,,Sieh zu, wie sie wachsen"

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Bilbo saß nachdenklich in einer Miene und holte etwas heraus. Der Hobbit betrachtete den Gegenstand in seiner Hand nachdenklich. Thorin wurde auf ihn aufmerksam und eilte aufgebracht zu ihm. ,,Was ist das?", fragte er misstrauisch. ,,In deiner Hand!" Bilbo sprang auf und sagte schnell:,, Das ... das ist nichts!" ,,Zeig's mir!", verlangte Thorin aufgebracht. Bilbo sah Thorin starr an. Wahrscheinlich vermutete der Zwerg, dass Bilbo den Arkenstein hatte. Welchen er ja auch hatte, aber das musste Thorin ja noch nicht wissen. Dann öffnete der Halbling seine Hand und offenbarte eine Eichel. ,,Ich habe sie in Beorns Garten aufgelesen", meinte er leise. Thorins Gesichtszüge wurden weich. ,,Du hast sie bis hierhergebracht?", fragte er sanft. ,,Ich pflanze sie in meinen Garten", entgegnete Bilbo. ,,in Beutelsend."

Thorin lächelte, als er erwiderte:,, Ein recht kleines Andenken für das Auenland.". ,,Oh", sagte Bilbo und grinste kurz. „Sie wird ein Baum."

Dann wurde er wieder ernst und fügte hinzu: ,,Und wenn ich ihn ansehe, werd' ich mich erinnern an alles, was geschehen ist, das Gute, das Böse. Und an das Glück es nach Hause geschafft zu haben." Bilbo grinste glücklich über Thorins Lächeln. Es gefiel ihm ihn so zu sehen. ,,Thorin, ich ..."

Ich liebe dich, wollte er sagen, aber Dwalin kam ihm zuvor. ,,Thorin!", sagte er aufgebracht. ,,Überlebende. Aus der Seestadt, sie strömen nach Thal hinein. Zu hunderten!" Thorins Stimme bekam sofort wieder einen bösen Klang, welchen Bilbo traurig machte. ,,Ruf alle ans Tor! Ans Tor! Sofort!"

Die Szenerie änderte sich. Bilbo und die Zwerge standen auf der Mauer des Erebors. Unten stand ein riesiger Heer voller Elben und wütender Fischer, angeführt von Thranduil und Bard. Der Halbling zitterte, als er sagte:,, N ... Nein, das ist keine Täuschung. Der Stein ist echt. Ich habe ihn ihnen gegeben."

Thorin wandte sich Bilbo zu. In seinem Gesicht konnte Bilbo blanke Wut sehen. ,,Du", stieß er enttäuscht hervor. Es brach Bilbo fast das Herz, er wollte Thorin nicht enttäuschen. Für einen Moment zweifelte er daran, das Richtige getan zu haben. Hätter er Bard und Thranduil den Arkenstein niemals geben sollen? Nein, sagte Bilbo zu sich selbst. Thorin war nicht länger er selbst. Er litt unter der Drachenkrankheit und das Letzte, was geschehen sollte, war, dass Thorin den Arkenstein in die Hände bekam. Bilbo atmete tief durch, überzeugte sich das letzte Mal selbst, das Richtige getan zu haben und erwiderte:,, Ich habe ihn als meinen vierzehnten Teil genommen."

Thorin schnaubte wütend:,, Du hast ihn mir gestohlen!" ,,Dir gestohlen?", fragte Bilbo. ,,Nein."

Er schüttelte traurig den Kopf, um das nochmal zu unterstreichen. ,,Nein, mag sein, dass ich ein Dieb bin, aber doch ein ehrlicher, behaupte ich. Ich bin bereit, dafür auf meine Ansprüche zu verzichten."

,,Auf deine Ansprüche?", lachte Thorin abfällig. ,,Du hast keine Ansprüche an mich, du elender Wurm!" ,,Ich wollte ihn dir schon geben", entgegnete Bilbo zittrig. ,,Viele Male wollt ich's, aber..."

,,Aber was, du Dieb?!", brüllte Thorin wütend. Bilbo zuckte zusammen. Thorins Stimme klang wie die von Smaug, wie eine Drachenstimme. ,,Du hast dich verändert, Thorin!", sagte er nun lauter und mit hoffentlich fester Stimm., ,,Der Zwerg, den ich in Beutelsend kennenlernte, hätte sein Wort niemals gebrochen! Hätte nie an der Treue der Seinen gezweifelt!"

,,Du sprichst mir nicht von Treue!", erwiderte Thorin verächtlich. ,,Werft ihn den Wall hinunter!" Die übrigen Zwerge starrten ihren König entsetzt an. ,,Thorin!", sagte Dwalin geschockt. Thorin packte Fíli, als niemand reagierte. ,,Hört ihr mich nicht!? Werft ihn den Wall hinunter!" Fíli riss sich los.

,,Dann mache ich es selbst!", entschied Thorin wutentbrannt und packte Bilbo grob. Bilbo wehrte sich nicht. Das hätte gar keinen Sinn gemacht, denn der Zwerg war viel stärker als er selbst. Bilbo hoffte einfach, dass das hier ein Albtraum war, aus dem er gleich erwachen würde. Doch es war kein Albtraum, es war die bittere Realität. Dies spürte Bilbo, als Thorin ihn hart auf die steinerne Kante drückte. Bilbo wimmerte leise. Würde Thorin es wirklich wagen? ,,Verflucht sollst du sein! Und der Zauberer, der dich uns aufgezwungen hat!"

,,Bitte Thorin", keuchte Bilbo leise und ängstlich. ,,Tu das nicht. Bitte ... du weißt nicht, was du tust."

,,Oh doch, das weiß ich ganz genau!", grollte Thorin und drückte den Halbling noch ein Stück weiter über die Kante. ,,Sprich deine letzten Worten, Meisterdieb!"

Bilbo konnte sich an die vielen Male, als Thorin ihn spielerisch oder zärtlich Meisterdieb genannt hatte. Doch dieses Mal, das vermeintlich letzte Mal, klang das Wort aus seinem Mund kalt, wütend, verhöhnend und stumpf.

,,Ich habe dich geliebt", flüsterte Bilbo und weil das nicht ganz stimmte, fügte er noch leiser hinzu:,, Ich tue es immer noch, Thorin."

Für einen Moment konnte Bilbo den Blick in Thorins blauen Augen nicht deuten. Jedoch war er nicht mehr so unfassbar grausam und wütend wie vorher. Er war fast ... zärtlich. Doch dann raunte Thorin gehässig:,, Das hast du nie getan. Und ich habe es auch nie getan. Du bist für mich nichts weiter als eine kleine diebische Auenlandratte!" In Bilbos Augen bildeten sich Tränen, dann wollte Thorin ihn hinab werfen. Aber er hatte nicht mit Gandalf gerechnet...

Als Bilbo aufwachte, brummte sein Schädel. Am weißen Winterhimmel konnte er die riesigen majestätischen Adler entdecken. ,,Die Adler kommen", raunte er leise. Dann sah er Thorin. Der Zwerg stand am Rand des Wasserfalls, im nächsten Moment bricht er zusammen. Bilbo stürzte erschrocken zu ihm und hockte sich neben Thorin.

,,Bilbo", keuchte Thorin und griff schwach nach der kleinen Hand des Hobbits. ,,Nicht bewegen, nicht bewegen. Lieg still", flüsterte Bilbo. Dann entdeckte er die riesige klaffende Wunde und würgte. ,,Ich bin froh, dass du hier bist ... Amrâlimê (*1)", raunte Thorin schwach. ,,Shh ... shh", machte Bilbo verzweifelt. ,,Ich möchte in Freundsschaft von dir scheiden ... nein, in Liebe", erwiderte Thorin aufrichtig. ,,Nein, du ... du gehst nirgendwohin, Thorin. Du wirst leben!", sagte Bilbo. ,,Ich möchte zurücknehmen, was ich am Tor gesagt habe. Du hast getan, was ein wahrer Freund tut ... vergib mir", hauchte Thorin.

,,Nein, ich bin froh, dass ich mit dir durch die Gefahren gehen durfte, Thorin! Um jede bin ich froh. Das ist viel mehr, als irgendeinem Beutlin zukommt."

,,Erinnerst du dich an unsere Nacht in Seestadt?", flüsterte Thorin und ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen aufgesprungenen blutigen Lippen. Bilbo nickte verzweifelt. Das würde er nie vergessen. ,,Ich bin dir so dankbar, für alles", fügte Thorin noch hinzu. Bilbo legte ihm sanft eine Hand an die Wange. Thorin lächelte und sprach schwach:,, Leb wohl, Meisterdieb. Kehr zu deinen Büchern zurück. Und zu deinem Sessel. Pflanz deine Bäume. Sieh zu, wie sie wachsen.". ,,Thorin", hauchte Bilbo. Ihm war das zärtliche Meisterdieb nicht entgangen.

,,Gäbe es nur mehr, die ein Zuhause höher achten als Gold, diese Welt wäre ein viel glücklicherer Ort", raunte der Zwerg leise und stöhnte schmerzerfüllt. ,,Nein, nein, nein, nein. Nein, Thorin! Wag es ja nicht!", rief Bilbo verzweifelt.

Thorin Eichenschild tat einen letzten tiefen Atemzug. ,,Thorin", flüsterte Bilbo ganz nah an seinem Kopf, ,,Thorin ... Thorin. Thorin. Die Adler. Die Adler. Die Adler ... die Adler sind da! Thorin ... die Adler." Er brach weinend ab und kniete heulend neben Thorin. Ihm liefen die salzigen Tränen über die Wangen. Der Hobbit beugte sich über den Zwerg und küsste ihn auf die Stirn. Ein letztes Mal.

Bilbo Beutlin schreckte aus dem Schlaf hoch. Mal wieder hatten ihn Albträume heimgesucht. Bilbo war schweißgebadet. Er hörte von draußen Vogelgezwitscher. Es war bereits hell. Der Hobbit stieg aus dem Bett, wobei ihm die Beine zitternden. Bilbo schlüpfte in seine Pantoffeln und lief leise in seinen Garten. Doch kniete er sich neben den kleinen Baum, der aus Beorns Eichel gewachsen war. Als Bilbo sich vergewissert hatte, dass noch niemand draußen war, fing er an bitterlich zu weinen. Der kleine Baum, erst bestehend aus einem mickrigen Ast und ein paar Eichenblättern, spendete ihm irgendwie Trost. Irgendwann waren Bilbos Tränen versiegt und er starrte einfach nur noch nachdenklich auf den kleinen Baum. Die Hobbits, die am Gartenzaun vorbeikamen, wunderten sich nicht über den Hobbit, der dort in seinem Schlafanzug vor einem Baum saß und ihn anstarrte. Bei Bilbo Beutlin wunderte sie nichts mehr.

Der Schatten des Ringes| BagginshieldWhere stories live. Discover now