~~ Dylan ~~

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Ich rannte so schnell meine Beine es mitmachten und wusste doch schon, dass ich nicht mehr rechtzeitig kam. Dafür hätte ich schon vor einer guten Viertelstunde da sein sollen.
Völlig außer Atem erreichte ich schließlich das gemütliche Café, in dem ich neben meinem Studium jobbte, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
»Guten Morgen, Dylan, ausgeschlafen?«, fragte mich Kathy mit belustigtem Unterton, als ich durch die Tür gestürzt kam und ich konnte mir ein erleichtertes Seufzen gerade so verkneifen. Ich war mir nicht mehr sicher gewesen, mit wem ich heute die Schicht hatte. Wäre es mein Onkel, der Besitzer des Cafés gewesen, hätte ich mir mit Sicherheit etwas anhören können.
»Es tut mir so leid! Ich habe gestern noch bis spät in die Nacht gelernt und heute früh den Wecker komplett verschlafen. Und dann kam der Bus noch zu spät und ...«
»Dylan, komm runter, beruhig dich! Das kann schonmal passieren. Es sollte nicht oft passieren, aber auch mir ist es schon passiert und keine Sorge, ich werde deinem Onkel nichts verraten. Zieh dich einfach um und fang an zu arbeiten.«
»Danke, Kathy, du hast was gut bei mir!«
»Nun, tatsächlich würde ich das gleich einlösen«, erwiderte sie mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Klar, was kann ich für dich tun?«
»Teddy hat sich für heute Nachmittag krank gemeldet, doch meine kleine Nichte hat heute Geburtstag und ich ...«
»Kein Problem, ich übernehme die Schicht und ziehe einfach bis fünf durch«, fiel ich ihr sofort ins Wort. Ich war zwar noch immer todmüde von letzter Nacht, doch mit etwas Kaffee würde ich das schon in den Griff bekommen und ansonsten machte es mir nichts aus. Zehn Stunden waren nicht wenig, aber ich mochte die Arbeit hier und ich mochte Kathy und wollte ihr gern helfen.
»Bist du dir sicher?«
»Hundertpro, absolut kein Problem! Geh du zum Geburtstag deiner Nichte«, erwiderte ich mit einem Lächeln, das auch gleich erwidert wurde.
»Danke, Dylan.«
Mit einem Nicken ging ich in den hinteren Bereich zum Mitarbeiterraum, wo ich meine Sachen im Spint verstaute, bevor ich mir meinen Kellnergürtel umschnallte und Kathy an der Theke ablöste, denn eigentlich war sie für die Küche eingeteilt.
Viel gab es nicht zu tun, denn an diesem Morgen war noch nicht viel los. Nur ein paar vereinzelte Menschen, die auf ihrem Arbeitsweg einen kleinen Stopp einlegten, um sich einen morgendlichen Kaffee und vielleicht ein kleines Gebäck zu holen. Erst gegen acht wurde es voller und ich kam kaum hinterher mit den Bestellungen.
Kurz bevor Kathys Schicht zu Ende war, löste sie mich nochmal ab, um mir eine halbe Stunde Pause zu gönnen, bevor sie mir den Ersatzschlüssel in die Hand drückte, damit ich heute Abend abschließen konnte.
»Feiert schön!«, verabschiedete ich sie mit einem Lächeln.
»Werden wir! Danke nochmal, dass du die Schicht übernimmst.«
»Mach dir keinen Kopf, das mache ich doch gern.«
»Bis übermorgen!«
»Bis übermorgen!«
Damit ließ sie mich mit dem Laden allein. Es war nicht das erste Mal, dass ich allein hier war, doch oft war es noch nicht vorgekommen. Sonst war immer einer der anderen oder mein Onkel mit da gewesen. Allerdings hatte ich noch nie allein abgeschlossen. Aber viel war da nicht dabei. Aufräumen und kurz durchsaugen, das Geld aus der Kasse in den Tresor legen und alle Türen gut abschließen. Meine eigentliche Angst war der Schlüssel. So oft, wie ich Dinge verlegte ...
»Hallo!«, wurde ich von einem Mann um die Dreißig begrüßt. An der Hand hielt er einen kleinen Jungen, der eher an einen Flummi erinnert, so energiegeladen wie er auf und ab hüpfte.
»Hallo! Was darf's denn sein?«, fragte ich freundlich nach.
»Einen Kaffee mit Milch und ...«
»Käsekuchen, Papa!«
»... einen Käsekuchen«, ergänzte der Mann seine Bestellung mit einem belustigten Schmunzeln.
»Natürlich, kein Problem. Vier zwanzig, bitte.«
Ich nahm das Geld entgegen, bevor ich seinen Kaffee zubereitete und ein großes Stück unseres berühmten Käsekuchens abschnitt.
»Lasst es euch schmecken«, wünschte ich und der Mann bedankte sich, bevor die beiden sich an einen der kleinen Tische setzten.
Ich beobachtete sie eine Weile unauffällig und ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich die Vertrautheit zwischen den beiden sah. Die Szene erinnerte mich an meine eigene Kindheit, nur war es nicht mein Vater, sondern mein Onkel gewesen, mit dem ich zusammengesessen und Kuchen gegessen hatte. Nicht, weil ich keinen Vater besaß, sondern weil mein Vater nicht die Zeit für solche Vater-Sohn-Momente hatte. Er war Polizeioffizier und noch dazu ein Workaholic. Als ich klein war, war er kaum Daheim und wenn er es mal war, dann war er müde und hatte weder Energie noch Lust, um sich mit seinem Sohn zu beschäftigen. Meine Mutter war anders. Sie nutzte jede freie Minute, um Zeit mit mir zu verbringen, nur hatte sie durch ihren Job bei einem großen Magazin auch nicht viel davon, weshalb ich nicht selten bei meinem Onkel landete.
Die Türklingel kündigte einen neuen Kunden an und meine Augen huschten sofort zum Neuankömmling. Meine Lippen, die sich bereits zu einem willkommenen Lächeln verziehen wollten, hielten mitten in der Bewegung inne, als ich den Jungen erblickte, der das kleine Café betreten hatte. Erst, als er näher trat und sich unsere Blicke kreuzten, riss ich mich zusammen.
»Hallo Hübscher, was kann ich für dich tun?«, kam mir über die Lippen, bevor ich mich zurückhalten konnte. Der leicht überrumpelte Blick, der darauf folgte, verriet mir sofort, dass ich den Falschen angeflirtet hatte. Welch ein Jammer, denn Gott, war der Typ süß!
»Ähm ... hallo, ich ...«, begann er, während sein Blick hin- und herging, als würde er etwas suchen ... oder jemanden.
»Wenn du nicht weißt, was du möchtest, kann ich dir auf jeden Fall unseren Käsekuchen empfehlen«, bot ich an, doch er schüttelte nur leicht mit dem Kopf, bevor seine Augen wieder zu mir zurückfanden.
»Ich hätte bitte einen Zimtkakao.«
Meine Augenbrauen wanderten nach oben. Einen Zimtkakao? Im September?
»Tut mir leid, aber soweit ich weiß, haben wir den nur im Winter im Angebot.«
»Ich weiß, aber Kathy hat immer ... weißt du was, ist egal, danke«, damit wandte er sich ab und schien das Café verlassen zu wollen.
»Warte!«, rief ich, vielleicht etwas zu laut.
Ich räusperte mich, als er sich wieder umdrehte.
»Ich denke, einen Zimtkakao bekomme ich hin«, meinte ich und machte mich sofort daran, einen Kakao vorzubereiten, bevor ich die Schränke durchging auf der Suche nach Zimt. Er hatte angedeutet, dass Kathy ihm außerhalb der Winterzeit einen Zimtkakao gemacht hatte, also musste der Zimt ja irgendwo sein.
Ich öffnete den Schrank mit den verschiedenen Gewürzen und nachdem ich ein paar Gläser und Dosen beiseitegeschoben hatte, fand ich tatsächlich ein Glas Zimt. Mit einem Klebezettel daran.
»Bist du zufällig Nico?«, fragte ich den Jungen, der mich sofort überrascht ansah.
»Woher kennst du meinen Namen?«
Ich zeigte ihm den Zettel am Zimtglas, auf dem "für meinen Schatz Nico" stand. Beinah sofort färbten sich seine Wangen leicht pink.
»Da scheint wohl jemand Kathys Herz erobert zu haben«, meinte ich mit einem frechen Grinsen.
Ein Schmunzeln schob sich in seine Mundwinkel und sofort wollte ich die offensichtlichen Zeichen ignorieren und erneut mit ihm flirten, denn Gott, konnte er noch süßer werden? Doch ich hielt mich zurück und wandte mich wieder seinem Kakao zu. Leider hatte ich noch nie zuvor einen Zimtkakao zubereitet. Aber das würde ich jetzt sicher nicht zugeben.
Ich bereitete einen normalen Kakao zu, gab etwas unserer hauseigenen Sahne hinzu und streute dann etwas Zimt darauf. Das sah auf jeden Fall nicht schlecht aus.
»Hier ist dein Zimtkakao, möchtest du sonst noch etwas?«
Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, doch ich sah die Enttäuschung auf seinem Gesicht, als er den Kakao sah. Allerdings war sie sofort wieder weg und er schenkte mir ein freundliches Lächeln.
»Nein, danke, wie viel für den Kakao?«
»Ist der Kakao in Ordnung so?«, fragte ich sofort nach.
