Petunia Unterberg

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,,Sie ist doch ganz hübsch, findest du nicht?", fragte Dora leise. Bilbo wusste nicht recht, was er antworten sollte. Die beiden standen nahe des Gasthauses. Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Hamfast und Bell saßen mit Frau Unterberg an einem Tisch nahe des Fensters. Sie aßen viel und tranken eine Menge Bier. Frau Unterbergs Gesicht wurde von dem goldenen Licht einer Kerze, die auf dem Fensterbrett stand, beleuchtet. Es war wirklich hübsch, da hatte Dora recht. Also nickte der Hobbit kaum merklich. Dora lächelte kurz. Bilbo seufzte und fragte: ,,Was wollen wir hier, Dora?"

,,Nicht wir, Bilbo, du willst hier etwas", verbesserte Dora ihn schmunzelnd. ,,Ich?", fragte Bilbo mit gerunzelter Stirn. ,,Nein, ich würde jetzt am liebsten in meinem Wohnzimmer sitzen, Tee trinken und ein Buch lesen."
Dora Beutlin rollte mit den Augen. ,,Du musst da jetzt reingehen, Bilbo. Diese Frau da ist extra hierher gekommen, um dich zu sehen. Gib ihr wenigstens eine Chance und lass' sie sich vorstellen. Bitte, Bilbo! "

Bilbo seufzte erschlagen und lief langsam zu dem Gasthaus. Er öffnete die Tür und sofort dröhnten die vielen unterschiedlichen Eindrücke auf ihn ein. Im ,Efeubusch' war es laut, stickig, voll und verqualmt von den vielen Pfeifen, die hier geraucht wurden. Aber die Stimmung war sehr gut und es roch fabelhaft nach Essen. Bilbo schloss kurz die Augen. Er musste sich unbedingt beruhigen, bevor er zu Frau Unterberg gehen würde. Dann begann er sich einen Weg durch die vielen Gäste zu bahnen. ,,Pass doch auf!", gröllte ein betrunkener Hobbit und hätte fast sein Bier über Bilbos Hemd geschüttelt. ,,Passen Sie doch auf", presste Bilbo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er konnte Gasthäuser und betrunkene Flegel nicht besonders leiden. Der Beutlin kämpfte sich wortwörtlich durch die Menge und kam schließlich bei dem Tisch, an dem Hamfast, Bell und Frau Unterberg saßen an.

,,Herr Bilbo!", strahlte Hamfast. ,,Da sind Sie ja wieder!" Bilbo lächelte leicht verlegen. ,,Dann können wir ja nun gehen", meinte Bell lächelnd und stand auf. ,,Moment mal ... warum wollt ihr denn gehen?", fragte Bilbo verwirrt. ,,Herr Bilbo", begann Bell lächelnd. ,,Wir wollen Sie und Fräulein Unterberg ja nicht stören." ,,Genau", fügte Hamfast hinzu und klopfte Bilbo kurz auf die Schulter. Und dann gingen die beiden einfach.

Bilbo sah ihnen etwas verzweifelt hinterher. Er wollte nicht, dass sie gingen! Er seufzte und versuchte Hamfast und Bell irgendwie wieder zurück zu holen, aber die waren schon in der Menge verschwunden. Bilbo seufzte. Plötzlich räusperte sich jemand. Bilbo fuhr herum und sah in Frau Unterbergs zartes Gesicht. Er bemerkte, dass sie ein paar Sommersprossen hatte.

,,Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Bilbo?", fragte sie ihn mit einem freundlichen Lächeln. ,,Ähm ... natürlich", entgegnete Bilbo etwas verlegen und setzte sich ihr gegenüber. Die Hobbitfrau schob ihm einen großen Teller mit Tüften, frischen Pilzen und Wildfleisch hin. ,,Sie müssen hungrig sein", lächelte sie und reichte ihm auch noch einen großen Bierkrug. Dankbar lächelte Bilbo, trank einen großen Schluck Bier und meinte dann:,, Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung ... ich musste noch etwas klären".

,,Keine Ursache", erwiderte Frau Unterberg und fuhr sich durch das rote Haar. ,,Aber Petunia reicht."

Bilbo nickte kurz und begann hungrig zu essen. ,,Dann reicht Bilbo auch", murmelte er, mehr zu seinem Teller als zu Petunia. ,,Ich nehme an, dass ich dich vorhin ganz schön erschreckt habe", begann Petunia leicht verlegen und spielte nervös mit einer ihrer Locken. ,,Dieser ganze Kram mit Seelenverwandten ... eigentlich glaube ich an sowas nicht, an Seelenverwandtschaft. Aber es hat sich alles so perfekt angefühlt, weißt du?"

Auf ihr Gesicht legte sich nun ein verträumter Ausdruck. ,,Wie meinst du das?", fragte Bilbo verwundert und unterbrach das Essen. Er sah Petunia direkt in die dunklen Augen. Sie wurde rot, aber hielt seinem Blick stand. ,,Naja...also wir haben dieselben Hobbies. Ich lese auch sehr gerne und wandern mag ich auch total. Außerdem siehst du echt gut aus, wenn ich das so sagen darf", erwiderte sie verlegen und schaute nun zu Boden.

Bilbo wusste erst nicht, was er daraufhin sagen sollte. ,,Ich ... ähm", versuchte er die richtigen Worte zu finden. ,,Ich fühle mich ja geschmeichelt, dass so eine junge Frau wie du mich...gutaussehend findet."

Petunia blickte auf und lächelte. Bilbo konnte klar die Hoffnung in ihren Augen sehen. ,,Aber ... ich bin im Moment nicht bereit für eine Beziehung. Es tut mir leid", fügte er leise hinzu.

Der Ausdruck von Hoffnung verwandelte sich in Mitleid. Bilbo missfiel es. Der Hobbit wollte nicht, dass irgendjemand mit ihm Mitleid hatte. Petunia legte ihre Hand auf seine. Bilbo betrachtete ihre Hand, sie war blass und schmal. Mit kleinen zierlichen Fingern und ganz kurz geschnittenen Fingernägel. Bilbo schluckte. Ihre Hand auf der seinen fühlte sich so komisch an, so falsch. Langsam zog er seine Hand weg und ließ sie in seiner Westentasche verschwinden, in der er den kleinen goldenen Ring spürte. Petunia seufzte leise. ,,Wenn du darüber sprechen willst, bin ich für dich da. Ich weiß, dass das komisch wäre, weil wir uns eigentlich nicht kennen; aber ich wäre da. Immer."

,,Danke, das weiß ich zu schätzen; aber ich will nicht darüber reden", entgegnete Bilbo mit zittriger Stimme. Seine Lippen bebten. Bevor er noch anfing zu weinen, griff Bilbo nach dem Bierkrug und leerte den Krug in wenigen Zügen. Petunia hob bloß eine Augenbraue. Dann aßen sie schweigend weiter. Beide waren in ihre eigenen Gedanken versunken. Vielleicht hätte Petunia gerne etwas sagen wollen, aber wenn, dann traute sie sich nicht. Sie waren wie abgeschirmt von dem Lärm im Gasthaus. Ihr Tisch war wie eine kleine stille Insel. Und Bilbo fühlte sich gefangen auf dieser Insel. Irgendwann konnte er die Totenstille nicht mehr ertragen. Seit Thorins Tod war viel zu viel Stille in seinem Leben. Stille, in der er sich in seinen dunkelsten Gedanken verirrte. ,,Petunia?", fragte er schließlich, nachdem er aufgegessen hatte. ,,Ja?", fragte sie leise.

,,Erzähl mir von dir", bat Bilbo. Petunia lachte nervös und entgegnete:,, Was soll ich denn erzählen?" ,,Hast du Geschwister? Woher kommst du? Was machst du am liebsten? Wie alt bist du?", hakte Bilbo geduldig nach. ,,Du kannst mir nicht erzählen, dass du auf keine dieser Fragen eine Antwort hast."

,,Naja", meinte sie mit rosanen Wangen. ,,Ich bin 33 Jahre alt, habe sechs ältere Schwestern und komme aus Bree. Dort arbeite ich als Kellnerin. In meiner Freizeit lese ich gerne und gehe wandern." ,,Geht doch", schmunzelte Bilbo leicht. Danach purzelten die Worte nur aus Petunias Mund. Vielleicht hatten ihr die Krüge Bier die Zunge gelockert oder sie war nun einfach mutiger geworden. Petunia erzählte von ihrem Elternhaus in Stadel, von ihren sechs Schwestern, die alle schon Familie hatten, von ihren Freunden in Bree, von ihrer Arbeit und wie sie Doras Anzeige im Auenland-Kurier entdeckt hatte. Ein paar Hobbits aus dem Ostviertel hatten den Artikel an ihrem Tisch liegengelassen und die neugierige Petunia hatte ihn eingesteckt. Das erklärte auch die Essensflecke auf dem Papier.

Schließlich wurde es spät und sie verließen den Schankraum. Petunia hatte sich hier im ,Efeubusch' ein Zimmer gemietet. Bilbo und Petunia standen an der Treppe, die hinauf zu den Gästezimmern führte. ,,Gute Nacht", sagte Bilbo mit einem milden Lächeln. ,,Gute Nacht", erwiderte Petunia. Bilbo wollte sich schon zum Gehen wenden, als Petunia ihm am Ärmelsaum zurückhielt. ,,Was ist?", fragte er erstaunt. ,,Ich will das hier wenigstens versuchen, Bilbo", meinte Petunia ernst. ,,Ich bin schon so lange auf der Suchen nach jemandem, der zu mir passt. Ich bin extra hierhergekommen. Ich mag vielleicht jung sein, aber ich fühle mich unter Druck gesetzt. All meine Schwestern sind schon verheiratet und haben Kinder. Aber ich nicht und ich weiß, dass du Zweifel hast. Und ich weiß, dass das ziemlich egoistisch ist, aber ich bitte dich, Bilbo. Lass es uns wenigstens versuchen, ja?"

Bilbo wusste nicht, was er jetzt sagen sollte. Er wusste, dass das hier eigentlich der richtige Moment wäre, ihr zu sagen, dass er keine Beziehung mit ihr wollte, aber der Hobbit konnte es nicht. Thorin hätte gewollt, dass er wieder glücklich ist. Vielleicht war Petunia die erste und letzte Frau, die sich je für ihn interessierte.

,,Wir können es ja wenigstens versuchen", sprach er leise. Petunia lächelte und lief dann nach oben. Sie lächelte Bilbo noch einmal zu, bevor die Hobbitfrau in ihrem Zimmer verschwand. Bilbo seufzte. Er hatte das Gefühl, alles falsch zu machen.

Der Schatten des Ringes| BagginshieldWhere stories live. Discover now