27 - Wie Zuckerwatte

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Ich studierte die Anzeige des Hauptschirms. Anhand der wenigen Sterne, die darauf sichtbar waren, konnte Aalyxhs Aussage stimmen. Zumindest waren wir irgendwo in der äußeren Randregion. Ob es sich tatsächlich um den delevianischen Sektor handelte, konnte ich von bloßem Auge nicht beurteilen. Dies war nicht gerade ein vielbesuchter Ort, und ich war erst einmal hier gewesen. „Wie weit bis Sqia?"

„Nicht sehr weit. Ich berechne gerade den Kurs." Die Pilotin würgte plötzlich, als hätte sie einen Löffel von Ajs' Schleim gekostet, als eine hochprozentige Wolke von karjkanischer Faszination durch die Brücke zog.

Manchmal verspürte ich etwas Schadenfreude, wenn meine Freundin stärker unter den  karjkanischen Duftausbrüchen litt als ich. „Jac, halte dich bitte etwas zurück. Ich verstehe deine Begeisterung, dass wir in einigen wenigen Klicks die halbe Galaxie durchquerten, aber alkoholische Dünste sind für einige der hier Anwesenden schädlich. Du willst Ben bestimmt nicht nochmals Hula tanzen sehen."

Sogar der stoische Hrrovr konnte sich ein zischendes Kichern nicht verkneifen. Er war zweifellos genauso erleichtert wie ich, wieder im Normalraum angekommen zu sein. Nur Ajs studierte Ben mit einem verträumten Blick. Vermutlich stellte sie sich gerade einen tanzenden Ingenieur vor.

Zum Glück meldete sich Aalyxh, bevor sie Ben um eine private Vorstellung bitten konnte. „Kali, der Kurs nach Sqia'lon Sieben liegt nun an." Die Pilotin beobachtete mich mit einem Auge, während die übrigen drei auf ihren Job konzentriert waren. „Wir werden das Ziel in zehn Klicks erreichen, wenn wir Subraum-Geschwindigkeit beibehalten."

„Reicht das, um die Nestlinge auszuliefern, Jac?" Nach all der Aufregung wollte ich nicht riskieren, die Topsy doch noch in tyrinianischem Schleim versinken zu sehen.

„Mit genügend Reserve. Nach meinen Berechnungen beginnt der Weckvorgang frühestens in vierzehn Klicks."

„Fein." Ich unterdrückte ein Gähnen. „Das erlaubt uns sogar, etwas verlorenen Schlaf nachzuholen. Lyxh, Ben und Hrrovr zuerst. Jac und ich halten die Stellung. Ajs, du legst dich ebenfalls aufs Ohr. Wir werden dich in Höchstform brauchen, wenn wir Sqia'lon Sieben erreichen."

Niemand beklagte sich darüber, das für einmal etwas auf Anhieb zu klappen schien, und bald kehrte ungewohnte Ruhe auf dem Schiff ein.

Einige Klicks später riss mich ein Anruf von der Brücke nach einer viel zu kurzen Erholungsphase aus dem Schlaf. Ich kletterte leise brummend aus meinem Tank, trocknete mich ab und schlüpfte in meinen Overall während ich Aalyxh antwortete. „Kali hier. Was ist los?"

„Wir haben das Sqia-System erreicht. Es ist an der Zeit, die Empfänger unserer Fracht zu lokalisieren."

„Bin schon unterwegs."

Ich unterdrückte ein Gähnen, als ich die Brücke betrat. Der siebte Planet des Sqia-Systems füllte bereits unseren Schirm. Wir näherten uns der Tagseite einer mächtigen, rosa Kugel, welche in zarte lila Wolken gehüllt war.

„Wenn es einen Zuckerwattenplaneten gibt, muss er genau so aussehen." Ben fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Zum anbeißen."

„Ich bez'ssweifle, dass'ss die Ss'sqianer dich ihren Planeten anknabbern lass'ssen, aber du kans'sst ss'sie ja fragen." Hrrovr schien ausnehmend gut gelaunt zu sein. „Ein Wunder, dass'ss ss'sie ss'sich noch nicht gemeldet haben."

Die Crew scherzen zu hören, tat nach der Anstrengung der letzten Reise gut. Wir näherten uns dem Ende unserer verfluchten Mission, aber nun galt es noch, sie zu einem gelungenen Abschluss zu bringen. Ich öffnete einen Rufkanal. „Topsy-Turvy ruft Sqia'lon Sieben. Wir bringen dringende Fracht von Tyrin." Ich hielt meinen Atem an, während ich auf eine Antwort wartete.

Aalyxh blinzelte. „Ich empfange ein Signal. Lege es auf den Lautsprecher."

Eine leises Knacken und kurz darauf driftete eine sanfte Melodie durch das Schiff. Sie erinnerte mich daran, dass ich nicht annähernd genug geschlafen hatte und weckte Sehnsucht nach meinem Schlaftank und dem Sonnenuntergang auf Oola. „Ist das ein Schlaflied?"

