26.02.18, 07:45 Uhr

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Montag, 26. Februar 2018, 07:45 Uhr.

»Wir wissen alle, was du durchgemacht hast, Liebes. Aber wir wissen auch alle, dass du weitermachen musst«, bekomme ich die übliche Besänftigungsrede aufgetischt.

Ich sitze bei der Schulpsychologin, sie in einem bequemen roten Sessel, ich auf einem weißen Gästestuhl. Zwischen uns ein Tisch mit akribisch geordneten Ordnern, Akten, Büroklammern.
Geschichten von hunderten Schülern, die sie kennt, dokumentiert, durchwühlt und analysiert. Die sie sortiert: schwere Fälle, leichte Fälle; Altes, Neues; Pubertät und Ach-du-Scheiße.

Ich starre sie emotionslos an.
Diese Frau, die meint, mich verstehen zu können, wenn sie mich mit ihren rehbraunen Augen anlächelt.
Doch sie kann mich nicht verstehen.
Nicht einmal meine eigene Mutter kann das.

Ich schnaube. Reagiere. Schnappe nach ihr, treffe wunde Punkte, während ich meine eigenen versiegele. In meine Wunden streut schließlich niemand Salz.

»Nein. Sie wissen nichts. Sie wissen nicht, was ich immer noch durchmache. Was ich mein Leben lang durchmachen werde

Der Stuhl quietscht, als ich ihn über den Parkettboden schabe und gehe.
Mit einem Knall ist die Tür zu. Das habe ich von meiner Mutter: Punkte setzen, wo Semikola hingehören.

Ich vergrabe meine Hände tief in meinen Jackentaschen.
Na und?
Komm ich halt zu spät, weil ich nächtelang auf dem Friedhof hocke. Ich scheiß drauf. Wenn ich sitzen bleibe, dann bleibe ich sitzen, wenn ich von der Schule fliege, gehe ich bereitwillig.

Es ist mir egal. Es ist mir so dermaßen egal. Seit Jacob weg ist, zählt nichts mehr.
Meine Welt ist zusammengestürzt. Sie ist irreparabel in sich zusammengefallen.
Warum sollte ich also versuchen, Löcher zu flicken, wo immer Lücken bleiben werden?
Lücken, die nur Jacob zu füllen vermag.

Ich gehe zurück in den Klassenraum. Mathe. Erstaunte Blicke empfangen mich. Ich werde oft zur Psychologin geschickt, oder zum Direktor, oder einfach nur vor die Tür.

Zurückkehren kann ich nicht gut.
Nach vorn gehen auch nicht.
Aber weglaufen. Das ist eine meiner Stärken. Sonst hätte ich nicht die Schule gewechselt, sondern wäre geblieben und hätte zu meiner Schandtat gestanden. Doch ich bin ein Schisser. Eine Weglaufende.
Daher haue ich meistens ab.

Heute jedoch nicht, warum auch immer. Stattdessen setze ich mich kommentarlos auf meinen Platz am Fenster und starre nach draußen.
Dunkle Nebelschwaden hüllen die Schaukel auf dem Schulhof ein. Der Tag bricht erst langsam an. Die Sonne muss erst die Wolken verdrängen, ehe ihre Strahlen den Boden küssen.

Metaphern. Keine linearen Gleichungssysteme. In meinem Kopf ist alles, nur nicht das, was ich brauche.

Und überall ist Jacob. Jener Tag. Jener Abend. Jene Nacht. Der Augenblick, als er wegen mir sein Leben verlor. Die Chance, zu leben.
Ich habe sie ihm genommen. Unwiderruflich.

Und jetzt soll ich weiterleben. Ihn abhaken. Weitermachen, für ihn leben.
Aber das ist Quatsch. Das kann ich nicht.
Er hätte sein Leben selbst leben sollen, verdammt nochmal!
Jacob hätte es verdient.
Im Gegensatz zu mir.

Kariertes Papier auf meinem Platz. Ein Zettelchen. Drei einfache Worte voller Wahrheit.
Ich bin schuld.

so grün wie seine AugenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin