19 - Missgeschick

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Hijac und ich klammerten uns an die Bibliothekskonsole und tauschten einen besorgten Blick aus. Sobald das Echo des Knalls verklungen war, rannten wir los, die Rampen hinunter und zurück zu der Halle, wo wir Ben und Ajs mit den Nestlingen zurückgelassen hatten. Meine Innereien hatten sich zu einem pulsierenden Knoten der Vorahnung zusammengeknüllt und ich hatte Mühe, mit dem Karjkaner Schritt zu halten.

Zu meiner großen Erleichterung lag die Halle nicht in Schutt und Asche. Eigentlich sah sie noch genau gleich aus, wie wir sie verlassen hatten. Mit einer Ausnahme. Hunderte von winzigen, leuchtenden Tyrinianern in allen Farben des Regenbogens und einigen Schattierungen, die ich noch nie gesehen hatte, hatten sich jetzt hier eingenistet und krochen über die Konsolen, den Boden, die Streben, welche die Decke stützten, kurz über jede verfügbare Oberfläche.

Irgendwie hatte der Raum bereits eine gewisse Ähnlichkeit mit der Brutkammer der Tanencha. Allerdings gab es hier mehr Licht, deutlich mehr Raum und die Stimmung war eindeutig farbenfroherer und fröhlicher. Abgesehen von Ben, dessen Gesicht alle Farbe verloren zu haben schien. „Ben, was ist passiert? Bist du in Ordnung?"

Der Mensch griff sich in seiner üblichen Geste der Verlegenheit ans Gesicht, traf dort aber statt auf sein stoppliges Kinn auf das Halssiegel des Helms, und ließ die Hand wieder fallen. „Ich glaube, ich habe einen dummen Fehler gemacht, Cap."

„Welche Art Fehler? Ist den Nestlingen etwas passiert?"

„Nein, denen geht es gut, wie du sehen kannst. Aber —"

Er wurde von einer eingehenden Komm-Meldung unterbrochen. „Kali, wie geht es euch? Wir haben eine enorme Explosion in unmittelbarer Nähe der Stadt geortet, habt ihr das auch mitbekommen?"

„Ja, wir haben sie auch gespürt, Lyxh. Aber wir sind alle wohlauf und das Gebäude hat keinen Schaden genommen. Ich weiß ich nicht, was es war, aber vielleicht kann Ben uns dazu etwas sagen." Ich sandte dem Ingenieur einen betont finsteren Blick. „Ich vermute er hat irgendetwas mit der Explosion zu tun."

Der Mensch hob die Hände. „Tut mir echt leid, Cap, ich habe das Ding irrtümlich ausgelöst. Es war ein dummes Missgeschick."

„Irrtümlich? Wie kann jemand eine Ex'ssplos'ssion dies'sser Größ'sse irrtümlich aus'sslös'ssen? Das'ss braucht definitiv menschliche S'sstummelfinger daz'ssu." Hrrovrs Zischen war noch ausgeprägter als üblich, und ich konnte es ihm nicht wirklich verübeln.

Bens Gesicht nahm unvermittelt wieder Farbe an, bis es schließlich so rot war, dass ich mich beinahe sorgte, er würde demnächst ebenfalls explodieren. „Wenn wir schon dabei sind, uns gegenseitig die Schuld zuzuschieben, dann hättest du an meiner Stelle hier auf die Nestlinge aufpassen sollen, Schlangengesicht, anstatt mich mit irgendwelchen explosiven Stoffen allein zu lassen."

„Schluss jetzt." Ich musste die aufgeheizten Gemüter beruhigen, bevor das in einen handfesten Streit ausartete. „Was ist genau passiert, Ben?"

„Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Die Tyrinianer schwärmten aus ihrer Box wie eine Horde wilder Bienen. Nur dass sie dabei überall ihre Schleimspuren hinterließen." Ich wusste, wie sehr Ben diese Rückstände hasste und konnte mir gut vorstellen, wie gestresst er in diesem Moment war. Vielleicht hätte ich ihn nicht mit den Tyrinianern allein lassen sollen.

Er schüttelte sich und nahm den Faden wieder auf. „Ich versuchte bloß, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Aber ein paar hatten mich schon umgangen. Ich bin auf ihrem Schleim ausgerutscht und habe mich an dem himmelblauen Hebel da drüben festgehalten, um nicht umzufallen."

Der erwähnte Hebel war lang, leuchtend blau und war bestimmt nicht als Handlauf installiert worden. Im Gegenteil, er war mit einer ganzen Sammlung von Schildern versehen, die verdächtig nach Warnungen aussahen. Ich verspürte das brennende Verlangen, meinen Helm auszuziehen und mir die juckende Kopfhaut zu kratzen. Wenn ich mich über Fehler ärgerte, die bereits passiert waren, bekam ich immer dieses unangenehme Kribbeln.

„Also, du bist ausgerutscht und hast an dem Hebel gezogen, an dem ungefähr sieben Warnschilder angebracht sind. Und dann?"

