~~ Dylan ~~

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»Dylan? Was für eine Überraschung! Ich wusste gar nicht, dass du vorbeikommen wolltest.«
»Hey Mom!«, begrüßte ich sie mit einer Umarmung. »Ich muss etwas Wichtiges mit Dad besprechen. Ist er daheim?«
»Ja, er ist im Büro, warum? Ist etwas passiert? Steckst du in Schwierigkeiten?«
»Nein, Mom, beruhige dich. Es geht ... um einen Freund und ich brauche seinen polizeilichen Rat.«
»Einen Freund? Nico? Oder einen von deinen Studiumfreunden?«, fragte sie sofort nach, während sie mir zum Büro meines Vaters folgte.
»Mom, bitte!«, sagte ich, als ich vor der Tür zum Stehen kam und sah sie beinahe flehend an.
»Okay, schon gut. Bleibst du wenigstens zum Essen?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich muss jetzt wirklich erstmal mit Dad reden, okay?«, »Okay, ich geh schon, aber hau nicht wieder ab ohne dich zu verabschieden!«
»Versprochen!«
Damit gab sie sich zufrieden und verschwand Richtung Wohnzimmer. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich an die Tür klopfte.
»Komm rein«, hörte ich die tiefe Stimme meines Vaters und öffnete die Tür. Er saß am Schreibtisch über einige Zettel gebeugt.
»Dad, ich muss mit dir reden«, sagte ich, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.
»Ich habe schon gehört«, erwiderte er, bevor er den Stift beiseitelegte und sich im Stuhl zu mir herumdrehte.
Ich ließ mich derweil auf dem Sessel nieder, der in einer Ecke des Zimmers stand.
»Worum geht es?«
»Nun, zuerst einmal: Ich brauche dein polizeiliches Wissen, aber ...«
»... nicht den Polizisten«, ergänzte mein Vater, als ich nach den richtigen Worten suchte. Ich nickte.
»Geht es um dich selbst?«
»Nein, um einen Freund«, gab ich vage zurück.
»Und das ist keine Umschreibung für dich?«
»Nein, Dad, versprochen, aber ... der Freund liegt mir sehr am Herzen.«
Er nickte verstehend. Vermutlich machte sein Kopf sofort die Verbindung zu Nico, aber solange ich es nicht bestätigte ...
»Okay, gab er sein Einverständnis und nach kurzem Zögern meinerseits begann ich ihm, Nicos Situation zu erklären. Er hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen. Dabei verriet seine Miene nicht ein einziges Mal, was er dachte.
Als ich fertig war, sah er mich einen langen Moment nur an, bevor er sich mit den Händen übers Gesicht rieb und sich dann lang ausatmend zurücklehnte.
»Eine ganz schön knifflige Situation, in der dein Freund steckt.«
Ich nickte nur, da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.
»Nun, er hat sich durchaus strafbar gemacht. Er hat sicherlich ein falsches Alter angegeben und er hat sich ebenso der Prostitution strafbar gemacht, aber sein Alter macht es schwierig, die Situation leicht zu beurteilen. Er war minderjährig, als er angefangen hat, dort zu arbeiten. Der Clubbesitzer hätte ihn nie einstellen dürfen. Hätte er die Daten deines Freundes richtig überprüft, hätte er gesehen, wie alt er wirklich ist, auch wenn dein Freund einen gefälschten Ausweis genutzt hätte. Der Clubbesitzer hat sich auf jeden Fall am allermeisten strafbar gemacht durch seine illegalen Nebengeschäfte. Das Schlimmste: Die Ausnutzung eines verzweifelten Minderjährigen. Am liebsten würde ich sofort losfahren, um dieses Arschloch zu verhaften!«
Ich wusste genau, wie er sich fühlte.
»Was ... was hätte mein Freund zu befürchten?«
Mein Vater rieb sich über die Stirn, als würde er Kopfschmerzen bekommen.
»Das kann ich dir nicht sagen. Da müssten wir eher den Bruder seiner Mutter fragen. Oder deinen Cousin.«
»Nein!«, widersprach ich sofort heftig. Ich würde sicher nicht Kelvin selbst oder seinen Vater wegen Nico fragen! Mit Sicherheit nicht!
