Prolog

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Laut hallen die schnellen Schritte in der Dunkelheit des Bogenganges wieder

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Laut hallen die schnellen Schritte in der Dunkelheit des Bogenganges wieder. Ein Blick über die Schulter und ein laut schlagendes Herz, das in der Stille verklingt.

Leichter Nieselregen durchbricht den dunklen Himmel, der jeden Stern hinter einer dicken Wolkendecke verbirgt.
Es ist eine unheilvolle Nacht. Ein Omen, das nichts als Verderben bringt.

Sie hat es bereits ab dem Moment geahnt, als sie die Rufe gehört hat.
Fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers und dennoch vertraute sie nicht darauf.
Stattdessen ist sie der Gefahr entgegen gelaufen, die sie so verführerisch lockte.
Sie hätte auf ihr Gefühl hören sollen.

Sie macht einen Schlenker, biegt in eine menschenleere Gasse ab, läuft an warm erhellten Fenstern vorbei und blickt erneut über die Schulter.
Der Schein der Fackeln nähert sich der Hausecke unaufhörlich, taucht das Kopfsteinpflaster in orangenen Schein und spiegelt sich in den kleinen Pfützen wieder.
Sie sind nicht mehr weit weg.

Sie kneift die Augen zusammen, dreht den Kopf wieder nach vorne und atmet stockend aus, während sie ihr Tempo anzieht. Ihr Herz schlägt kraftvoll in ihrer Brust, als sie von einer Woge Adrenalin umspült wird. Auch, wenn die Müdigkeit von ihr Besitz ergreifen will, so lässt ihr Überlebenswille das nicht zu.

Aus dem Niesel werden dicke Tropfen, denen sie ihre Stirn entgegen neigt, als wolle sie gegen einen Sturm ankämpfen.
Sie prasseln auf sie ein, tränken ihre Haare. Als versuche der Regen sie gefangen zu nehmen, als wolle er sie hier an Ort und Stelle niederdrücken und sie so am Fliehen hindern. Es ist, als versuche das Schicksal sie so für ihre Torheit zu bestrafen.
Auch wenn der Regen ihr die Sicht nimmt, sie taub werden lässt, so wird sie sich ihm nicht hingeben.

Die Hand schützend vor den Augen läuft sie weiter. Nasse Finger greifen nach ihrem Kleid, das sich immer mehr wie eine kalte Bürde auf ihren Schultern anfühlt. Der Rock hängt schwer von ihrer Hüfte herab, sodass ihre Füße bei jedem weiteren Schritt behindert werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sie zu Fall bringt. Trotz diesem Wissens kämpft sie sich vorwärts.

Sie muss sie weder hören noch sehen, um zu wissen, dass sie da sind.
Lauernd im Schatten der alten Gebäude, von denen sie umzingelt wird.
Hinter ihr, angeführt von denen, die sie einst beschützt hat. Der Schein des Goldes lässt wahrlich blind werden.

Sie tritt platschend in eine Pfütze, Wasser spritzt.
Sie läuft so schnell sie ihre Beine tragen. Der Wunsch diesen unheilvollen Ort zu verlassen, gewinnt an Größe in ihr. Ein Wille, der ihr sagt, sie muss es nur über die Brücke schaffen. Der Wald hinter den Stadtmauern zieht sie förmlich an wie Motten vom Licht angezogen werden.
Dort, unter ausladenden Baumkronen, verborgen von dichtem Geäst, wird sie sicher sein. Sie werden sie dort niemals finden. Das hat sie in ihrem Leben gelernt. Doch hier, unter freiem Himmel, befindet sie sich auf dem Präsentierteller.

Auch, wenn die Menschen, die ihr seit geraumer Zeit folgen, ihre genaue Position zwischen den Hausmauern nicht kennen, so sind es nicht sie, die ihr Angst einjagen. Sie sind nur die Boten des Grauens, sie sind nur Kopfgeldjäger, ein jeder von ihnen. Doch das wahre Böse findet man meist nicht auf den Wegen der Menschen.

In der Ferne sieht sie eine Reihe kleiner Lichter im Dunst schimmern. Sie wirken wie Inseln in einem viel zu tiefen Ozean.
Sie läuft darauf zu. Wind kommt auf, stark und unnachgiebig, als wolle er sie zurückschieben, doch sie stemmt sich ihm entgegen. Ihre Schritte werden langsamer, doch sie macht sie. Schritt um Schritt kommt sie der Brücke näher, sieht bereits im Schein der Laternen wie sich karge Zweige dem Himmel entgegenrecken.

Ein erster Fuß berrührt die Brücke und ihm folgt der andere. In einem Tempo, das in ihren Augen viel zu langsam ist, bewegt sie sich vorwärts. Neigt den Kopf gen Brust, beugt ihren Körper in den Wind hinein. Sie ist sich sicher, dass er nicht naturgegeben ist. Das hier etwas anderes am Werk ist.

