ᏦᏗᎮᎥᏖᏋᏝ 13

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Janina war fünfzehn, als sie ihre Augen an einem Herbsttag vor zehn Jahren für immer schloss.

Sie hatte eine kleine zweijährige Schwester mit dem Namen Sophie, die sich heute gar nicht mehr an sie erinnerte. Sie wusste zwar, dass sie existiert hatte, aber mehr auch nicht.

Nach Janinas Tod wurde Sophie wie ein seltenes Museumsstück behütet. Ihre Eltern hatten viel zu viel Angst, dass ihrem nun einzigen Kind ebenso etwas geschehen könnte. Verständlich, jedoch schade für Sophie, die dadurch noch mehr als ihre Schwester damals, als Außenseiter galt und wenig Freunde besaß.

Doch zurück zu Janina.

Sie war nicht sonderlich beliebt, jedoch war ihr das isoliert betrachtet nicht wichtig. Ihre Eltern gaben ihr trotzdem den Rat immer wegzulaufen, falls etwas eskalieren sollte. Doch Janina sagte stets, so weit würde es nie kommen. Denn die meisten auf ihrer Schule wussten nicht einmal, dass sie existierte und wenn, dann mieden sie die kleine Zierliche mit dem ewigtragenden blonden Seitenzopf, der bei jeder Bewegung wie eine Liana hin- und herschwang.

Als sie verschwand, war es dennoch für keinen, abgesehen von ihren Eltern, überraschend.

Nach außen hin waren alle Schüler entsetzt und erschrocken, aber innerlich war es ihnen egal. Jeder ging davon aus, dass sie weggelaufen wäre ... selbst die Polizei ... bis sie dann gefunden wurde ... doch was wirklich geschehen war, wusste nur sie und die zwei Jungs, die bei ihr gewesen waren.

Nicht weit von ihrem Zuhause gab es einen See. Damals war er jedoch der Treff der coolen Kids. Er wurde nicht zum Schwimmen genutzt, denn die Ufer waren matschig und jeden Sommer war das Wasser voller Algen.

Wenn der See im Winter einfror und man dort Eislaufen konnte, waren allerdings einige an jenem Ort vorzufinden. Was natürlich nicht gerne von der örtlichen Polizei gesehen wurde.

An dem Tag, an dem ihr Leben endete, setzte sich Janina auf ihr Fahrrad und radelte los. Sie kam gerade von einem Extra-Kurs in der Schule, weshalb sie auch noch ihren pinkfarbenen Rucksack bei sich trug. Der See war nicht ihr Ziel gewesen und doch landete sie irgendwann genau dort.

Aus der Ferne konnte sie einige Schüler ihrer Schule erkennen, die an gleicher Stelle am späten Nachmittag zusammen saßen, Bier tranken, rauchten und laute Musik über eine Musikanlage hörten.

Sie legte ihr Fahrrad in den Staub und setzte sich weit entfernt, so das sie nicht gesehen werden konnte, auf eine Bank.

Sie dachte für einen kurzen Augenblick darüber nach, wie es wäre, wenn dies ihre Freunde wären ... doch diesen Gedanken verwarf sie just in dem Moment, als drei von ihnen auf sie zukamen. Lachend und tuschelnd.

Es waren Melissa, Valentina und der allzubeliebte Mädchenschwarm Alex. Es gab kein Mädchen, das nicht auf ihn stand, selbst Janina, weshalb sie auch rot anlief, als er sie anblickte.

Melissa und Valentina, die sich immer gleich anzogen, blieben stehen, während Alex sich plötzlich und unerwartet neben Janina setzte. Verwirrt sah sie alle drei abwechselnd an.

»Na ... ehm ... Nina?!« , sagte Alex.

Ihr war es zu peinlich ihn zu verbessern, daher nickte sie nur verlegen.

»Würdest du auch gerne etwas mittrinken und feiern?« Als er sie das fragte, machte ihr Herz Saltos.

Alex, der beliebteste Junge der ganzen Schule ... Alex, der dunkelblonde zurückgegelte Haare hatte und hellbraune Augen mit vereinzelten grünen Stellen ... Alex, der einen hellen Leberfleck im Nacken besaß, der aussah wie die Stiefelform von Italien ... genau dieser, hatte ihr eine Frage gestellt.

