11 - Ruhe vor dem Sturm

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Aalyxh ließ sich vor dem Frachtschlitten zu Boden fallen und verwebte ihre Beine und Arme in einen komplizierten Knoten. Ich erkannte ihre Lieblingshaltung für eine ausgedehnte Sitzung zur Erforschung von Gedankenwellen. Ihre undurchsichtigen äußeren Augenlider klappten zu und verbargen ihre Augäpfel, ein Zeichen dass sie sich ungestört konzentrieren wollte.

Was mich wiederum in Stress versetzte. Ich packte ihre Schulter und schüttelte sie. „Hör zu, Mädchen, das ist eine schlechte Idee. Wir wissen nicht, wann diese Kiste in die Luft geht. Du kannst dich auch hinter einem explosionssicheren Schott in Trance versetzen."

„Das Ding explodiert schon nicht, vertrau mir einfach." Natürlich wusste sie ganz genau, dass sie beinahe doppelt so schwer war wie ich und ich sie niemals von der Stelle wegzerren konnte, die sie für passend hielt. Zähneknirschend musste ich mir eingestehen, dass ich keine Chance hatte, wenn sie auf stur schaltete.

Ein rascher Blick in Bens Richtung ließ mich erraten, dass von ihm auch keine Hilfe kommen würde. Immerhin schien der Mensch nun allmählich seine Schockstarre abzuschütteln, und sein Gesicht nahm eine beinahe natürliche Farbe an. Einen halben Klick später fand er sogar seine verlorengegangene Stimme wieder. Er löste sich von der Wand, die ihm bisher als Stütze gedient hatte, und trat neben die Pilotin. „Lyxh, ist es möglich, dass wir es hier mit einer Gefrierschlaf-Einheit zu tun haben?"

Eins zu null für Ben, das war zumindest eine brauchbare Arbeitshypothese. Ich klaubte den Scanner vom Boden auf, den er hatte fallen lassen, und schwenkte ihn über den oberen Rand der Box, die inzwischen sichtbar vibrierte. Aber das winzige Display blieb so leer wie das Hirn eines algassischen Sonnentauchers, kurz bevor er einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen versuchte.

Ich seufzte. „Jac hatte recht, das Ding ist abgeschirmt, und zwar auf einem professionellen Level. Bist du sicher, dass da drin etwas Lebendiges steckt?"

Aalyxh öffnete eines ihrer Augen einen Spalt breit und sandte mir einen Blick der vor Sarkasmus praktisch triefte. „Absolut. Und unser Matschgehirn hier hat es begriffen, ich bin sicher, dass wir es hier mit einem ausgeklügelten Gefrierschlaf-Behälter zu tun haben. Deshalb bekomme ich auch kein klares Bild der Gedanken des Einwohners. Wer immer in der Box sitzt, kommt gerade langsam aus der Stasis raus. Die Gedankengänge sind dann immer so verschwommen und unglaublich träge, das ist typisch."

Toll. Die Tanencha hatte uns also ohne unser Wissen einen Transportbehälter für ein lebendes Wesen untergejubelt. Was natürlich streng verboten war und einem Bruch der planetarischen Quarantäne darstellte. Damit machte sie uns nicht nur zu ihren Komplizen, sondern auch zum Ziel der Raumpatrouille.

Und statt die Fracht gleich beim ersten Anruf auszuliefern und damit unseren Status als gesetzestreue Bürger zu untermauern, hatten wir uns aus dem Staub gemacht. Wenn das allein nicht verdächtig genug war, flüchteten wir uns anschließend ausgerechnet in einen der verrufensten Sektoren der Galaxie, verfolgt von einer Bande berüchtigter Piraten.

Ich öffnete das Komm. „Hrrovr, Jac, wir haben tatsächlich einen Eindringling an Bord. Die Kiste, die wir auf Tyrin geladen haben, enthält einen Schläfer. Oder eine Schläferin, keine Ahnung. Auf jeden Fall wacht dieses Wesen gerade auf, behauptet Aalyxh, und wird uns demnächst mit seiner Anwesenheit beehren."

Ein leises Zischen informierte mich, dass Hrrovr meine unerfreuliche Nachricht zur Kenntnis genommen hatte. „Schlechte Neuigkeiten, Captain. Aber auf der pos'ssitiven Ss'seite is'sst zu erwähnen, dass'ss wir nach wie vor keinen Hinweis'ss darauf haben, dass'ss die Patrouille oder sie Ss'severills'ss uns'ss noch auf den Fers'ssen ss'ind. Noch nicht."

Das erleichterte mich doch sehr. „Vielen Dank, bitte halte weiter die Brücke für mich, Hrrovr. Jac? Wie ist dein Status da draußen?"

„Ich habe die Panels sauber gekriegt und bin bereits auf dem Rückweg, Captain." Seine Stimme klang so rauchig und zuversichtlich wie immer. Es würde aber noch einen Klick dauern, bis er die Luftschleuse hinter sich hatte. Trotzdem freute ich mich darauf, den Karjkaner an meiner Seite zu wissen. Seine beinahe unzerstörbare Chitin-Panzerung würde einen riesigen Unterschied machen, falls sich unser Besucher als feindlich herausstellte. Und bei meinem momentanen Glück musste ich mit dieser Möglichkeit rechnen.

