~~ Dylan ~~

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Ich rührte die Kürbissuppe noch einmal um, bevor ich einen Löffel zum Kosten nahm.
»Perfekt«, flüsterte ich in meine Küche hinein, bevor ich mir einen Teller aus dem Schrank nahm und ihn mit der köstlichen Suppe füllte. Es war schon eine Weile her, seit ich Kürbissuppe gegessen hatte. Dazu kam, dass ich heute Morgen kein Frühstück gegessen und somit echt Hunger hatte.
Ich hatte vielleicht gerade einmal fünf Löffel gegessen, als mein Handy klingelte. Mit einem Seufzen legte ich den Löffel weg und griff nach meinem Handy. Es war Sarah.
»Hallo, Sarah, was gibt's?«
»Dylan, es ist so weit«, kam sie ohne Begrüßung gleich zum Punkt und ich schloss die Augen.
»Okay, ich komme.«
So viel zu meinem Mittag, aber Roger ist wichtiger.
Ich warf einen Blick auf die Uhrzeit, bevor ich mir eilig Schuhe und Jacke überzog, mir Handy und Schlüssel schnappte und losrannte, um die nächste Bahn nach Nashville zu erwischen. Ich hatte auch tatsächlich Glück und kam noch rechtzeitig.
Mit einem Seufzen lehnte ich mich gegen den Sitz und schloss die Augen. Es war so weit. Roger hatte sein Leben gelebt und war nun bereit zu gehen. So weh es mir auch tat, für ihn war es eine Erlösung.
Die Fahrt kam mir unendlich vor, weil ich schnell dort sein wollte. Ich hoffte, dass ich nicht zu spät kam, denn ich wollte mich von ihm verabschieden. Meinem besten tierischen Freund seit Kindertagen.
»Hey«, begrüßte mich Sarah mit trauriger Miene und umarmte mich auch gleich.
»Ist er schon ...?«
»Nein, aber es wird nicht mehr lange dauern. Er ist hinten auf seinem Platz.«
Ich nickte und genoss noch einen Moment ihre Umarmung, bevor wir uns voneinander lösten und nach hinten gingen.
Roger hob nicht einmal mehr den Kopf, als ich den Raum betrat. Er lag ganz ruhig auf seiner Decke in der Ecke des Raumes. Mir brach es beinah das Herz, als ich mich neben ihn hockte, ihn streichelte, doch er kaum darauf reagierte.
»Hey, mein alter Freund. Ist es nun so weit?«, fragte ich leise. »Er ist seit gestern Abend so und als er heute früh nicht einmal mehr versucht hat, etwas zu fressen, wurde mir klar, dass es nicht mehr lange dauern wird. Doch er hat sehr lang gelebt.«
Ich nickte nur, blinzelte gegen die Tränen an, als ich mich hinsetzte und seinen Kopf auf meinem Bein ablegte.
»Ich geh wieder vor und lass euch eine Weile allein.«
»Danke.«
Leise verließ sie das Zimmer, während ich Roger durchs Nackenfell strich.
»Ich kann kaum glauben, dass du mich verlässt, mein alter Freund. Ich werde es vermissen, mit dir in den Park zu gehen. Du warst der beste Freund, den ich je hatte. Und du warst ein großartiger Hund, Roger!«
Roger zuckte nicht einmal mit den Ohren und selbst sein Blick war müde.
Ich biss mir auf die Lippen, um die Trauer zurückzuhalten, bevor ich begann, mich an all unsere gemeinsamen Abenteuer und Geschichten zu erinnern.
Irgendwann kam Sarah zurück und setzte sich neben mich.
»Alles okay?«, fragte sie leise und ich schüttelte den Kopf. Es war eine blöde Frage, denn natürlich war nicht alles okay.
Seufzend legte sie einen Arm um mich und ihren Kopf auf meine Schulter. »Durch dich hatte er ein tolles Leben, trotz dessen, dass er nur das Tierheim als Zuhause kannte.«
»Er wird mir schrecklich fehlen«, gab ich flüsternd zu.
Darauf schien Sarah nicht zu wissen, was sie sagen sollte, denn sie zog mich nur ein Stück enger an sich.
Gemeinsam saßen wir also dort und begleiteten die letzten Minuten unseres Freundes.
Ein erstickter Laut drang aus meiner Kehle, als er schließlich ein letztes Mal einschlief. Sarah strich mir beruhigend über den Rücken, als mir still die Tränen über die Wangen liefen. Ich hatte gewusst, dass es einer dieser Tage so weit sein würde und doch war ich nicht vorbereitet auf die Trauer, die mich überschwemmte.
»Ich liebe dich, Roger, und wünsche dir die besten Leckerlies im Hundeparadies.«
Als vorn die Türglocke ging, war Sarah gezwungen, nachzuschauen, während ich weiter durch Rogers Fell strich.
