~~ Dylan ~~

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Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nico auf unsere Hände hinabschaute und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Da sind wir«, verkündete ich, als wir vor dem Mehrfamilienhaus hielten, in dem ich meine Wohnung hatte.
Ich kramte meinen Schlüssel aus der Hosentasche, schloss die Haustür auf, bevor ich Nico in den zweiten Stock brachte. Sein Blick wanderte sofort neugierig umher, als ich ihn in meine Wohnung ließ.
»Schau dich ruhig um. Möchtest du etwas trinken? Ich habe frisch gepressten Orangensaft da«, bot ich an.
»Gern, danke.«
Während ich in meine kleine Küche verschwand, nahm er mein Angebot an und schaute sich um. Meine Wohnung war in etwa so groß wie die seiner Familie, nur hatte ich ein Schlafzimmer weniger, weshalb die anderen Räume dadurch etwas größer waren.
»Lügner!«, hörte ich ihn da plötzlich rufen.
»Was?«
Er kam zu mir in die Küche und grinste. »Ich habe noch nie ein aufgeräumteres Zimmer gesehen, noch sehe ich auch nur einen türkisen Gegenstand«, erklärte er und ich lachte, als ich verstand, was er meinte.
»Ich wollte nur, dass du dich besser fühlst«, verteidigte ich mich, bevor ich ihn ein Glas Orangensaft reichte, »Aber ja, das mit dem Türkis – da hab ich wohl gelogen, um dich zu beeindrucken.«
Nico schüttelte nur den Kopf, bevor er auf den Saft hinabschaute.
»Hast du den selbst gepresst?«
»Natürlich! Wer sonst? Reich genug für eine Haushälterin bin ich dann doch nicht.«
Nico lachte, bevor er einen Schluck nahm. »Schmeckt gut.«
»Also Jurassic Park?«
Nico nickte enthusiastisch.
»Couch oder Bett?«
»Du hast gleich zwei Fernseher?«
»Nein, ich schlepp ihn hin und her – je nachdem, wo ich ihn gerade brauche. Na ja, eigentlich steht er fast nur im Schlafzimmer, denn das Bett ist einfach gemütlicher.«
»Dann lassen wir ihn da stehen.«
»Okay, geh ruhig schonmal vor, ich bereite noch einen Snack vor.«
Als er die Küche verließ, holte ich eine Tüte Popcorn aus dem Schrank, bevor ich sie in die Mikrowelle steckte und eine große Schüssel vorbereitete.
Mit dem Popcorn, einem Kühlpack und nach einem kurzen Stopp im Bad einem angefeuchteten Waschlappen bewaffnet, betrat ich das Schlafzimmer, wo Nico sich die zahlreichen Bilder an meiner Wand anschaute. Bilder von mir mit Familie, Freunden und Tieren aus dem Tierheim. Denen würde ich hoffentlich auch bald eins oder mehr von Nico und mir hinzufügen. Seinen sowas-wie-einen-Korb im Zug hatte wehgetan, doch das spornte mich nur an. Seit unserem ersten Ausflug hatte sich mein Ziel von "sein Freund werden" zu "sein fester Freund werden" geändert.
»Wer ist das?«, fragte Nico, ohne mich anzuschauen, und zeigte auf ein Foto von mir und Asher.
»Das ist mein bester Freund Asher. Wir sind unzertrennlich seit der Vorschule. Leider studiert er in LA«, erklärte ich, als ich das Popcorn abstellte, bevor ich Nico am Arm nahm und dazu brachte, sich aufs Bett zu setzen.
»Was hast du vor?«, fragte er, als er den Waschlappen sah.
»Deine blutige Lippe säubern. Halt still.«
Obwohl ich sanft an die Sache heranging, verzog Nico trotzdem das Gesicht, als ich mit dem Lappen das angetrocknete Blut rund um seine aufgeplatzte Lippe entfernte.
»So, fertig, sieht schon besser aus. Wie geht es deinem Kiefer?«
»Tut noch etwas weh.«
»Ist auch etwas geschwollen. Ich habe dir ein Kühlpack mitgepackt.«
»Danke.«
»Kein Problem«, meinte ich mit einem Lächeln, »Das Beste ist allerdings das Popcorn.«
Er lächelte zurück. »Dazu sage ich sicherlich nicht nein.«
Wir machten es uns nebeneinander bequem auf dem Bett. Während ich den Netflix öffnete und den richtigen Film heraussuchte, begann Nico bereits damit, das Popcorn zu essen.
»Weißt du noch, wo du eingeschlafen bist.«
»Nein, nicht wirklich.«
»Ich spul einfach vor und du sagst Bescheid, wenn du was noch nicht gesehen hast.«
Popcorn essend schauten wir den Rest des Films, bevor wir den dritten Teil starteten. Wir hatten etwa die Hälfte hinter uns, als Nico sich an mich lehnte und seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte.
»Schlaf mir nicht wieder mitten im Film ein.«
»Keine Angst, heute bin ich nicht so müde. Außerdem ist es noch nicht einmal Abend.«
Wir schauten ein paar Sekunden weiter, bevor er sich abrupt von mir löste.
»Hast du das gesagt, damit ich mich nicht ...«, begann er, doch vollendete den Satz nicht. Allerdings konnte ich mir denken, was er meinte.
»Nein, natürlich nicht. Komm wieder her«, sagte ich nur und breitete den Arm zur Seite aus, damit er sich wieder an mich kuscheln konnte. Ich legte meinen Arm um seinen Oberkörper.
Als auch der dritte Film zu Ende ging, warf ich einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits Zeit zum Abendessen war.
»Hey, hast du Lust, was zu bestellen?«, fragte ich Nico, der mittlerweile fast genauso an mich gekuschelt war, wie wir heute Morgen aufgewacht waren.
»Gern, an was hast du gedacht?«
»Keine Ahnung, wie wäre es mit Chipotle?«, fragte ich, während ich auf meinem Handy nach der Speisekarte suchte.
Wir suchten uns beide etwas aus, bevor ich es online bestellte, bevor ich den ersten Teil von Jurassic World heraussuchte, denn Nico war ganz verrückt nach den Dinos.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bevor es klingelte. Nico gab protestierende Geräusche von sich, als ich den Film stoppte und mich von ihm löste, um unser Essen entgegenzunehmen.
»Wie viel bekommst du von mir?«, fragte mich Nico, als er in die Küche kam und sich an meinem kleinen Küchentisch niederließ.
»Einen Kuss oder vielleicht auch zwei.«
»Nein, ich mein es ernst.«
»Ich auch«, erwiderte ich leise, als ich sein Essen vor ihn stellte.
Er schaute mich einen langen Moment nur an, bevor er mit einer Hand nach meinem Nacken griff und mich noch ein Stück weiter zu sich herunterzog, um mir einen leidenschaftlich langen Kuss zu geben.
»Mhh, ich sollte öfter fürs Essen bezahlen«, meinte ich, als er sich wieder von mir löste.
»Kommt gar nicht in Frage, das nächste Mal bin ich wieder dran.«
»Solange ich dich ebenfalls mit einem Kuss entschädigen darf.«
Er grinste. »Klar.«
Ich drückte ihm noch einen kurzen weiteren Kuss auf die Lippen, bevor ich mich zurückzog und mich mit meinem eigenen Essen am Tisch niederließ.
»Lass es dir schmecken!«
»Du dir auch.«
Nico schien wie ich einen ziemlichen Hunger zu haben, weshalb wir nicht viel sprachen, während wir aßen.
»Ich habe jetzt doch etwas Schiss wegen morgen«, gab Nico wie aus dem Nichts plötzlich zu, den Blick auf sein fast leeres Essen gerichtet.
»Soll ich mitkommen?«, fragte ich sofort.
»Was? In die Schule?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar, ich geb mich einfach als Austauschschüler aus oder so.«
»Ach ja? Austauschschüler aus welchem Land denn?«
»Keine Ahnung – Frankreich?«
»Kannst du denn Französisch?«
»Bonjour, ca va?«
»War das alles?«
»Voulez-vous couchez avec moi?«
Nico zog die Augenbrauen hoch. »Das willst du sagen? Weißt du überhaupt, was das heißt?«
»Nope, ich kenne es nur aus diesem Lied.«
Er lachte. »Dann solltest du es auf jeden Fall sagen. Am besten zur Französischlehrerin!«
»Wieso? Was bedeutet es denn?«
»Willst du mit mir schlafen?«
Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass das die Übersetzung war und keine ernstgemeinte Frage.
»Oh. Dann bleibe ich wohl lieber bei baguette, croissant et Paris.«
Wieder lachte er. »Du würdest einen grauenvollen französischen Austauschschüler abgeben.«
»Nun, ich bin gut im French Kiss.«
»Ach wirklich? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«
Ich stützte mich auf meine Unterarme, um mich ihm entgegen zu lehnen. »Sehen oder spüren?«
Einen langen Moment starrten wir einander nur an, bis Nico den Blick senkte. »Wir sollten weiter anschauen.«
Damit erhob er sich und stellte seinen Teller in die Spüle. Ich erhob mich ebenfalls, trat auf ihn zu und packte ihn an der Hüfte, um ihn zu mir herumzudrehen. Und kaum waren sie erreichbar, drückte ich meine Lippen auf seinen. Fest und fordernd, bevor meine Zunge um Einlass bat und diesen auch prompt bekam. Während ich ihn mit meinem Körper gegen die Küchenzeile drückte, hielt er sich fast schon Halt suchend an meinen Schultern fest.
Und Gott, es war himmlisch! Er schmeckte natürlich nach dem Essen, das wir gegessen hatten, doch das störte mich gerade reichlich wenig, stattdessen genoss ich seine Zunge an meiner, seine Finger, die sich leicht in mein T-Shirt krallten und seine nackte Haut, die meine Fingerspitzen an seiner Hüfte fanden.
Ich wollte gar nicht mehr aufhören, doch Nico drückte mich von sich und wir schnappten beide nach Luft.
»Okay ... ich ... glaub dir«, sagte Nico außer Atem, während ich meine Stirn an seine legte. Ein stolzes Grinsen zierte meine Lippen.
»Geht doch. Jetzt lass uns weiter anschauen«, sagte ich und ließ ihn einfach stehen.
»Gemein«, hörte ich ihn noch murmeln, als ich die Küche verließ und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Liebes Tagebuch ... (bxb)Where stories live. Discover now