> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟳

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Am Mittwoch gehen Brianna und ich in der Mittagspause wieder gemeinsam in die Mensa.

„Kannst du glauben, dass M&M einfach schwänzen?", fragt sie kopfschüttelnd, als wir uns an einen freien Tisch setzen.

„M&M?"

„Maeve und Mackenzie. Ich nenne die beiden immer so."

„Oh, ja klar. Verstehe." Mittlerweile habe ich verstanden, dass Bri Abkürzungen und Spitznamen mag. Also überrascht mich das nicht wirklich.

„Ich mag die beiden ja, aber manchmal verstehe ich nicht, wie ihnen ihre Zukunft so egal sein kann. Klar, wir machen erst im nächsten Schuljahr unseren Abschluss, aber sie hätten sich wenigstens in den ersten Wochen zurückhalten und mit dem Schwänzen warten können." Brianna ist sichtlich von der Einstellung ihrer Freundinnen genervt. Ich war selbst nie die Sorte der Schüler gewesen, die geschwänzt hat. Selbst an dem Tag, an dem ich gedemütigt wurde, bin ich bis zum Schluss geblieben. Auch, wenn ich mich die meiste Zeit in der Schultoilette versteckt habe. Aber ich habe durchgehalten.

„Wahrscheinlich sind die beiden wieder mit ihren komischen Freunden unterwegs. Sie suchen sich nämlich immer wieder irgendwelche Collegetypen, die im ersten Jahr sind und hängen dann mit ihnen rum." Diese Sache scheint sie traurig zu machen. Ich hatte bereist am Anfang das Gefühl, dass Maeve und Mackenzie Brianna etwas außen vor lassen und eher untereinander vertraut sind. Jetzt scheint sich meine Beobachtung bestätigt zu haben, auch wenn ich es bevorzugen würde, wenn es nicht so wäre. Vermutlich verändern sich Freundschaften schon während der Highschool und nicht nur danach. Zum Glück habe ich das noch nicht miterleben müssen, weil Fiona und ich nach wie vor beste Freundinnen sind und erst etwas Gravierendes passieren müsste, damit sich das ändert.

„Na ja, dafür hast du jetzt mich", versuche ich sie ein bisschen aufzumuntern.

Ein kleines Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. „Ja, stimmt. Du scheinst vernünftig zu sein." Ich muss ebenfalls lächeln. „Keine Ahnung, warum mich das so aufregt, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere Freundschaft nicht mehr so ist, wie sie einmal war." Also stimmt es. Enttäuschung huscht über Bris Gesicht und ich wünschte, ich wüsste etwas passendes, was ich sagen könnte.

„Ist ja auch egal. Was gibt's Neues bei dir?" Da sie das Thema wechselt, schätze ich, dass sie nicht weiter darüber reden möchte. Also zwinge ich sie auch nicht dazu.

„Ach, eigentlich nichts", gebe ich schulterzuckend zurück.

„Na gut. Dann verrate mir mal, warum du immer wieder in Blakes Richtung guckst." Herausfordern zieht sie beide Augenbrauen hoch. Verdammt.

„Was? Das mache ich gar nicht", sage ich abwehrend, aber meine Stimme klingt viel zu hoch und zu verräterisch.

Bri schaut mich wissend an. Mit diesem Gesichtsausdruck ähnelt sie Fiona wieder einmal viel zu sehr. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. „Okay. Meine Mom hat ihn uns seine Familie am Samstag zu uns zum Grillen eingeladen."

„Oh." Das ist alles. Mehr sagt sie dazu nicht.

„Was meinst du damit?"

„Ich wusste nicht, dass du ihn magst", sagt Brianna überrascht.

„Moment, was? Nein! Ich mag ihn nicht. Ich habe kein Interesse an ihm." Wieso denkt sie das? „Meine Mom hat Interesse an einer Freundschaft mit ihnen, nicht ich."

„Komm mal wieder runter. Hätte ja sein können. Schließlich kannst du nicht leugnen, dass er gut aussieht."

Mein abstoßender Gesichtsausdruck spricht wohl Bände.

„Nur weil er beliebt ist, heißt das nicht, dass er ein Arschloch ist." Ja, klar.

„Woher willst du das wissen?" Wenn ich an Blake Parker in der Hanford High zurückdenke, sehe ich ihn ganz klar als Arschloch mit einem selbstgefälligen Grinsen vor mir. Auch wenn ich das erst im Nachhinein eingesehen und mir eingestanden habe.
Brianna dreht sich um und schaut nun ebenfalls zu Blakes Tisch herüber. „Siehst du den Jungen mit den schwarzen Haaren, der neben Blake sitzt?"

„Ja", antworte ich verunsichert.

