sie wusste, dass Sarah und Juliane aus sehr armen Verhältnissen kamen und sich die WG mit Anke nur leisten konnten, weil Anke alleine die Hälfte der Miete zahlte. Jemand wie sie würde nie verstehen, wie sie geschenktes Geld ablehnen konnte. Seufzend stellte sie ihre Kaffeetasse weg. »Ich bin einfach gerne unabhängig.«

Anke schien ihr Unwohlsein zu spüren, denn sie beugte sich, vor griff sich eine Scheibe Toast und wechselte bestimmt das Thema. »Genug von meinen Eskapaden. Was ich wirklich wissen will – hast du jetzt endlich deinen Onenightstand bekommen?«

Juliane sprang sofort darauf an. »Onenightstand? Du? Ich dachte immer, du wärst die Vernünftigste von uns vieren.«

Sie warf Anke einen bösen Blick zu. Wenn ihre Freundin schon merkte, dass ihr ein Gespräch unangenehm war, dann könnte sie wenigstens versuchen, den Fokus auf jemand anderen zu legen. Grummelnd stopfte sie sich eine Weintraube in den Mund und kaute demonstrativ darauf rum, um keine Antwort geben zu müssen.

»Aaaaaha!«, machte Sarah, als wäre sie ein Detektiv, der gerade einen entscheidenden Hinweis entdeckt hatte. »Du willst uns etwas verschweigen, gib's zu!«

Abwehrend hob Elisabeth beide Hände. »Blödsinn. Ich schweige, weil es nichts zu erzählen gibt.«

Wie abgesprochen legten alle drei Studentinnen sich zwei Finger unters Kinn und beugten sich zu ihr, während sie ihre Augen zusammen kniffen und sie von oben bis unten musterten. Errötend versuchte sie, den Blick von allen dreien zu erwidern, doch die stumme Untersuchung ließ sie einknicken.



Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
EnsnaredWo Geschichten leben. Entdecke jetzt