Endlich schüttelte auch Ben den Rest seiner Schockstarre ab und inspizierte die Frachtkosten mit einem Stirnrunzeln. Unter seinem besorgten Blick hörten die Vibrationen auf, und die grauen Oberflächen begannen, ein regenbogenfarbiges Leuchten auszustrahlen. Die Lichtwellen breiteten sich dabei konzentrisch aus, ähnlich wie die Wellen, nachdem ein Stein in einen Teich aus flüssigem Hydrogenoxyd plumpste.

Bens Stirnfalte vertiefte sich. „Bitte um die Erlaubnis, einen Blaster zu holen, Cap."

„Gute Idee, und bring auch gleich ein Desinfektionsspray und das Elektronetz, das wir damals für die ausgebrochenen sihanattanischen Blitztiger verwendeten. Wer weiß schon, mit was wir es diesmal zu tun bekommen." Besorgt wendete ich mich unserer Pilotin zu, die inzwischen tief in ihrer Kommunikationstrance versunken war. „Ich passe inzwischen auf Lyxh auf. Bitte beeil dich, Ben."

Er nickte und raste davon. Trotzdem schienen mir die Momente, die ich allein neben unserer bewegungslosen Telepathin verbrachte, endlos lang. Ich alterte in dieser Zeit um mindestens eine Dekade, gemessen in guten alten oolianischen Tagen, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Möglicherweise wurde es für mich wirklich langsam Zeit, in Pension zu gehen, mir einen kompatiblen Partner zu suchen und meine Tage weit abseits von den Aufregungen und Gefahren der äußeren Raumregionen zu genießen. Insbesondere weit weg von unvorhersehbaren Abenteuern, lebendiger Fracht und aufdringlichen Raumpiraten. Aber vermutlich würden zumindest letztere mich niemals in Frieden meinen Ruhestand genießen lassen.

Ein stark pfeffriger Geruch von Neugier kitzelte meine Kiemen, kündete Hijacs Ankunft an und und riss mich aus meinen düsteren Visionen. Er kauerte sich neben Aalyxh und studierte den irisierenden Behälter als wäre er ein besonders spannendes wissenschaftliches Experiment. „Was hat den Auftauvorgang ausgelöst?"

„Keine Ahnung. Vielleicht der Sturm da draußen, oder das Schlingern des Schiffs. Oder das Ding war von Anfang an mit einem Timer versehen, der den Bewohner aufwecken sollte, sobald wir den Heimatraum der Tanencha verlassen haben." Eigentlich war es mir auch egal. Was mich beunruhigte war einzig die Tatsache, dass wir eine unbekannte und möglicherweise feindselige oder gefährliche Lebensform an Bord hatten. „Bitte komm dem Ding nicht zu nahe, wer immer sich da drin versteckt, könnte giftig sein, wenn nicht noch schlimmer."

„Kali, das da drin ist ein vernunftbegabtes Wesen, also hör schon auf, die Situation zu dramatisieren." Aalyxhs Einwurf beruhigte mich nicht im Geringsten, aber sie ließ sich von mir nicht beirren. „Es ist vor allem noch ziemlich verschlafen und grenzenlos neugierig, wenn ich die Gehirnströme richtig interpretiere. Und es hat vor allem nicht die mindeste Absicht, uns alle auf seinen Speisezettel zu setzen."

„Und wie genau beabsichtigt unser potentiell nicht-kannibalistischer Besucher seine Kiste zu verlassen?" Meine Skepsis ließ sich nicht so einfach verscheuchen.

Wie auf mein Kommando verfärbte sich der Behälter schwarz und der Deckel wurde von einem starken Mikro-Kraftfeld emporgehoben. Kaltes blaues Licht flutete aus dem breiter werdenden Spalt und warf unsere Schatten aufs Deck. Ich hielt den Atme an.

Hastige Schritte ließen mich nervös herumwirbeln, aber es war nur Ben, der mit der linken Hand das sperrige Elektronetz schleppte, während er mit der rechten einen unserer schweren Blaster in die Richtung der Frachtbox zielte. Wobei er zu vergessen schien, dass auch Alyxh, Hijac und ich uns gerade im Streuungsbereich der Waffe befanden.

„Pass auf mit dieser Todesspritze, alter Freund. Wir wollen hier nicht gegrillt werden."

Mit einem leicht verzerrten entschuldigenden Grinsen ließ er das Netz fallen und benutzte seine freigewordene Hand, um den Blaster zu stützen. „Entschuldige, Cap, ich dachte, ihr steckt schon in Schwierigkeiten, als ich das Licht sah."

„Was nicht ist, kann noch werden." Ich schnappte mir das Netz und betätigte die Einschaltvorrichtung, etwas beruhigt durch das leise Summen der Energie, die nun durch die Fesselungsstränge zirkulierte. „Wir wissen immer noch nicht, was genau auf uns wartet, und—"

Ein leises Zischen von der Frachtkiste ließ mich verstummen.

Der Fluch der Topsy-Turvy | Wattys 2021 GewinnerWhere stories live. Discover now