„Das ist mein Bruder Conor. Er ist Blakes bester Freund." Sie dreht sich wieder zu mir. „Daher weiß ich, dass er sogar echt nett ist. Glaub mir, in der Schule ist er ganz anders als außerhalb." In ihrer Stimmlage kann ich erkennen, dass sie es ernst meint.

„Warum erzählst du mir das?"

„Weil ich glaube, dass du ihn als arroganten Idioten abstempelst. Gib ihm eine Chance, Avery."

Okay. Nun habe ich endgültig das Gefühl, im falschen Film zu sein. Jetzt bin ich diejenige, die über ihn urteilt?

„Deswegen stehen Maeve und Mackenzie auf ihn?" Das ist alles, was ich dazu sage.

„Nein. Sie kennen ihn eigentlich gar nicht, aber das müssen sie auch nicht. Ich bezweifle, dass die beiden sein Typ wären", erwidert sie nachdenklich. „Außerdem interessieren sie sich nur dafür, dass er gut aussieht und beliebt ist. Und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass Blake nicht so jemand ist, der sich nur aufs Äußere konzentriert."

Ehrlich gesagt kann ich mir das nicht vorstellen. Natürlich ist mir bewusst, dass jeder auch auf innere Werte achtet, aber ich kann dieses Bild von ihm heute und dem, was ich nich von damals habe, nicht vereinen.
Verständnislos sehe ich sie an. „Warum erzählst du es mir dann?"

Bri lächelt. „Weil ich, so komisch es klingen mag, dir vertraue. Ja, wir kennen und erst seit einer Woche, aber ich habe bei dir irgendwie in gutes Gefühl. Meine Mom sagt immer, dass ich gut darin sei, Menschen einzuschätzen und dich schätze ich als guten Menschen ein. Wenn du so wie M&M wärst und Blake sofort angehimmelt hättest, hätte ich es dir wahrscheinlich nicht so direkt gesagt."

Ich verstehe es noch immer nicht. „Ja, aber was erwartest du jetzt von mir?" Gerade komme ich mir vor wie Harry, dem Dumbledore gerade irgendeine Weisheit erzählt hat, diese jedoch nicht versteht.

„Ich dachte, du wärst schlau, Avery. Sei einfach offen ihm gegenüber." Das hatte ich ja bereits probiert und was da rauskam wissen wir ja alle.

Meine Augen wenden sich von Bri ab und schauen wieder zu Blake. Er sitzt an einem Tisch am anderen Ende der Mensa umringt von seinen Footballfreunden und sieht wie dieser typische beliebte Typ aus, auf den alle stehen. Auf den auch ich früher stand.

Kopfschüttelnd wende ich meinen Blick wieder Bri zu.

„Weißt du, warum Blake in unserer Stufe ist?", fragt sie in einem ernsten Unterton. Ich schüttle den Kopf. Diese Frage konnte ich mir nicht aus dem Kopf schlagen, habe jedoch jeden Gedanken daran verdrängt, weil ich nicht allzu viele Gedanken an ihn verschwenden wollte.

„Blake ist vor über einem Jahr an diese Schule gekommen. In seiner Anfangszeit war alles ganz normal. Er war der Neue und alle mochten ihn. Aber nach dem Sommer hat sich irgendwas geändert. Blake kam immer weniger bis wochenlang gar nicht mehr zur Schule und hat somit auch sämtliche Klausuren vermasselt. Während dieser zeit kam er immer öfter zu uns, manchmal auch mit seinem kleinen Bruder. Irgendwann habe ich mitbekommen, dass sein Dad verstorben war. Seitdem ist er irgendwie anders. Klar, von außen merkt man es ihm nicht an, aber durch Conor kenne ich ihn anders und weiß, dass ihn das tief getroffen haben muss."

Ich bin sprachlos. Alles Gesagte durchfließt gerade meinen Kopf und benebelt meine Gedanken. Deswegen war nie die Sprache von Maggies Ehemann oder Blakes Vater. Er ist tot. Scheiße. Das wusste ich nicht. Ich habe ja wirklich mit vielem gerechnet, aber das ist mir bisher noch gar nicht in den Sinn gekommen. Unwillkürlich wandert mein Blick wieder zu Blake. Gerade lacht er über irgendwas, das der Junge mit den schwarzen Haaren – Briannas Bruder Conor, wie ich jetzt weiß – gesagt hat. Nie hätte ich gedacht, dass jemand wie Blake mit sowas zu kämpfen haben könnte. Ehrlich gesagt dachte ich immer, er hätte ein perfektes Leben, obwohl das ja eigentlich niemand hat. Vielleicht hat er sich ja wirklich gerändert und ist nicht mehr so, wie ich denke.

(𝗡𝗼𝘁) 𝗬𝗼𝘂 𝗔𝗴𝗮𝗶𝗻Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt