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Entschlossen zog Alexander seine Krawatte fester. Er hasste diese Sitzungen mit der ganzen Mannschaft, aber wenn der Boss darauf bestand, dann würde er sich dem immer wieder fügen. Mit einem Nicken begrüßte er die beiden Bodyguards, die rechts und links von der hohen Doppeltür standen und diese öffneten, als er sich näherte. Sie nickten zurück, ohne die Miene zu verziehen.

In dem riesigen Saal dahinter begrüßte Alex ein bekannter Anblick: Die langgezogene Tafel war umsäumt mit über zwanzig Stühlen, wobei am Kopfende bereits Michail saß und ihm zum Gruß zu prostete. Abgesehen von einer Anrichte, auf der diverse alkoholische Getränke und Gläser standen, war der fensterlose Raum ansonsten leer. Er war wie immer der erste.

»Alex, mein Junge«, begrüßte ihn die vom Alter geschwächte Stimme des anderen Mannes. »Wie immer überpünktlich, mh?«

Mit langen Schritten durchquerte er den Raum, würdigte der dunklen Holzvertäfelung und den kerzenlosen Leuchtern keine Beachtung, sondern fokussierte sich ganz auf den Mann, der trotz fehlender Haare und vieler Falten im Gesicht noch immer eine Schärfe in den Augen hatte, die seines Gleichen suchte. Er holte ein Lächeln hervor, das er stets nur für Michail reservierte. »Ich bringe dir schlicht den Respekt entgegen, der dir gebührt, und lasse dich nicht warten.«

Ein raues Lachen war seine Antwort, während der andere Mann mit beiden seiner speckigen Hände nach ihm griff und ihn zu sich zog, um ihm dicke Küsse auf beide Wangen zu geben. »Mit jedem Jahr, das du älter wirst, bekomme ich mehr Komplimente von dir. Glaub nicht, dass ich das nicht bemerke.«'

Grinsend ließ Alex sich auf dem Stuhl zur Linken des Bosses nieder. »Wer weiß, wie lange ich noch Zeit habe, dir Komplimente zu machen. Ich muss die alle jetzt sagen, sonst bereue ich es später!«

»Willst du damit etwa sagen, dass ich alt wäre?« In gespielter Empörung zog Michail ein Messer aus seinem Jackett und wedelte ihm damit vor der Nase herum. »Andere haben schon für weniger einen Finger verloren!«

Alex kam nicht dazu zu antworten, denn im selben Moment trat Dimitrij gefolgt von zwei seiner engsten Vertrauten ein. Augenblicklich ließ er alle Freude aus seinem Gesicht verschwinden und erhob sich, um den drei Neuankömmlingen höflich die Hand zu reichen.

Während nach und nach der Rest jener Männer, auf deren Wort Michail wert legte, eintrudelten, bemühte Alex sich, die Blicke von Dimitrij zu ignorieren. Der ältere Mann saß einige Stühle weiter unten an der Tafel und versuchte jedes Mal, ihn mit Blicken zu provozieren. Alex hatte schon lange verstanden, dass die anderen Männer hier, die zum Großteil wesentlich älter waren als er, es nicht schätzten, dass er seit einiger Zeit links vom Boss saß. Sie alle warteten nur darauf, dass er was Falsches sagte oder tat, um ihn bloßzustellen. Und so wurde jede Sitzung für ihn zu einem Spießrutenlauf.

Er kannte sich nur zu gut. Ein Blick von Dimitrij und sein Temperament würde mit ihm durchgehen. Also ignorierte er den fetten Mann ihm gegenüber so gut es ging.

Als endlich auch Fjodor eintrat und sich ihm gegenüber direkt zur Rechten von Michail setzte, verstummte das leise Gemurmel, das zuvor den Saal erfüllt hatte. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf den Boss, der sich nun mühsam aus seinem Sessel am Kopf der Tafel erhob.

»Die Pfeffersäcke können wie immer den Hals nicht voll genug kriegen«, begann er ohne Umschweife. Seine Stimme war dünn, doch seine Autorität trug sie durch den Raum bis zum letzten Mann. »Boris hat uns diese Woche mitgeteilt, dass die Kontrollen für Schiffe aus Südamerika künftig noch strenger werden. Als ob jede Bananenkiste Bohnen enthält.«

Alex presste seine Kiefer fester zusammen. Was Michail erzählte, war nichts Neues. Seit er im Geschäft war, hörte er ständig nur, dass die Kontrollen verschärft wurden. Jedes Kind wusste inzwischen, dass Schiffe aus Südamerika Drogen an Bord hatten. Nicht nur in Hamburg, alle Häfen in Europa filzten jedes Schiff. Noch gelang es ihnen, einen Großteil ihrer Sendung am Zoll vorbei zu schmuggeln, weil es unmöglich war, jeden Container zu durchsuchen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie bei den verschärften Kontrollen aufflogen.

Während Michail fortfuhr und allen noch einmal erklärte, wie wichtig es war, jeden Schritt des Transports genau zu planen, ließ Alex seinen Blick durch die Runde schweifen. Alle hier wirkten wütend und gleichzeitig wild entschlossen, das Ding am Laufen zu halten. Er hatte es einmal gewagt, in die Runde einzuwerfen, dass sie sich aus dem Drogenhandel zurückziehen sollten, und er würde es nie wieder tun. Er war ausgelacht worden, aber was noch schlimmer war – die anderen wussten seitdem, was seine Intention war. Er war jung und dumm gewesen, trunken von der Macht, die Michail ihm gerade erst gegeben hatte.

Der alte Boss ließ sich zurück in seinen Sessel sinken und ein anderer Mann stand nun auf, um das Wort zu ergreifen. Sie lebten im 21. Jahrhundert, aber noch immer pflegten sie Anstandsregeln, als wären sie eine verdammte Mafia aus dem letzten Jahrtausend. Jeder der hier Anwesenden würde ohne mit der Wimper zu zucken einem anderen ein Messer in den Rücken stechen, aber wehe, man sprach außer der Reihe und stand dazu nicht auf.

Der Mann, der, wie Alex mit einem inneren Schmunzeln bemerkte, tatsächlich einen Nadelstreifenanzug trug, legte dar, wie viele Schiffe mit Heroin sie jeden Monat im Hafen annahmen, wie viele kontrolliert wurden, wie oft sie schon jemanden bestechen mussten – er sprach von Zahlen und Daten, alles auswendig, aber ohne, dass jemand ein Blatt vor sich hatte. Alex unterdrückte ein Stöhnen.

Jeder von ihnen besaß ein Smartphone und er war sich sicher, dass die meisten auch Laptops oder Tablets hätten. Es wäre so leicht, diese Informationen digital zur Verfügung zu stellen. Mit den richtigen Vorsichtsmaßnahmen konnte da wenig passieren. Doch nein, auch hier musste man sich an die Regeln des letzten Jahrtausends halten: so viel wie nötig, aber vor allem so wenig wie möglich jemals irgendwo schriftlich festhalten. Ja keine Beweise hinterlassen.

Dass die Hälfte der Idioten in diesem Raum freudig ihren Reichtum für ein Smart Home verprassten, wo ein digitaler Helfer, der stets mit dem Internet verbunden war, jedes Wort, jeden Schritt, jeden Gast aufzeichnen und mithören konnte, fand niemand problematisch. Aber wehe, man schrieb irgendetwas auf einen Zettel oder schickte gar eine Email.



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