Ein Platz über dem Kamin

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Als Bilbo wieder in Beutelsend war, war von Dora Beutlin keine Spur mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie sich schon hingelegt. Der Hobbit schmunzelte. Erst drängte sie ihn zu diesem Rendez-vous und dann erwartete sie ihn danach nicht, um ihn mit Fragen zu durchlöchern? Naja, dachte Bilbo zufrieden, mir soll es recht sein. Dann habe ich wenigstens meine Ruhe. Der Beutlin sah sich kurz in seinem Smial um, so wie er es oft tat. Alles war in Ordnung. Seine Cousine hatte sogar aufgeräumt. Bilbo lächelte kurz. Er war dankbar dafür, dass Dora noch bei ihm blieb. Sonst wäre er wohl viel öfter allein. Der Hobbit lief in die Küche, um sich dort einen Tee zuzubereiten. Während das Wasser kochte, dachte er über den Abend mit Petunia nach. Eigentlich war es doch ein schöner Abend gewesen.

Aber Bilbo hatte keineswegs vor, aus der Beziehung zu Petunia (wenn man es denn schon überhaupt so nennen konnte) etwas Ernstes zu machen. Vielleicht würden sie Bekannte bleiben oder sogar Freunde werden, aber nicht zu besonders engen Freunden, denn der Hobbit wollte die Dinge nicht noch verkomplizieren. Er wusste, dass Petunia mehr mit ihm wollte als nur flüchtige Bekanntschaft oder unbedeutende Freundschaft. Aber Bilbo wollte genau dies nicht mehr. Er würde Thorin immer in seinem Herzen tragen und ihn bis zu seinem eigenen letzten Atemzug lieben, sowie Thorin es bei ihm getan hatte. Außerdem war Bilbo nicht der Typ eines Hobbits, der heiratete und vielleicht sogar Kinder bekam. Nein, er wollte einfach seine Bücher lesen, seiner Eiche beim Wachsen zuschauen, seine Pfeife rauchen und den Rest seines Lebens in Ruhe genießen, so wie er es damals getan hatte. Vor dieser Reise, die alles verändert hatte.

Natürlich wusste Bilbo, dass er nie mehr so leben konnte wie er es damals getan hatte. Er hatte sich verändert. Er war nicht mehr derselbe Hobbit. Nicht nur der kleine geheimnisvolle Ring aus Gollums dunkler Höhle, sein Schwert (Bilbo glaubte mittlerweile auch, dass es eher ein Brieföffner war aber trotzdem nannte er Stich noch liebevoll Schwert) und die Kiste Gold, die immer noch nach Troll stank, erinnerten ihn daran. Bilbo trug nun auch viel mehr Erinnerungen in sich. Damals war sein Leben langweilig gewesen. Er hatte bloß gelesen, viel gegessen und viel geraucht. Der einzige Drache hieß in seinem damaligen Alltag Lobelia Sackheim-Beutlin. Das alles hatte ihm gereicht (wobei er Lobelia nur mit den großen Mühen ertragen konnte), doch nun reichte ihm das nicht mehr.

Er hatte eine lange Reise in den weiten Osten von Mittelerde hinter sich. Er hatte Elben, Trolle, Orks, Zwerge und Menschen getroffen, hatte sich sogar mit den Zwergen; die er anfangs nicht leiden konnte; angefreundet, hatte seine große Liebe getroffen und sie in einer schrecklichen Schlacht wieder verloren. Das alles und Thorin hatten ihn verändert und Bilbo war in gewisser Weise dankbar dafür. Bilbo seufzte leise. Der Kessel voller heißem Wasser pfiff penetrant vor sich her. Der Hobbit schreckte aus seinen Gedanken und füllte sich das dampfende Wasser in eine zierliche kleine Porzellantasse, die zu einem Teeservice gehörte, welches vor langer Zeit das Hochzeitsgeschenk seiner Eltern war. Dann versenkte er das kleine metallene Teeei, welches mit grünen wohlriechenden Teeblättern gefüllt war, in der Tasse und sah zu, wie sich das Wasser langsam krautgrün verfärbte. Bilbo nahm die Teetasse und lief leise, um Dora nicht zu wecken, in sein Arbeitszimmer. Er entzündete eine Kerze und setzte sich an seinen Schreibtisch. Dort lag das rote Büchlein, welches ihm Dora zu seinem 52. Geburtstag im letzten Herbst geschenkt hatte. Bilbo hatte sich noch nicht getraut, in das Buch zu schreiben aber er war sich sicher, dass er in diesem Notizbuch seine Reise zum Einsamen Berg zu Papier bringen wollte. Bilbo hatte auch schon einen Titel:

Hin und wieder Zurück - Die Geschichte eines Hobbits

,,Ja", sagte er leise, lächelte und strich liebevoll über den ledernden Einband. ,,Ich werde sie irgendwann schreiben. Bevor ich sterbe. Ich verspreche es dir, ... Amrâlimê (*1)" Was Bilbo nicht wusste, war, dass ihm zugehört wurde, während er sprach. Dora Beutlin war nämlich kurz vorher im Nebenzimmer aufgewacht und wunderte sich nun, warum ihr Vetter zu sich selbst sprach.

Der Schatten des Ringes| BagginshieldWhere stories live. Discover now