Sie erreichten Lyaro, den nördlichsten Ausläufer von Aquilana, nach vierzehntägiger Schiffsreise und somit gerade noch rechtzeitig bevor ihre Vorräte sich dem Ende zu neigten. Es war eine der wenigen Inseln, die einen eigenen Namen hatte. Hauptsächlich deswegen, da sie noch ein gutes Stück - wenn die Strömungen und der Wind hier nicht mitspielten, konnte es auch mehrere Tage dauern - vom Archipel entfernt war und diese Insel als erster Anlaufpunkt für alle ausländischen Händler diente. Erst wer sich in Lyaro angelegt und beim Hafenmeister angemeldet hatte, durfte weiter in das Seereich Aquilana vorfahren. Es blieb den dort stationierten Marineoffizieren vorbehalten, die Reisenden und Händler zu begutachten und zu entscheiden, ob ihnen die Einreise verwehrt wurde. Freilich galt das nicht für die Einheimischen, also auch die Harmony, die jederzeit durchgelassen wurde.
Aquilana verfügte über eine starke Flotte und es gab mehrere Verbände, die ständig zwischen den Inseln oder um das Archipel herum patrouillierten. Mit den ganzen Koggen und Galeeren der Händler - sie alle waren bewaffnet - belief sich die Gesamtzahl der Schiffe auf über hundert, die man binnen kurzer Zeit in den Kampf schicken konnte. Man brauchte also schon eine stattliche Flotte, wenn man nicht in die Unterzahl geraten wollte. Zudem waren die bewaffneten Kriegsschiffe des Inselreichs noch mit ausgebildeten Seemännern besetzt. Aquilana hatte den Ruf, uneinnehmbar und in ihrem heimischen Gewässern eine unbezwingbare Stärke zu haben. Susannah fragte sich, ob ihr Volk das gegen die Noari schützen würde. Sie hoffte es. Wenn es ihnen gelänge, dass die Wesen nicht an einer anderen Stelle durchbrachen, dann war ihre Heimat vorerst sicher. Dann erinnerte sie sich wieder an die Flotte, die man in Khrota gebaut hatte, und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus.
Wohlweislich hatte Susannah von Anfang an auf Notrationen bestanden, da sie über drei Dutzend Menschen an Bord hatten. Die meisten davon waren Mütter, Alte oder Kinder. Auch wenn der Wind mitspielen würde und sie zusätzliche Ruderer in Lyaro anheuerte, würde es noch seine Zeit brauchen, bis sie endlich im sicheren Zentrum der Inseln angekommen waren.
Sie erreichten den Hafen zur Mittagsstunde und als sie an dem Kai anlegten, war dort nur ein weiteres Schiff fest vertaut. Als Susannah schließlich von Bord ging, hatte sie ein schlechtes Gefühl, das sich bestätigte, nachdem sie mit dem Hafenmeister gesprochen hatte. Eilig kaufte sie einige Vorräte und ließ sie auf ihr Schiff bringen. Kiyan stand an der Reling, als sie zur Harmony zurückkehrte und musterte sie.
"Ist es so schlimm?"
"Schlimmer", knurrte sie und gab dann den Befehl die Leinen zu lösen.
"Vor drei Wochen wurde das Kriegsrecht verhängt ...", erklärte sie Kiyan anschließend. "... Man hat sich so viele Menschen wie möglich nach Süden gebracht. Port Kreol wurde wieder befestigt und ein Flottenadmiral ernannt, der das Kommando über die Verteidigung des Archipels innehat."
"Wer denn?", fragte Kiyan.
"Sean Fleur", erwiderte Susannah und wusste schon, wie ihr bester Mann reagieren würde.
"Im Ernst, Suzie?! Spinnen sie jetzt total?! Das kann doch alles nicht wahr sein! Ja, die Noari können den Untergang für die Menschheit bedeuten, aber sie haben den Mistkerl gewählt?"
Kiyan knurrte mürrisch und spucke über die Reling. Sean Fleur und Kiyan waren alte Bekannte aus der Marine und hatten auf dem gleichen Schiff ihre Ausbildung angetreten. Danach hatten sich ihre Wege getrennt und während Kiyan bei verschiedenen freien Kapitänen angeheuert hatte, war Sean in der Marine geblieben. Soweit Susannah wusste, kreuzten sich ihre Wege danach noch zwei oder drei Mal und es ging nie wirklich gut.
"Kiyan ..."
"Spar's dir."
"Wirklich?"
"Ja, Suzie! Ich werde mich zusammen reißen", antwortete Kiyan. "Ob er das auch tut, kann ich dir aber nicht versprechen."
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MAGOS - Chroniken des Untergangs
FantasyEines morgens wird am Hafen der mächtigen Stadt Hakron die Leiche eines Jungen gefunden. Nach und nach wird klar, dass mehr dahinterstecken muss als ein einfacher Mord, denn die Leiche ist in einem fürchterlichen Zustand. Unter vorgehaltener Hand tu...