~~ Nico ~~

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»Mom, wir sind wieder daheim!«, rief Finn, kaum, dass ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. Nach unserem Tierheimbesuch waren wir noch Eis essen gegangen, bevor wir fürs Abendessen eingekauft hatten. Spaghetti Bolognese. Natürlich, denn das war Finns absolutes Lieblingsessen im Moment.
»Wie war es im Tierheim?«, fragte Mom zurück, als sie aus ihrem Zimmer in den Flur trat.
»Super! Ich habe wieder mit Kitty, Molly und Zipper gespielt!«, berichtete mein Bruder aufgeregt und erzählte ihr jedes noch so kleinste Detail, während ich unsere Einkäufe auspackte und alles fürs Abendessen vorbereitete.
»Soll ich dir helfen?«, fragte Mom ein paar Minuten später, doch ich schüttelte den Kopf.
»Nein, ich mach das schon, Mom, danke. Spiel ruhig noch eine Runde mit Finn.«
»Okay, danke, mein Schatz.« Damit gab sie mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie mit Finn ins Wohnzimmer ging.
Ich setzte in aller Ruhe die Spaghetti an und briet das Hackfleisch. Noch etwas Tomatensoße, ein paar frische Tomaten und ein paar Gewürze dazu, und schon war das Gericht fertig.
Ich deckte noch schnell den Tisch, bevor ich die anderen beiden rief und wir die Spaghetti verspeisten. Finn aß beinahe so viel wie Mom und ich zusammen.
Als ich nach dem Abendbrot den Tisch abräumen wollte, hielt mich Mom allerdings auf.
»Das mache ich. Geh dich ausruhen.«
Ich wusste, warum sie das wollte, schließlich hatte ich mich heute früh selbst im Spiegel gesehen. Meine Augenringe waren allerdings kein Wunder, so wenig, wie ich die letzten Tage geschlafen hatte.
Während Mom Finn als kleinen Helfer heranzog, entschied ich mich für eine Dusche. Nachdem ich mir Wechselsachen geholt hatte, nahm ich eine lange, warme Dusche. Doch während ich so unter der Dusche stand, konnte ich meine Gedanken nicht länger unterdrücken.
Mit einem Seufzen legte ich die Stirn gegen die kühle Duschwand. Dylan heute zu sehen, hatte wirklich wehgetan. Nachdem ich ihm am Sonntag mehrfach geschrieben hatte, hatte er mich gebeten, ihm Zeit zu geben, und genau das hatte ich getan. Ich hatte jeden Tag gehofft, dass er mir schreiben würde, doch das hatte er nicht. Und ich hatte es als Antwort genommen. Er wollte mich nicht mehr sehen. Es war nicht so, dass ich das nicht verstand, denn an seiner Stelle ... ich wüsste nicht, ob ich anders gehandelt hätte. Aber es tat weh. So sehr.
Ich duschte zu Ende, bevor ich zurück in mein Zimmer ging, wo zu meiner Überraschung Finn in meinem Bett auf mich wartete.
»Finn, was machst du hier?«, fragte ich.
»Ich möchte heute bei dir schlafen.«
Ich öffnete den Mund, um abzulehnen, doch schloss ihn dann wieder. Das war keine schlechte Idee. Vielleicht konnte mich Finn genug ablenken, damit ich endlich mal etwas mehr Schlaf bekam. Vielleicht konnte er mich genug von meinen Gedanken ablenken.
»Okay, Zwerg, komm her.«
Ich kletterte zu ihm ins Bett und er kuschelte sich sofort an mich. Entspannt atmete ich durch und spürte, wie der Schlafmangel der letzten Tage sich deutlich bemerkbar machte.
»Erzählst du mir noch eine Geschichte«, fragte Finn leise.
»Nur eine Kurze, in Ordnung?«
Finn nickte und ich erzählte ihm eine neue Robin Hood Geschichte, wie ich es schon sein ganzes Leben lang machte.
Ich wusste nicht, wer von uns beiden als Erster einschlief.

Mein Wecker klingelte und ich schlug doch tatsächlich nach einer durchschlafenen Nacht die Augen auf. Ein Gewicht auf meiner Brust ließ mich nach unten schauen und ich erblickte Finn, der einmal quer über meinem Oberkörper lag.
Ich lachte leise. Wie konnte das nur bequem sein?
»Finn, aufwachen, wir müssen aufstehen.«
Finn grummelte nur unzufrieden, sodass ich ihn einfach von mir herunterschob, um aufzustehen. Mein Bruder musste nicht so zeitig los wie ich, deshalb konnte er gern noch ein paar Minuten schlafen.
Während ich mich fertigmachte, schlief Finn also noch eine Weile weiter, bis meine Mom aufstand, um Finn für den Kindergarten vorzubereiten.

