Louis' Magen knurrte wie die Bestie aus einer der alten Geschichten. Er drängte sich durch die Menschenmassen am Markt der Stadt. Es war schwül und stickig. Schweiß rann ihm den Nacken herunter und die Haut seiner Arme fühlte sich klebrig an. Um ihn herum quetschten sich die Menschen aneinander vorbei entlang der Marktstraße. Die markanten Schreie der Verkäufer hallten über den Platz.
„Alles vom Huhn, Herzen, Lebern oder nur die Flügel. Schnell, frische Hühner! Sogar mit Kopf, wenn ihr wollt. Oder wie wär's mit ein paar Eiern?! "
„Makrelen, frische Makrelen, morgens noch im Meer und abends auf'm Teller!"
„Tomaten, Äpfel, frische Birnen, Kartoffeln! Oder einen Krautkopf. Gemüse und Obst vom besten Hof vor der Stadt. Flachs lässt euch grüßen!"
Er sah Frauen mit Weidenkörben, alte Mütterchen mit ihren gewaltigen Hüten, sah Knechte und Bauern. Männer in zerschlissenen Hosen, die ihre letzten Reste an Kupferstücken zusammenkratzten, um fleckiges Obst und Gemüse oder altes Brot zu kaufen. Er roch das Aroma von frisch gebackenem Brot, den deftigen Geruch von gebratenem Fleisch und den süßlichen Duft von frischem Obst. Und mitten durch die Menge schob er sich nun. Normalerweise mied er Menschenansammlungen, denn es war ihm einfach zu laut und zu viel Trubel für seinen Kopf, aber er brauchte Geld und deswegen hatte er heute keine Wahl. Immer wieder schnappte er Gedankenfetzen auf, obwohl er versuchte sich vollständig abzuschotten.
... ich hätte zu gerne eines dieser Hühner, aber das können wir uns nicht leisten ...
... die Äpfel waren auch schon mal schöner ...
... bei Omnis, der Hut der alten Schachtel, sieht aber fürchterlich aus. Wie können die im Nordhain nur mit so etwas rumlaufen ...
Verstohlen sah er sich immer mal wieder um, aber keine Wache und keiner der Verkäufer (manche kannten ihn mittlerweile sehr gut und verjagten ihn) beobachtete ihn.
„Entschuldigung, darf ich mal durch", sagte er und presste sich an einer vornehmen Dame mit Hut vorbei. Sie trug einen Weidenkorb gefüllt mit Pilzen und verschiedenen Beeren. Louis konnte ein paar Münzen auf dem Boden des Korbes entdecken. Seine Hand zuckte kurz nach rechts und kurz darauf verschwanden ein paar Kupfermünzen und Pilze in seinen weiten Hosentaschen. Schon tauchte vor seinen Augen sein nächstes Ziel auf. Ein etwas älterer Herr mit grauen Haaren, auch er trug einen eleganten Filzhut (was hatten die Menschen heute alle mit ihren Hüten? Es war eine Affenhitze!) und eine graue Weste mit einer aufwendigen Stickerei auf der Brust. An seinem Gürtel baumelte ein praller Beutel und Louis sah dem Mann an, dass er völlig in Gedanken versunken die Auslage eines Bäckers vor ihm betrachtete.
... diese Pastete sieht aber köstlich aus – Ob Sarah es merkt, wenn ich mir heimlich eine kaufe? ...
Das würde ein fetter Fang werden, genug, um für ein paar Tage unterzutauchen und sich eine Auszeit zu gönnen. Es wäre vielleicht auch nicht schlecht, denn in letzter Zeit hatte er immer seltener Erfolg und man wurde auch misstrauischer gegenüber ihm. Er wusste gar nicht mehr, wie oft er vor den Wachen hatte fliehen müssen.
Vielleicht würde das nicht geschehen, überlegte er sich, wenn ich nicht die Reicheren beklauen würde.
Und auch wenn das stimmte, so ließ sich daran allerdings nichts ändern. Es steckte keinen Gerechtigkeitssinn hinter der Tatsache oder eine Absicht. Von armen Menschen konnte man schlichtweg nicht gewinnbringend stehlen. Wenn es nicht bald besser werden würde, so musste er sich wohl oder übel wieder seinen alten Tätigkeiten zuwenden und das wollte er nicht mehr.
Louis tat so, als würde er angerempelt werden. Er taumelte zur Seite, rief laut: „Heee! Was soll der Scheiß, Arschloch?!" und prallte dann an sein Ziel. Der Mann konnte ihn nur mit Mühe halten und verhinderte so, dass sie beide zu Boden ging. Es dauerte vielleicht drei Sekunden, aber er nutzte die Zeit und schnitt mit einem kleinen Messer die dünnen Schnüre des Lederbeutels durch und ließ ihn dann in seinem Ärmel verschwinden. Der Mann half ihm hoch.
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MAGOS - Chroniken des Untergangs
FantasyEines morgens wird am Hafen der mächtigen Stadt Hakron die Leiche eines Jungen gefunden. Nach und nach wird klar, dass mehr dahinterstecken muss als ein einfacher Mord, denn die Leiche ist in einem fürchterlichen Zustand. Unter vorgehaltener Hand tu...