Sie kommt in der Mitte der Brücke an und blickt über die Schulter. Der Schein der Facken lässt auf sich warten. Euphorie breitet sich in ihr aus, doch tief in ihrem Inneren auch das ungute Gefühl, dass es nicht so einfach sein kann.
Sie blickt wieder nach vorne. Nur noch wenige Schritte trennen sie vom Wald, dem Ruf der Freiheit.

Gleich, gleich hat sie es geschafft.

Sie zieht ihr Tempo an, auch wenn das unter den Gegebenheiten kaum möglich ist und ihr Körper unter der Anstrengung aufschreit, so werden ihre Schritte tatsächlich schneller.

Ihre Augen fokussieren etwas, das mittig auf ihrem Weg sitzt. Erst erkennt sie nicht, was es ist, hält es für Laub, doch als sie näher herangeht, wird es ihr klar.
Eine Welle der Verzweiflung umspült sie, als sie stehen bleibt und das kleine gefiederte Tier betrachtet.
"Nein", entkommt tonlos ihrer Kehle.

Die Krähe vor ihr putzt sich ihr Gefieder, als sei es das normalste der Welt dies bei Sturm und Regen auf einer Brücke zu tun. Doch dieses Tier ist nicht normal und allein sein Handeln zeugt davon. Es zeigt ihr, dass sie nie eine Chance gehabt hat. Sie macht sich über sie lustig, dass sie geglaubt hat sie könnte entkommen.

Die Krähe beendet ihr Putzen und dreht ihr ihren Kopf zu. Mit einem lauten Aak breitet sie ihre Flügel aus und erhebt sich in die Lüfte. Ihr scheint weder der Regen noch der Sturm dabei etwas auszumachen. Mit kraftvollen Schlägen fliegt sie über ihren Kopf hinweg.

Die Frau dreht sich um und stellt fest, dass der Schein von Fackeln kein Indiz für ihre Anwesenheit ist. Da stehen sie, als hätten sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass sie sich nach ihnen umdreht. Einige lehnen entspannt an den Mauern der Brücke, während andere still auf dem Weg stehen. Als die Männer ihren Blick bemerken, stoßen die, die sich zuvor anlehnten, von der Mauer ab und bilden mit den Übrigen eine Linie. Wie eine Wand bewegen sie sich auf die Frau zu.

Sie weicht zurück, stolpert in die Richtung, in die sie laufen wollte. Ihren Blick hält sie dabei auf die Männer gerichtet. Lässt sie nicht aus den Augen, aus Angst sie könnten einen unerwarteten Vorstoß machen. Schritt um Schritt kommt ihr die menschliche Wand näher. Es sind keine großen und auch keine schnellen Schritte, doch genau das bringt ihr Herz zum Rasen. Ihr Mund fühlt sich staubtrocken an und Verwirrung ergreift von ihr Besitz, denn sie schieben sie praktisch von der Brücke.

Sie geht weiter rückwärts. Ihre Muskeln bis zum Zerreißen angespannt. Jederzeit bereit sie zu nutzen.

Ihre Füße verlassen das Kopfsteinpflaster. Sie spürt wie der Boden sich verändert. Er ist weniger hart, eher erdig.

Sie strafft die Schultern, wirbelt herum und will gerade in den Wald abtauchen, als sie in zig leuchtende Augenpaare blickt. Ein Schauder läuft ihrem Rücken hinab und ihr Mund öffnet sich zu einem O.
Sie sind überall. Auf dem Boden, auf den Zweigen der Büsche und im Geäst der Bäume. Mit glühenden Augen blicken sie sie aus der Dunkelheit an und als habe es ein Kommando gegeben, das vor ihren Ohren verbogen geblieben ist, so setzen sie an und lassen ein Konzert ertönen, das ihren schlimmsten Alpträumen entspringt.

Aak! Aak! Aak!
Aak! Aak!

Sie alle rufen in die Stille hinein und der Frau wird heiß und kalt.
Sie dreht sich herum.
Die Männer stehen mittlerweile an der Grenze, die die Brücke vom Wald trennt. Sie stehen so nah an ihr, dass sie im Schein der Laternen sogar ihre Mimik ablesen kann.
Sie sieht in ihren Gesichtern nichts als Gier. Die Gier, die sie hat blind werden lassen.

Die Männer teilen sich und aus ihnen tritt ein hochgewachsener Mann. Mit einem Lächeln betrachtet er sie, während in ihr die Angst so übermächtig wird, dass sie ihr den Atem raubt.
Er geht auf sie zu und als er so nah ist, dass sie nicht mal die Hand ausstrecken müsste, um ihn zu berrühren, beugt er sich hinab.
Die Frau erstarrt, während ihr Herz unaufhörlich in ihrer Brust pumpt. Sie beißt die Zähne zusammen, unterdrückt den Drang sich wegzuducken.

Heiß spürt sie seinen Atem an ihrem Hals, als er mit lieblicher Stimme flüstert: "Hab ich dich."

The Crows Where stories live. Discover now