Ein kleiner Moment des Zögerns, dann ein Nicken. »Ja, alles in Ordnung, danke.«
Ich glaubte ihm nicht, doch ich beließ es dabei. »Er geht aufs Haus.«
Erneut schaute er mich überrascht an und ich war nicht weniger überrascht über das, was ich eben gesagt hatte.
»Sicher?«
Jetzt konnte ich auch keinen Rückzieher mehr machen, also nickte ich. »Ja, sicher, lass ihn dir schmecken.«
»Okay, ähm, danke!«
»Kein Problem.«
Er nahm seinen Kakao und wandte sich ab, um zu einem der Tische ganz in der Ecke zu gehen. Gleich neben unserem Bücherregal, aus dem er sich auch gleich ein Buch zog und es auf einer bestimmten Seite aufschlug.
Mhh ...
Meine Aufmerksamkeit wurde von ihm weg zu einem neuen Kunden gezogen, doch sobald die Frau das Café wieder verlassen hatte, ging mein Blick zu ihm zurück. Er hatte es sich mit dem Buch auf dem kleinen Sofa gemütlich gemacht.
Hör auf, ihn anzuglotzen! Das ist gruselig und so wie er auf deinen Flirt und die Andeutung in Bezug auf Kathy reagiert hat, sitzt er wohl auch am falschen Ufer.
Ich versuchte, mich zu benehmen und mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren, doch schaute immer wieder zu ihm hinüber, beobachtete, wie er völlig versunken in dem Buch las. Er war wohl ein kleiner Bücherwurm.
Gott Dylan, wirklich?
Ich schüttelte den Kopf und da ich gerade keinen Kunden zu bedienen hatte, zog ich mein Handy aus der Hosentasche, um Sarah, der Besitzerin des Tierheims dieser Stadt, zu schreiben. Letzte Woche hatte ich keine Zeit mehr gefunden, bei ihr vorbeizuschauen, doch ich vermisste meine Fellfreunde und wollte fragen, ob ich diese Woche mal vorbeikommen konnte. Keine Minute später fragte sie mich, was für eine blöde Frage das doch war. Natürlich konnte ich jederzeit vorbeikommen.
Mit einem Lächeln steckte ich das Handy wieder weg, denn mein Onkel sah es überhaupt nicht gern, wenn ich während der Arbeit am Handy hing. Allerdings war er nicht da.
Während ich die Kaffeetassen eines älteres Pärchens abräumte und auch gleich aufwusch, dachte ich darüber nach, vielleicht mal wieder mit Roger zum Hundepark zu gehen. Roger war einer der ältesten Bewohner des Tierheims und kam eigentlich nicht mehr wirklich zur Adoption in Frage. So traurig es auch war, ich vermutete stark, dass er den Rest seiner Tage im heim verbringen würde. Deshalb schenkte ich ihm, wenn ich zu Besuch kam, oft am meisten Aufmerksamkeit und hin und wieder nahm ich ihn mit zum Hundepark.
Aus dem Augenwinkel schaute ich zum keine Ahnung wievieltem Male zum Bücherwurm hinüber. Ob er auch ein Tierfreund war?

Eine halbe Stunde war vergangen mit dem ein oder anderen Kunden, etwas Abwasch und einer Menge hoffentlich unauffälligen Starrens, als mich das plötzliche Klingeln des Telefons aufschreckte. Ein Blick auf das kleine Display des Geräts verriet mir, dass es mein Onkel war.
»Guten Morgen, Onkel Toni!«
»Morgen, Dylan, wenn du mal kurz eine freie Minute hast, kannst du mal etwas im Lager nachprüfen? Ich sitze gerade an den Bestellungen für nächste Woche und habe vergessen, nach den Holzstäbchen zu schauen.«
»Kein Problem, ich habe gerade keinen Kunden. Ich schaue schnell nach.«
Da das Telefon im Lager sowieso nicht mehr funktionierte, ließ ich es gleich am Tresen liegen und schaute schnell nach den Beständen der Holzstäbchen. Wobei schnell dann doch nicht so schnell ging, da ich die Dinger erstmal finden musste, denn so lange arbeitete ich auch noch nicht hier, um zu wissen, wo alles ist.
»Wir haben noch zwei dieser kleinen Kisten im Lager«, ließ ich meinen Onkel wissen und er bedankte sich, bevor er mir noch einen erfolgreichen Tag wünschte und auflegte.
Als mein Blick wie automatisch zurück zum Sofa ging, sah ich nur noch eine leere Tasse auf dem Tisch stehen. Verwundert über sein doch recht plötzliches Verschwinden ging ich hinüber, um die Tasse abzuräumen. Sie war leer bis auf die Sahne, die auf dem Boden der Tasse zurückgelassen wurde.
Das war es also gewesen.


Liebes Tagebuch ... (bxb)Where stories live. Discover now