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»Alles klar, Lily? Du wirkst heute nervöser als sonst.«

Überrascht schaute Elisabeth zu der anderen Tänzerin, die sich neben ihr im Spiegel gerade die Lippen nachzog. Sina sprach selten mit irgendjemandem, aber wenn sie es tat, war es immer freundlich und aufbauend. Sah sie so gestresst aus?

»Uni ist einfach mega anstrengend im Moment«, wiegelte Elisabeth ab, während sie eine letzte Nadel in ihr Haar stach, um ihren eleganten Knoten zu befestigen. Während sie nach der Sprühflasche mit Haarspray suchte, versuchte sie, ihre zusammengezogenen Augenbrauen unter Kontrolle zu bringen.

»Aber das ist sie doch jede Woche. Was ist los?« Obwohl Elisabeth nicht zu ihrer blonden Kollegin schaute, wusste sie, dass sie gerade misstrauisch eine Augenbraue hochgezogen hatte. Das tat sie immer, wenn sie die Wahrheit aus jemandem herauskitzeln wollte.

Ergeben seufzend ließ Elisabeth sich in einen Stuhl fallen. »Schön, okay, du hast ja recht. Ich mache mir Gedanken, ob so ein Kunde von letzter Woche heute wieder auftaucht.«

Die ältere Tänzerin wirbelte herum und zog sich einen Stuhl heran, um sich direkt vor sie zu setzen. »Probleme mit einem Gast? Du weißt aber schon, dass du jederzeit jemanden auf die schwarze Liste setzen lassen kannst, wenn der sich nicht an die Regeln hält?«

Sofort hob sie beide Hände: »Nein, nein, das ist es nicht. Er hat keine Regeln gebrochen. Es ist nur ... das klingt jetzt vielleicht blöd, aber er hat mir den ganzen Abend kein Trinkgeld gegeben. Nichts. Und ich hab mich sogar auf seinen Schoß gesetzt.«

Sinas Augen wurden groß. »Was? Das hab ich ja noch nie von dir gesehen.«

Errötend schaute Elisabeth zur Seite. »Weiß auch nicht. Er sieht halt verdammt gut aus und ich hatte Spaß und dachte, ich kann bei ihm richtig was holen. Aber es hat ihn völlig kalt gelassen.«

»Schämst du dich?« Die Frage klang so unschuldig, aber trotzdem breitete sich nur noch mehr Hitze auf Elisabeths Wangen aus.

»Ich weiß doch auch nicht. Ich hätte an dem Abend am liebsten meine Vorsätze über Bord geworfen und ihn mit auf ein Zimmer genommen.« Genervt von sich selbst wollte sie sich durch die Haare fahren, ehe sie sich erinnerte, dass sie diese gerade aufwändig gestylt hatte. Stattdessen ballte sie ihre Hände zu Fäusten. »Es war einfach so komisch. Ich dachte, da wäre was zwischen uns. Also, was halt zwischen zwei Fremden sein kann. Chemie oder so. Und dann meint er lahm, er hätte kein Geld dabei. Als ob ich das glauben würde.«

»Ah, nun verstehe ich. Dein Stolz wurde verletzt. Die wunderschöne Tänzerin, die alle Männer in ihren Bann zieht, und dann wagt es einer, ihr nicht den nötigen Respekt zu zollen. Du bist gekränkt und willst ihn umstimmen, aber du hast auch Angst, eine erneute Niederlage einzustecken.«

Überrascht blickte Elisabeth zu der anderen Frau. »Ich glaube, das trifft den Nagel auf den Kopf. Woher weißt du das?«

Sina brach in lautes Gelächter aus und klopfte ihr gutmütig auf die Schulter. »Schätzchen, sowas hat jede hier schon mal erfahren. In diesem Club sind wir die Königinnen und die Gäste behandeln uns auch so. Und manchmal hat man dann den einen, der nicht mitmacht, und das kratzt am Ego. Das kennen wir alle. Schluck's runter und mach weiter.«

Die andere Tänzerin erhob sich und legte ihren Bademantel ab, um sich bereit für ihren Auftritt mit der Gruppe zu machen. Sprachlos blieb Elisabeth alleine in der Umkleide zurück. Ziellos wanderte ihr Blick über die vielen Spiegel, die Mengen an knapper Kleidung, die an Ständern hingen, die Dosen mit Haarspray und -schaum, die endlosen Töpfe und Tuben mit Schminke. Sie alle hier machten einen Job und wurden dafür bezahlt. Wenn ein Mann nicht zahlte, bedeutete das meistens, dass er ihren Job nicht als solchen anerkannte.

Vielleicht sollte sie den Spieß einfach umdrehen. Ihm eine Dienstleistung anbieten, sie ihm dann aber verwehren. Dann wüsste er, wie es sich anfühlte.

Nachdenklich beäugte sie die schwarze Box, in der die Armbänder aufbewahrt wurden, die ihre Grenzen markierten. Weiß für jene, die nur tanzten oder kellnerten. Rot für jene, die sich anfassen ließen. Violett für alle, deren Gesellschaft man erkaufen konnte. Schwarz für die, die sich für Sex bezahlten ließen. Sie trug stets nur weiß oder rot, niemals violett und ganz sicher nicht schwarz. Sie würde ihr erstes Mal nicht mit einem zahlenden Kunden im Club haben. Auch wenn sie nicht an all die Mythen glaubte, die sich um das erste Mal Sex rankten, so wollte sie doch, dass es besonders war.

Aber vielleicht sollte sie ihn damit reizen. So tun, als könnte er sie haben. Nur weil sie schwarz trug, musste sie mit keinem Mann schlafen, sie durfte trotzdem jeden ablehnen. Der Fremde, der trotz allem immer wieder ihre Gedanken beherrschte, sollte nur glauben, dass er sie haben konnte.

Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen schnappte sie sich ein schwarzes Armband und legte es sich um. Ihr erster Auftritt war direkt nach dem von Sina. Sie würde danach im Publikum schauen, ob der Kerl wieder da war, und wenn nicht, würde sie es direkt wieder ablegen. Keiner ihrer Kollegen musste etwas davon erfahren.



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