Früher, vor dem Jetzt, vor der Zeit selbst, wie manche Hüter früher glaubten, herrschten die alten Götter. Sie residierten in einer riesigen Halle, fernab der Menschen und ließen ihre erwählten Helden für sich sprechen und ihre Arbeit verrichten. Die Halle stand auf dem Berg Arrata mitten im Meer. Hoch oben, umgeben von dünner Luft. Von Zeit zu Zeit schoss flüssiges Feuer aus dem Inneren des Berges. Licht und Dunkelheit teilten sich die Zeit. Dort in dieser Halle stand ein gewaltiger runder Tisch vor dem neun Throne platziert worden waren. Acht der Stühle waren prächtig anzusehen. Jeder auf seine Art und doch waren sie alle gleich.
Einer war gebaut aus purpurnen Flammen, für Ferros, den Patron der Flammen.
Auf einem wuchsen Rosen aus Eis und Wasser. Dieser gehörte Hielo, dem Bewahrer des Wassers.
Aus dem nächsten sprossen allerlei Pflanzen und Ranken. Dicht verzweigt und ewig blühend. Hier saß Gaia, die Hüterin der Erde.
Einer, er gehörte Aith, der Fürstin der Winde, schien aus Wolken geformt zu sein und war weicher als jedes Bett.
Lux, Streiter des Lichts, war der Älteste und sein Thron war aus gleißendem, leuchtenden Gold, heller als die Sonne.
Einer war schwarz wie die Nacht selbst und mit edlem Samt überzogen. Es war der Platz von Nox, dem Archon der Nacht .
Einer wechselte ständig seine Form. Verschiedene Formen liefen in einander über, ein stetiger Wandel. Hier saß Seth, der das pure Chaos war.
Einer bestand aus Knochen, die ständig wuchsen und sich erneuerten. Mal alt und porös, mal jung und frisch. Ganz so wie Isis, die Herrin der Toten.
Der letzte war anders. Es war schlicht ein einfacher Stuhl aus Holz und gehörte Hekate, der Mutter aller Götter.
Zwei der Stühle waren nun leer und das schmerzte die Mutter immer noch. Zwei ihrer Kinder hatten sich abgewandt. Es hatte Streit gegeben. Uneinigkeit hatte ihre Familie gespalten und Hekate ahnte bereits das nahende Unheil, ganz so wie Mütter es eben spüren. Ihre älteste Tochter Isis, Herrin der Toten, und ihr jüngster Sohn Seth, der niemals still sitzen konnte, hatten ihren Tisch verlassen. Das war schon vor Jahren geschehen, kurz nachdem sich ein gewaltiger Riss im Firmament gebildet hatte. Dahinter wanden sich Schatten, brannten in ewigen Flammen und Schreie, so furchteinflößend und grausam hallten durch das Universum. Sie nagten an diesem Riss und versuchten ihn zu vergrößern. Sie wollten auf ihre Seite hinüber. Von diesem Ort waren die Schattenkreaturen gekommen und über sie und ihre Kinder hergefallen wie Barbaren. Nur mit Mühe hatten sie sie zurückschleudern können. Aber nicht einmal sie als Götter hatten die Pforte wieder schließen können. Schlimmer noch, mit blutendem Herzen erkannte die Mutter, dass es mehrere solcher Schwachstellen in ihrer Welt gab. Löcher in der Wand ihrer Dimension. Noch hielten sie, aber das würde nicht von Dauer sein.
Äonen vergingen und sie residierten zu siebt. Ließen sich von den Menschen verehren. Zogen ihre Kräfte aus deren Gebete. Lux, ihr ältester Sohn, hatte diese am meisten ins Herz geschlossen. Er zeigte sich ihnen oft, ließ sich prächtige Tempel und Statuen bauen, lehrte den Menschen zu beten und ihm Opfer darzubringen. Als Ferros dies herausfand, stellte er seinen älteren Bruder zur Rede. Er stritt leidenschaftlich mit ihm, während seine Schwester Aith ihn unterstützte. Nicht selten kam es vor, dass Feuerwogen über die Erde walzten und heftige Stürme, Blitz und Hagel die Ernten der Menschen vernichteten.
Während Lux und Ferros die Menschen zwangen sie ernst zu nehmen, ging Gaia einen anderen Weg. Sie war gütig und ruhig und half den Menschen beim Wiederanbau. Schenkte ihnen fruchtbare Erde und reiche Ernte. Hielo, ihr zweit ältester Sohn brachte Regen oder strafte sie mit Trockenheit. Im Kampf der Götter selbst verhielt er sich kühl und distanziert. Er forderte einen Platz am großen Tisch, wie sie alle. Nur Nox hielt sich heraus in dem Wissen, dass es die Dunkelheit und den Schatten immer geben würde. Egal wer obsiegte, egal wen die Menschen an meisten anbeteten und so die größte Macht schenkten, würde er doch immer ein Teil davon sein. Genauso wie das Licht würde es die Dunkelheit immer geben. Die Zeit verging, die Menschen entwickelten sich.
Andere Völker entstanden. Ferne Kontinente entstanden und Reiche erhoben sich. Ein goldenes Zeitalter war eingeläutet worden. Oft stiegen die Götter herab und mischten sich unter die Sterblichen. Feierten Feste mit ihnen. Verliebten sich. Schenkten den Menschen ihre Gunst und ließen manche von ihnen sogar an ihren Mächten teil haben. Die Gesegnetsten unter ihnen nannte man Kinder der Götter oder Helden der Menschen. Kulte wuchsen. Bruderschaften. Heilige Gilden. Mächtige Zirkel. Und mit der Kunst der Götter zog auch die Magie in die Lande der Sterblichen. Ging auf sie über und sie lernten die Elemente zu beherrschen.
Aber nichts hält ewig und es kam, wie es kommen musste. Die Barriere, die die Götter errichtet hatten, brach. Die Schattenwesen brachen aus ihrer Dimension aus. Ein heftiger Kampf tobte, tausende fanden den Tod. Der Krieg hinterließ eine Schneise der Zerstörung, rauchende Schlachtfelder voller Leid und Tränen. Erneut war es Lux, der den Kampf in vorderster Front anführte. An seiner Seite kämpften seine Kinder. Seine Anhänger. Sie stritten am heftigsten und hielten die Front. Eines Tages kam Lux zu seiner Mutter Hekate und als sie in sein Gesicht sah, erinnerte sie sich an die Angst, die sie verspürt hatte, als Isis und Seth sich abgewandt hatten. Noch bevor er sprach, wusste sie, dass es nichts Gutes wahr.
"Es gibt keinen Ausweg mehr, Mutter", sagte Lux mit grimmigem Blick. "Ich muss es tun. Ich sehe keinen anderen Weg mehr. Sonst ist alles verloren!"
"Vertrau auf die Kraft deiner Brüder und Schwestern. Nur zusammen können wir bestehen. Als Familie. Du musst sie alle einen, mein Sohn."
Aber er wollte nichts davon wissen. Ferros war zu flatterhaft, machte nur, was er wollte. Selbst in Zeiten größter Not feierte er lieber, schuf sich einen Harem. Nur ab und an walzten seine Flammen über das Schlachtfeld. Selbst Gaia, die immer an Lux' Seite war, verbrachte mehr Zeit damit, die Zerstörung zu bekämpfen, zu heilen und zu retten, anstatt anzugreifen.
"Und was ist mit Nox?", sagte Hekate. "Er hilft dir jeden Tag. Du kannst ihn nicht verraten."
"Nox tut nur, was gut für ihn ist. Aber du hast Recht, ich werde ihn nicht vergessen. Mutter ... Ich sehe keinen Ausweg mehr ...""Gib ihnen noch eine Chance ...", sagte Hekate. Lux tat, wie ihm geheißen und rief seine Brüder und Schwestern zusammen. Vielleicht erkannten sie den Ernst der Lage oder die Mutter steckte dahinter, aber als Lux rief, kamen sie auch. Und mit ihnen auch ihre Kinder und Günstlinge. Und so zogen die Götter, ihre Helden und Kinder und die Völker der Erde in die Schlacht. Drängten die Schatten - mittlerweile fingen die Menschen an sie Noari zu nennen - zurück. Wichtige Siege wurden errungen und fast es schien es so, als wäre der Sieg in greifbarer Nähe. Es fehlte nur wenig.
Lux erkannte es, aber er sah auch, dass er zu wenig Macht hatte. Ein letztes Mal wirbelte er durch das Schlachtfeld, brach durch die Reihen der Schattendämonen. Schien überall gleichzeitig zu sein. Schickte sein göttliches Licht in jede Ecke. Und dann tat sich eine Chance auf. Er fand eine Möglichkeit genug Macht anzuhäufen um die Noari endgültig zurück zu drängen. Er spürte, wie nah der Sieg war. Er konnte danach greifen und ihn haben. Er musste es tun. Ansonsten wäre alles verloren. Die ganze Schöpfung. All ihre Arbeit.Diesmal ging er nicht zu seiner Mutter. Es war keine Zeit mehr. Er tat, was er tun musste, und sprach zu den Menschen. Offenbarte ihnen, wenn sie einzig ihm die Treue schworen, wenn sie ihr Schicksal an ihn bänden und den Pakt mit Blut besiegelten, dann würde er sie schützen können. Jetzt und auf ewig. Die Menschen, geplagt von Leid und Pein willigten gerne ein und schenkten ihm ihren Glauben. Überall wurden die Zeichen der Götter eingeholt, Statuen zerstört, Tempel verwüstet. Nur ein Sigul, ein Zeichen blieb übrig, das sehende Auge von Lux. Der Streiter des Lichts spürte den Anstieg der Macht und saugte alles in sich auf. Es kam, wie er es prophezeit hatte. Mit einer gewaltigen Explosion aus Licht warf er die Noari zurück und verbannte sie in ihre Dimension der Schrecken. Dabei versiegelte er auch die Schwachstellen. Zumindest für einige Zeit.
Seine Brüder und Schwestern allerdings verziehen ihm diesen Verrat nicht. Sie kehrten ihm den Rücken zu und die Allianz der Götter brach und mit ihr die Hoffnung der Mutter.
DU LIEST GERADE
MAGOS - Chroniken des Untergangs
FantasyEines morgens wird am Hafen der mächtigen Stadt Hakron die Leiche eines Jungen gefunden. Nach und nach wird klar, dass mehr dahinterstecken muss als ein einfacher Mord, denn die Leiche ist in einem fürchterlichen Zustand. Unter vorgehaltener Hand tu...