Janina lächelte verlegen und sah zu Boden, bis ihr einfiel, dass man einem Menschen immer in die Augen schauen sollte, damit man sich auf Augenhöhe begegnet. »Ja, würde ich gerne.« , antwortete sie selbstsicher.

Alex sah die anderen beiden Mädchen an und alle drei begannen zu lachen. Verwirrt runzelte Janina die Stirn.

»... dann such dir Freunde.« , prustete er los.

»Aber ...« , kam über Janinas Lippen.

»Sie hat echt gedacht, du lädst sie ein.« , lachte Melissa.

»Wie kann man nur so doof sein.« , stimmte Valentina mit ein.

Janina hatte nicht vor zu weinen und doch kamen die Tränen unangemeldet und liefen ihr ohne um Erlaubnis gebeten zu haben, die Wangen hinunter.

Alex stand auf und sah sie von sich selbst überzeugt an. »Bist du wirklich so dumm? Ich dachte, du wärst eine 1er Schülerin.«

Janina schniefte. Es war ihr so peinlich. »Ich bin nicht dumm.«

»Klar bist du das ... Warte ab, wenn das morgen die komplette Schule weiß.« Melissa bekam sich kaum noch ein vor lauter Lachen.

Alex beugte sich zu Janina hinunter. »Du bist nur Müll, den nur noch niemand weggeworfen hat.« , sprach er mit gedämpfter Stimme.

»Komm jetzt ... lass die doofe Kuh sich im Selbstmitleid baden. Vielleicht stinkt die dann auch nicht mehr so.« Melissa hakte sich bei Alex ein und zu dritt gingen sie den Weg zurück.

Janina wollte nur noch fort, aber dafür müsste sie genau den Weg zurückradeln, den sie gekommen war. Und das wollte sie auf gar keinen Fall, denn dann hätte sie wieder an denen vorbei gemusst.

Weinend legte sie ihre Hände aufs Gesicht.

»Hey. Ist alles okay?« , fragte eine Stimme sie nach einigen einsamen Sekunden.

Mit verschwommenem Blick sah sie neben sich. Den Jungen, der dort hockte, kannte sie. Er war einer dieser, im Unterricht störenden Typen.

»Alles gut.« , sagte sie und schniefte erneut.

»Ich hab zufällig gesehen, was Alex und die beiden Tussis abgezogen haben.«

Die Scham in ihr stieg an. Der Erste, der es wusste.

Wiederholt legte sie sich die Hände aufs Gesicht und heulte los.

»Hey hey. Beruhig dich. Scheiß drauf, was die denken. Das sind Idioten.«

»Die sind beliebt.«

»Und? Hat das irgendeinen Wert?«

Janina nahm ihre Hände beiseite. »In der Schule hat es einen Wert. Es gibt nur die coolen und die Loser.«

»Und mich ... der einen Fick darauf gibt, was andere denken zu sein.« Sie lächelte ein wenig. »Du willst bestimmt hier weg, oder?« , fragte er sie und zündete sich eine Kippe an.

»Ja, aber ... ich muss dafür den Weg zurück und dann wieder an denen vorbeiradeln.«

»Quatsch, das musst du nicht. Ich kenn 'ne Abkürzung.« Der Junge stand auf und reichte ihr seine Hand.

Janina ergriff sie und ließ sich hochhelfen. Sie nahm ihr Fahrrad und schob es neben sich her, als er ihr den Weg durch Geäst und Gestrüpp zeigte.

»Ich weiß, ist nicht der beste Weg, aber besser als nichts.« , sagte er.

»Ja, besser als denen nochmal zu begegnen.«

»Du musst lernen, darauf zu scheißen, was andere sagen.«

»So einfach ist das nicht. Mir ist das im Grunde ja auch alles egal, aber ... ich werd' nicht gern vorgeführt.«

»Wer wird das schon gerne?!« Er lächelte sie freundlich an.

Sie hatte ihn bereits vorher öfters außerhalb der Schule gesehen. Sein bester Freund wohnte neben ihr, doch die Namen wusste sie bis dato von beiden nicht. »Ich bin übrigens Janina.«

»Dimitri. Aber meine Freunde nennen mich Dima.« , stellte er sich vor.

Abrakadabra - schau' mal, wer da warWhere stories live. Discover now