Der Meister und die Tochter des Flusses

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Bilbos Beine waren schwer, als er an diesem Nachmittag wanderte. Seit seinem Geburtstag waren mehrere Tage vergangen. Er hatte das Auenland und Bockland hinter sich gelassen und war nun auf dem Weg nach Westen, um erst nach Bree und dann nach Bruchtal zu kommen. Bree lag hinter dem Alten Wald und Bilbo hatte beschlossen, durch den Wald zu gehen. Dieser hatte ihn schon immer fasziniert und wenn nicht jetzt, wann dann? Das Wetter war schlechter geworden. Es war kühl und der mit grauen Wolken verhangene Himmel versprach Regen. Bilbo vermisste den guten Frodo. Hoffentlich schaffte der Junge alles, allein wie er nun war. Auch vermisste Bilbo die Bequemlichkeit eines Zuhauses. Es gab nicht alle zwei Stunden etwas zu essen aber vielleicht war das auch besser so. Der alte Hobbit war sich nämlich sicher, dass er schon etwas an Gewicht verloren hatte. ,,Was ist bloß los mit mir?", fragte Bilbo sich leise, als er direkt vor dem Wald stand und einen Schluck Wasser trank. ,,Vor sechzig Jahren war ich nicht so zimperlich, was die Anstrengung einer Reise angeht."

Aber vor sechzig Jahren warst du auch noch um einiges jünger und fitter, erinnerte sich der Hobbit und seufzte leicht.

,,Das ganze Gemoser bringt dir auch nichts, du Faulpelz", sagte Bilbo sich streng, packte seine Feldflasche wieder ein, schulterte seinen Rucksack, zog sich die Kapuze über die weißen krausen Haare und band Thorins Schal enger um seinen Hals. Dann sprach er sich etwas Mut zu und betrat den Wald, der bedrohlich und dunkel wirkte. Bilbo wusste nicht viel über den Alten Wald aber einmal hatte ihm sein Vetter Rorimac davon erzählt, dass die Bäume versucht hatten den Wald zu verlassen. Sie hatten sich über die Hecke, die Bockland von dem Wald trennte, gelehnt. Daraufhin fällten die Hobbits Hunderte von den Bäumen und legten ein großes Feuer, um die Bäume zurückzutreiben. Die Bäume zogen sich wieder zurück aber waren seitdem sehr unfreundlich und gar nicht mehr gut auf ,,Eindringliche" zu sprechen.

Schließlich kam Bilbo zu einer kahlen Lichtung, auf der nun Disteln und struppige Gräser wuchsen. Er sah sich erstaunt um und kam schließlich zu dem Schluss, dass hier damals das Feuer gelegt wurden sein musste. Er lief weiter und nach einigen Stunden bekam er das Gefühl, dass er vom Weg abgekommen war. Bilbo stöhnte genervt auf und ließ sich schließlich an einem Fluss nieder. Er war dunkel und das Wasser des Flusses war bräunlich. Überall standen Weiden und Bilbo runzelte die Stirn. Denn in dem Teil des Waldes, in dem er bisher gewesen waren, waren Weiden sehr selten gewesen. Bilbo wusch seine Füße und füllte seine Feldflasche wieder auf. Dann legte er seine schweren alten Beine hoch auf einen Baumstumpf und fuhr sich müde durchs Gesicht. Warum war er plötzlich so müde? Was war hier los?

Plötzlich erinnerte sich Bilbo an den Düsterwald und bekam Panik. Er sprang auf und rechnete kurz damit, dass auf einmal riesige fette Spinnen auf ihn zu krabbeln würden. Aber so war es nicht. Es kamen keine Spinnen. Er atmete erleichtert aus und steckte Stich, das er reflexartig aus der Scheide gezogen hatte, wieder ein. ,,Du überreagierst, alter Mann", versuchte er sich zu beruhigen. ,,Das hier ist ein ganz normaler Wald mit ganz normalen Bäumen und ganz und gar nicht so wie der Düsterwald. Du bist einfach nur erschöpft und müde ... ja, ich bin so furchtbar müde."

Er gähnte, streckte und reckte seine alten steifen Glieder und ließ sich dann schwerfällig zwischen den langen dicken Wurzeln eines Weidenbaumes nieder, die bis in das dunkle Wasser des Flusses, der Weidenwinde, hineinreichten. Bilbo hatte Mühe die schweren Lider offen zu lassen, als er mit seinen Händen Wasser schöpfte und sich das kühle Nass ins Gesicht spritzte. Dabei summte er leise und versuchte den aufkommenden Schlaf von sich abzuschütteln. Schließlich war es erst später Nachmittag. Er wollte heute noch ein gutes Stück Weg hinter sich bringen, sonst schaffte er es nie vor Wintereinbruch nach Bruchtal.

Auf einmal spürte er einen Stoß in seinem Rücken und erschrak, als er den Halt verlor und kopfüber in den Fluss kippte. Das Wasser war eiskalt und furchtbar dunkel und trüb, als er hinein tauchte. Panisch machte Bilbo einige Versuche, mit den Armen wieder hinauf zu rudern und er hätte es sicher geschafft, wenn ihn nicht plötzlich eine große dicke Wurzel am Fußknöchel gepackt hätte. Bilbo wurde panisch und hektisch, während die Wurzel ihn langsam nach unten zog. Er spürte, wie ihm langsam die Luft ausging. Ich werde ertrinken, dachte Bilbo, ich werde jämmerlich ertrinken. In einem letzten Versuch streckte er die rechte Hand nach oben, schloss die Augen und richtete ein letztes stummes Gebet an die Valar...doch er wurde unterbrochen, denn seine Hand wurde gepackt und Bilbo wurde von der Wurzel befreit und herausgezogen.

Der Schatten des Ringes| BagginshieldDonde viven las historias. Descúbrelo ahora