Ben zuckte die Schultern. „Dann flog einer dieser Berge in die Luft, behauptet Ajs. Sie hat sich gerade die Bildschirme da drüben angesehen, als es passiert ist." Er deutete auf einen großen Schirm, der eine eintönige, trockene Landschaft mit konischen Hügeln zeigte. Sie wirkten wie sandige Vulkankegel, sehr regelmäßig geformt und in unterschiedlichen Größen. Allerdings konnte ich keine Hinweise auf eine Explosion erkennen.

Ajs kroch wie ein blauer Blitz auf die Konsole und deutete mit einem Tentakel auf den zweiten Kegel von links. „Es war dieser, Cap Kali. Er hat Feuer gespukt."

Das klang eindeutig mehr nach einem Vulkan als einer Explosion. Zudem sah der Kegel ganz intakt aus. Ich richtete meine Helmkamera auf die Konsole. „Lyxh, hast du das mitverfolgt? Ajs meint es sei einer dieser Vulkankegel gewesen. Kann es sich um eine Eruption handeln?"

„Negativ, Kali. Der Planet ist seismisch praktisch inaktiv. Und unsere Messungen zeigen keine aktiven Vulkane. Ich bezweifle, dass die Hügel vulkanischen Ursprungs sind." Die Stimme der Pilotin war durch die Übertragung verzerrt.

Hijac machte sich an der Konsole zu schaffen. Seine Erfahrung aus der Bibliothek schien ihm jetzt zu Gute zu kommen. Er schaffte es, in kurzer Zeit eine Aufzeichnung des Vorgangs abzurufen. Der von Ajs bezeichnete Hügel spuckte tatsächlich einen Feuerstrahl aus, um gleich darauf in einer schwarze Wolke aus Qualm zu verschwinden, die sich nur langsam wieder verflüchtigte.

Ben räusperte sich. „Wenn ihr mich fragt, sieht das eher aus wie der Start einer historischen Feststoffrakete als wie ein Vulkanausbruch oder eine Explosion."

„Ben hat recht." Aalyxh klang trotz der Verzerrung aufgeregt. „Ich habe gerade unsere eigene Aufzeichnung noch einmal angesehen. Ein kegelförmiger Körper hat in der Gegend mit den Hügeln abgehoben, die Stratosphäre passiert und ist im äußeren Orbit zu einer Gravitationsanaomalie aufgeblüht."

„Was? Und das sagst du uns erst jetzt?"

„Tut mir leid, Kali, wir waren so besorgt um euch, dass wir das nicht richtig verfolgt haben." Sie klang ungewöhnlich leise und zerknirscht. Das war auch richtig.

Aber ich sah keinen Grund, weiter auf der Sache herumzureiten. „Beschreib mir die Anomalie, bitte."

„Schwer zu sagen, sie ist bereits dabei, sich wieder aufzulösen. Es könnte sich um eine Art Wurmloch gehandelt haben, ein winzig kleines, allerdings."

„Ein Mikro-Wurmloch, ausgelöst von einer terrestrischen Rakete? Ist sowas überhaupt möglich, Ben?"

Der Mensch machte mit gerunzelter Stirn den Versuch, sich den Nacken zu reiben, eine Geste, die sein Raumanzug nicht zuließ. Stattdessen begnügte er sich damit, die Arme zu kreuzen. „In der Theorie schon. Es gibt umfangreiche Abhandlungen darüber. Allerdings ist es noch nie jemandem erfolgreich gelungen, das auch in die Praxis umzusetzen."

„Wenn das stimmt, Captain, wenn die Bewohner dieses Planeten tatsächlich ein künstliches Wurmloch generieren konnten, müssen wir unbedingt mehr darüber herausfinden." Ich war ganz froh, dass mein Anzug mich vor Hijacs Gerüchen der Begeisterung schützte. Der Karjkaner hüpfte beinahe auf und ab.

„Gut. Lasst uns der Sache auf den Grund gehen. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, weshalb dieser Planet verlassen wurde."

Hijac unterbrach sein aufgeregtes Gehabe, um mich anzustarren. „Nicht weshalb, sondern... ich muss etwas überprüfen. Lass uns zurück zur Bibliothek gehen, ich bin sicher, wir finden dort noch mehr wertvolle Informationen."

Bevor ich mein Einverständnis geben konnte, ließ ein lautes Zischen von Hrrovr in meinem Helmlautsprecher mich zusammenzucken. „Captain, wir empfangen ein näherkommendes'ss Ss'signal."

Genau, was uns noch gefehlt hatte. „Die Bewohner dieses Planeten? Sind sie zurück? Oder ein Waffensystem?"

„Negativ, Captain. Das'ss Schiff hat eindeutig eine Ss'severill-Kennung. Dies'sse Piraten müss'ssen die Anomalie auch beobachtet haben."

Der Fluch der Topsy-Turvy | Wattys 2021 GewinnerWhere stories live. Discover now