Dad zog überrascht die Augenbrauen hoch, doch hinterfragte meine Reaktion nicht.
»Nun, ich denke, er wird nicht ungestraft davonkommen, aber ich bin mir sicher, dass es abgemildert wird aufgrund seines Alters und seiner Umstände. Versprechen kann ich allerdings nichts.«
Ich nickte ernst. Das war, was ich vermutet hatte.
»Trotzdem würde ich ihm raten, zur Polizei zu gehen. Er hat aufgehört, wichtig?«
Ich nickte.
»Es wird schwer sein, aber er sollte es melden, damit diesem Kriminellen das Handwerk gelegt wird. Wenn der nämlich merkt, dass dein Freund nicht mehr wiederkommt, wird er sich vielleicht auf die Suche nach einem neuen Opfer machen, um es für seine Zwecke auszunutzen.«
Auch daran hatte ich schon gedacht, aber ich hatte es Nico gegenüber noch nicht angesprochen.
Mein Vater seufzte, lehnte sich nach vorn, um sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien abzustützen, und sah mich fast besorgt an.
»Wie steht es um Nicos mentalen Zustand?«
Ich wollte sofort abstreiten, dass es Nico war, über den wir redeten, doch ein Blick ins Gesicht meines Vaters und ich ließ es bleiben.
Nun war es an mir zu seufzen. »Er tut zwar so, als wäre alles in Ordnung, aber ...«
»... so ist es nicht«, ergänzte mein Vater erneut. »Ja, ich habe schon genug derartige Opfer gehabt, um zu wissen, dass er seelische Wunden davontragen hat, selbst wenn er dem Ganzen zugestimmt hat.«
Ich nickte nur.
»Hat er es dir von sich auf anvertraut?«, fragte Dad.
»Na ja, erst nicht, aber dann ... es war kompliziert.«
»Es hat auch etwas mit Kelvin zutun, richtig?«,
»Deine Beobachtungsgabe ist beeindruckend, aber ich werde dir nichts dazu sagen.«
»Das ist in Ordnung. Vermutlich will ich es auch gar nicht wissen.« Er lehnte sich wieder zurück. »Also hat Nico dir alles erzählt und du ... ihr seid noch ...«, kämpfte dieses Mal mein Vater mit Worten.
»Wir sind zusammen. Es war ein Schock und ich habe lange und viel darüber nachgedacht, aber ich liebe ihn. Auch wenn du es vielleicht nicht nachvollziehen kannst.«
Mein Vater nickte. »Du hast recht, ich kann es nicht nachvollziehen, aber ich habe dir schon damals gesagt, dass ich es akzeptiere. Ich muss es nicht verstehen, um euch Glück zu wünschen, denn ich möchte, dass du glücklich bist. Und wenn dieser Junge dich glücklich macht, dann werde ich ihn in der Familie willkommen heißen. Ich werde sogar so weit gehen, dass ich mit meinem Chef über die ganze Sache reden werde, ohne Nicos Namen hineinzuziehen. Vielleicht gibt es einen Weg, den Clubbetreiber dranzukriegen, ohne Nico ins Scheinwerferlicht zu ziehen. Wie gesagt, ich kann nur nichts versprechen.«
Gerührt und erleichtert nickte ich.
»Danke Dad. Ich würde aber gern erst mit Nico darüber reden, bevor du mit deinem Chef sprichst.«
»Mach das und gib mir Bescheid, sobald dein Freund eine Entscheidung getroffen hat. Ich könnte gleich heute Nachmittag mit meinem Chef reden.«
»Okay, ich geb dir Bescheid.«
Ich erhob mich und schaute etwas unschlüssig zu meinem Vater. Er war nicht so der Umarmungstyp, aber ich hätte ihn gern umarmt.
»Danke, Dad, wirklich!«
»Kein Problem, mein Sohn. Ich bin übrigens stolz auf dich. Du bist definitiv nicht mehr der kleine Junge, der nur Unsinn im Kopf hatte.«
Mein rechter Mundwinkel hob sich zu einem halben Lächeln.
»Nein, der bin ich nicht mehr.«

Liebes Tagebuch ... (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt