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Linea versucht sich zu beruhigen, auch wenn das nicht so richtig zu klappen will. Allein ihre angespannte Körperhaltung sagt aus, dass sie eben nicht entspannt ist sowie sie es gerne wäre. Die Lehren ihrer Mutter lassen sie starr nach vorne sehen und bewusst langsam ein und ausatmen. Angst zu zeigen und sich damit angreifbar zu machen ist das Schlimmste, was man tun kann. Das hat Linea durch ihr Leben gelernt.

Sie entspannt ihre steifen Schultern, ballt die Hände zu Fäusten und löst sie dann wieder.
Lauscht, ob sie irgendetwas hinter ihrem Rücken wahrnehmen kann. Doch wer auch immer hinter ihr steht, gibt keinen einzigen Ton von sich. Allein wegen der Stille könnte man glauben, dass Linea alleine ist. Doch dem ist nicht so. Sie spürt den Blick ganz genau, der sich wie ein heißes Eisen in ihren Rücken brennt.

Sekunden verstreichen, die sich wie eine kleine Ewigkeit in die Länge ziehen.

Wie lange wollen wir dieses Theater noch spielen?, fragt sich Linea allmählich. Es erinnert sie an ein Spiel, das ihre Großmutter und sie manchmal gespielt haben, wenn Linea nörgelte, dass ihr langweilig sei.
"Aushalten lernen" nannte es ihre Großmutter und starrte ihr ohne mit der Wimper zu zucken daraufhin ins Gesicht.

Doch das hier ist kein Spiel und wer auch immer hinter ihr steht, ist nicht ihre liebe Großmutter. Keine zarte Frau, die sich beim Lachen immer verschluckt hat und dann fürchterlich husten musste.
Der, der hinter ihr steht, weiß ganz genau, dass Linea ihn bemerkt hat. Da ist sie sich sicher und so macht sie einen Vorstoß, der die angespannte Stille zerschneidet.

"Hast du Spaß?", fragt sie in das Kellergewölbe hinein. Ihre Stimme trieft nur so vor Hohn. Das Zittern, das seinen Weg hinaus finden will, unterdrückt sie.

Es herrscht einen weiteren Moment Stille. Man könnte eine Stecknadel zu Boden fallen lassen und sie würde den Raum mit ihrem Aufprallen ausfüllen.

Hab ich mir die Schritte eingebildet? Zweifel kommen in ihr hoch, ob sie die Schritte wirklich gehört hat oder ob der Schmerz vom Wirken der Magie ihre Sinne derart benebelt hat, dass sie ihr einen Streich gespielt haben. Linea schüttelt den Kopf.
"Nein." Das Gefühl nicht alleine zu sein, trügt sie nicht. Jemand ist bei ihr, steht hinter ihr und als ob dieser die Lust verliert, stumm hinter ihr zu stehen, tönt es in ihrem Rücken: "Ein wenig schon."

Die dumpfen Töne erklingen nun wieder und führen um Linea herum bis ein Mann in ihrem Blickfeld erscheint. Eine hargere Figur mit lichten Haar. Linea könnte glauben, er sei schon älter, wenn sie nur diese Merkmale betrachtet, doch blickt sie in sein Gesicht, das sie triumphierend ansieht, merkt sie, dass es ein jüngerer Zeitgenosse ist.
Sie schätzt ihn so auf Mitte 30, sein Kinn ist kahl rasiert, nur über der Oberlippe lässt sich Haarwuchs erahnen. Seine Augen könnten auch die eines Habichts sein, so schmal wie sie sind. Als sei er ständig auf der Hut und immer wachsam.
An seinem rechten Ohrläppchen baumelt ein kleiner Anhänger. Er trägt ein Hemd, das ihm viel zu groß ist und ihn deswegen vermutlich auch so schmal wirken lässt, eine braune Hose mit Lederbändern an den Seiten und Schuhe, die so aussehen, als hätten sie ihn hunderte Kilometer weit getragen.

Er lächelt, als ihm auffällt, dass sie ihn mustert, zeigt an sich herab. "Gefällt dir, was du siehst?"
Lineas Blick schweift von seiner Erscheinung empor, bis er an seinem Gesicht hängenbleibt. Sie baut Blickkontakt mit ihm auf, hält ihn. Nicht ein Wort verlässt ihre Lippen, während sie ihn ohne zu blinzeln anstarrt. Der Mann vor ihr wirkt zunächst irritiert, doch er erwidert ihren Blick. Er beugt sich ihr sogar ein Stück entgegen, so als wolle er beweisen, dass der Blick einer Crow ihm nichts anhaben kann. Nichts ist, dass ihn aus der Fassung bringt.

Doch je länger ihr Blickduell andauert, desto mehr zeigt der Mann, dass er das intensive Stechen von Lineas Augen nicht mehr lange aushalten kann. Er spannt seine Kiefermuskulatur an, lässt seinen Blick immer wieder kurz nach rechts oder links wandern, bis er sich besinnt und sie wieder anstarrt.

The Crows Where stories live. Discover now