„Sehr angenehm und bestimmt auch wirkungsvoll. Aber ich vermute, dass das ihre Art der Kommunikation ist." Ben zuckte die Schultern. „Wie bei Walen."

Ich griff nach meiner altersschwachen Kopie des FORP, aber Hijac war schneller. „Sqia Gesangsprache. Es ist das seltene Beispiel einer vielschichtigen Kommunikation durch die Modulation eines einzelnen fortlaufenden Tons. Sieht so aus, als hätte es eine Weile gedauert, bis überhaupt jemand das als Sprache wahrgenommen und verstanden hat."

Vermutlich waren alle potentiellen Zuhörer zunächst einmal eingeschlafen. „Gibt es dafür einen Übersetzer?"

„Schon. Allerdings wird er hier als erratisch und konfliktanfällig klassiert."

Genau, was wir brauchten — eine Sprache, die niemand richtig verstand. „Wie wäre es mit Gedankenkontakten, Aalyxh? Oder Ajs?"

Beide wehrten entsetzt ab. Die Yuool weil ihre telepathischen Fähigkeiten auf große Distanz nicht funktionierten und die Tyrinianerin weil sie nur mit ihrer eigenen Spezies in direkten Kontakt traten konnte. Hrrovrs Klaue tippte auf seinen Schirm. „Uns'ssere Bibliothek enthält die wichtigs'ssten Grundregeln und das'ss Bas'ssis'ssvokabular. Was'ss wir vorhin gehört haben war nur ein S'ssatz'ss."

Er repetierte die Sequenz und die künstliche Stimme des Bordcomputers hängte die Übersetzung an. „Wir nicht verstehen Musik fremd/falsch."

„Toll. Und was machen wir nun?" Ich wollte diesen Job zu Ende bringen. Erstens brauchten wir die Bezahlung und zweitens... Nun ja, zweitens konnte warten, bis wir erstens erledigt hatten.

Hijac rieb mit einem knirschenden Geräusch zwei seiner Beine aneinander. „Wir sollten es zumindest versuchen mit einer Rückübersetzung. Wenn der Computer es auf einen Weg kann, müsste der andere auch gehen."

Die Idee war bestimmt gut, aber als aus unserem Lautsprecher mein computergenerierter Anruf in Musikform kreischte, musste nicht nur Aalyxh ihre empfindlichen Ohren schützen.

„Hör auf damit, oder ich werde taub." Ben presste beide Handflächen gegen seinen Kopf während Ajs unter seinem Stuhl Schutz suchte, ein zitterndes blaues Bündel des Entsetzens.

„Unser Computer ist definitiv ausgesprochen unmusikalisch." Ich nahm die Finger aus meinen eigenen Ohren, um der melodiösen Antwort der Sqia zu lauschen, die nun die Brücke erfüllte. Die Melodie hatte sich eindeutig verändert. „Immerhin sprechen sie noch mit uns. Hat es funktioniert, Hrrovr?"

„Ich glaube nicht." Er starrte auf den Schirm und rasselte mit den Schuppen. „Die Antwort is'sst schwer vers'sständlich. Vielleicht, wir s'ssollten die mechanische Beläs'sstigung eins'sstellen und schnels'sstmöglich hier verschwinden."

Ich fluchte leise. Konfliktanfällig war wohl doch das korrekte Wort für den Übersetzer. „Wir müssen einen Weg finden, unsere Fracht abzuliefern. Die Chance, dass wir noch einmal einen bewohnbaren Planeten für die Nestlinge finden, ist gleich Null."

„Kali?" Aalyxh verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. „Wir wissen alle, dass Karjkaner nicht besonders musisch begabt sind, richtig?"

„Richtig." Ich verstand nicht, was das mit dem aktuellen Problem zu tun hatte. Prompt stiess Hijac eine Wolke von kränklich-süßem Ärger aus.

„Hey, das war noch keine Beleidigung, Jac. Lass Lyxh zuerst ausreden." Der Duft machte zum Glück gleich pfeffriger Neugier Raum.

„Danke. Unsere elektronischen Komponenten stammen alle von Karjka. Das bedeutet, dass unser Soundsystem nicht von besonders hoher Qualität ist. Das ist auch nicht nötig, die Topsy ist schließlich keine Konzerthalle."

„Leider." Bens Einwurf brachte mich zum Lächeln. Er hatte es aufgegeben, über die Bordsysteme Musik hören zu wollen. Zur allgemeinen Erleichterung. Mir würde es immer ein Rätsel bleiben, was er an den Fugen eines Komponisten namens Bach so besonders fand. Der Mensch bestand aber darauf, dass unser Bordsystem seine Musik zur Unkenntlichkeit verstümmelte.

Aalyxh schenkte dem Ingenieur einen vielsagenden, vieräugigen Blick. „Wir könnten es statt dessen mit organischer Modulation versuchen."

Sobald ihm dämmerte, was die Pilotin vorschlug, verzog sich Bens Gesicht zu einer schockierten Maske. „Oh nein. Bitte nicht. Das könnt ihr nicht wirklich von mir verlangen."

Der Fluch der Topsy-Turvy | Wattys 2021 GewinnerWhere stories live. Discover now