»Toffee, warte, bleib stehen!«, ertönte kurz darauf eine vertraute Stimme und ich sah in dem Moment auf, als Toffee ins Zimmer gerannt kam, gefolgt von Nico.
Als er mich sah, blieb er abrupt stehen, bevor sein Blick auf Roger fiel. Ohne auf Toffee zu achten, der schwanzwedelnd um seine Aufmerksamkeit bettelte, kam er zu mir hinüber.
»Hey«, meinte er leise, als er sich neben mich setzte.
»Hey.«
»Tut mir leid ... um deinen Freund«, sagte Nico zögernd und ich lächelte, trotz der Tränen, die mir über die Wangen liefen.
»Er hatte ein langes Leben.«
Mit dem Handrücken wischte ich mir die Tränen von den Wangen, bevor ich seinen besorgten Blick erwiderte.
»Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen.«
Bevor er etwas erwidern konnte, stand Toffee vor ihm und stupste mit seiner Schnauze gegen Nicos Wange.
»Nicht jetzt, Toffee«, sagte er nur und schob den Alopekis von sich, was der Kleine nicht verstand. Wimmernd versuchte er es erneut, bevor er auf Nicos Beine kletterte und mir seine Schnauze entgegenhielt.
Ich lachte leise, als seine Zunge hervorschnellte und er mir über die Wange leckte.
»Toffee, lass das!«, schimpfte Nico und zog den Hund etwas zurück.
»Schon okay, er will mich sicherlich nur aufheitern«, erklärte ich, als Toffee verwirrt zwischen uns hin und herschaute, bevor er sich auf Nicos Beine legte. Scheinbar genauso traurig, wie ich mich fühlte.
»Er spürt meine Trauer«, sagte ich leise, bevor ich die Hand hob und Toffee über den Kopf fuhr. Ausnahmsweise schien er die Berührung zu akzeptieren.
Ich spürte Nicos Blick von der Seite, als ich die Hand wieder zurückzog. Dann hielt er mir seine hin. Ich musste nicht lange überlegen, gab ihm meine Hand und verschränkte meine Finger mit seinen, bevor ich meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte.
»Erzähl mir von ihm«, bat mich Nico leise und ich erzählte ihm einige der Abenteuer, die ich mit Roger erlebt hatte. Ich lachte und weinte und lächelte bei den ganzen Erinnerungen. Es tat gut, Nico davon zu erzählen, und er hörte aufmerksam zu, lachte mit mir oder drückte meine Hand, wenn mich wieder eine Welle der Trauer überkam.
Ich wusste nicht, wie lange wir dort saßen, doch es war sicher eine Weile, bis Sarah wieder zu uns kam.
»Bist du bereit?«, fragte sie und ich nickte, obwohl ich mich nicht wirklich bereit fühlte.
Zusammen mit Nicos Hilfe brachte ich Roger in seine Decke gewickelt hinaus in den großen Garten des Tierheims zu dem abgegrenzten Bereich, wo wir alle unsere Tiere begruben. Es schmückten schon einige kleine, selbstgemachte Kreuze oder Grabsteine den kleinen Friedhof. Das Loch für Roger war tatsächlich schon vorbereitet, frisch ausgegraben und ich vermutete stark, dass Sarahs Mann Eric dahintersteckte. Er war kein Tierarzt, sondern Anwalt, doch er half immer wieder mit aus im Tierheim, wenn er konnte.
Vorsichtig legten wir Roger in das Loch hinein, bevor sich Sarah und ich noch einmal mit einer kurzen Rede von ihm verabschiedeten. Auch ihr war die Trauer deutlich anzusehen, auch wenn sie gefasst wirkte. Für sie war der Abschied einer ihrer Schützlinge keine Seltenheit, doch auch für sie war Roger etwas Besonderes, sodass auch ihr einige Tränen über die Wangen rollten. Und während ihr Mann dazukam und sie in seine Arme schloss, spürte ich Nicos um meine Hüfte und lehnte mich dankbar gegen ihn.
So standen wir noch einige Minuten trauernd am Grab, bevor Eric begann, das Loch zu füllen. Nach kurzem Zögern folgte ich seinem Beispiel und Nico meine und gemeinsam füllten wir das Loch schnell wieder mit Erde.
Sarah ging für ein paar Minuten rein, bevor sie mit einem kleinen Grabstein zurückkam.
»Den habe ich vor ein paar Tagen anfertigen lassen.«
Es war ein kleiner Stein, wo Rogers Name eingraviert war, und darüber war ein Bild von mir und ihm eingefasst.
Wieder brannte es in meinen Augen. »Danke, Sarah.«
Sie nickte nur, während ich eine günstige Stelle für den Stein heraussuchte und ihn ein Stück weit in die Erde einließ.
Auf Wiedersehen, alter Freund!

Liebes Tagebuch ... (bxb)Where stories live. Discover now