»Hey Nico, endlich mal geschlafen?«, begrüßte mich Peter, als ich an der Schule ankam, vor der er auf mich wartete. Seit meinem Outing machte er das fast jeden Tag. Obwohl die Neuigkeit schon lange nicht mehr Gesprächsthema Nummer eins war und es die meisten gar nicht mehr interessierte, gab es doch auch welche, die sich cooler fühlten, wenn sie auf dem Schulschwulen herumhackten. Deshalb blieb Peter fast immer bei meiner Seite, um diese Vollidioten fernzuhalten. Das hätte ich auch selbst geschafft, aber es tat gut, nicht allein durch die Flure laufen zu müssen. Was Justin betraf ... nun, der hielt sich seit dem Vorfall vor der Schule größtenteils fern von mir. Vermutlich um die Gerüchte nicht zu bestärken, dass zwischen uns mal etwas lief. Denn er versuchte noch immer alles, um nicht aufzufliegen.
»Ja, ich konnte heute Nacht besser schlafen.«
Peter grinste. »Wie kommt's? Versöhnungssex?«
Ich hatte Peter erzählt, dass Dylan und ich uns gestritten hatten, als ich seine Neugier nicht mehr ausgehalten hatte, aber ich hatte ihm keine weiteren Infos gegeben.
»Nein.«
»Ihr redet also immer noch nicht miteinander?«
»Wir haben uns kurz gesehen gestern, aber nein, wir reden nicht wirklich.«
Peter seufzte. »Mann, Nico, was immer es ist, kommt drüber hinweg und habt Versöhnungssex.«
Wenn es so einfach wäre ...
»Ich will nicht weiter darüber reden, okay?«
Peter nickte, bevor er das Thema wechselte. »Hat dir Cynthia gestern Abend noch geschrieben?«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Cynthia? Wieso sollte sie mir schreiben?«
»Sie hat mich gestern nach deiner Nummer gefragt, weil sie angeblich irgendwas mit dir klären wollte.«
Ich griff in meine Tasche, nur um festzustellen, dass ich mein Handy daheim vergessen hatte.
»Verdammt, hab mein Handy vergessen. Ehrlich gesagt, keine Ahnung, ob sie mir geschrieben hat. Habe mein Handy gestern Abend gar nicht nochmal in der Hand gehabt.«
Er zuckte nur mit der Schulter. »Wenn es wichtig ist, kann sie dich auch einfach ansprechen.«
Als wir das Zimmer für die erste Stunde erreichten, ließen wir uns auf unseren Einzelbänken nieder. Keine zwei Minuten später klingelte es zum Unterricht. Während der Lehrer begann, uns irgendwas über Enzyme zu erklären, kramte ich mein Tagebuch aus meinem Rucksack.
Ich hatte dem Buch schon alles erzählt. Alles bis aufs letzte noch so peinlichste Detail. Das hatte auch ganz gutgetan. Mich auskotzen zu können. Zwar konnte das Buch nicht antworten, aber genauso wenig konnte es urteilen oder Vorwürfe machen. Zum Glück, denn das konnte ich gerade nicht gebrauchen. Vorwürfe machte ich mir selbst schon mehr als genug.
Ich schlug die nächste freie Seite auf und nahm mir meinen Kuli zur Hand.

Morgen,
gestern war ich mit Finn im Tierheim, weil er seit Tagen darum gebettelt hatte. Und wie es das Schicksal so wollte, war Dylan auch dort. Es war eine superunangenehme Situation! Ich bin sofort gegangen, weil ich es kaum ertragen konnte, ihn anzusehen. Denn ich wollte mich einfach nur in seine Arme werfen. Ihn küssen. Aber so, wie er mich angeschaut hat

Ich konnte nicht weiterschreiben. Sein Blick war nicht voller Ekel gewesen, aber ich war mir sicher, dass ich etwas in die Richtung in ihnen gesehen und das hatte wirklich wehgetan. Und mit jedem der vergangenen Tage war meine Hoffnung mehr und mehr geschwunden.
Ich schluckte.

Es tut wirklich weh, begann ich erneut, aber konnte nicht weiterschreiben, als mir Tränen in die Augen stiegen. Ich konnte sie erfolgreich zurückhalten, aber als die Worte vor meinen Augen verschwammen, schlug ich das Tagebuch zu und steckte es wieder zurück in den Rucksack.


Liebes Tagebuch ... (bxb)Where stories live. Discover now