06.03.18, 11:20 Uhr

22 8 21
                                    

Dienstag, 06. März 2018, 11:20 Uhr.

Scheiße, was tue ich hier? Mein Plan war klipp und klar: Grenzen ziehen und nicht hier her kommen, Mums Bitte ausschlagen.

Und jetzt? Jetzt sitze ich hier im Wartezimmer der Schulpsychologin, warte und warte und warte.
Warte jetzt und warte immer, unendliches Warten auf Jacob.

Die Tür öffnet sich, und da steht die Psychologin, lächelt, rehbraune Augen, rosa Lippen, hohe Kieferknochen, Lachfalten, ein gelbgeblümtes Kleid.

Ich will sie anschreien. So gerne. Schreien und brüllen und nie wieder damit aufhören, bis irgendjemand die Last der Schuld von meinen Schultern nimmt.

»Phia«, begrüßt die Psychologin mich und ich nicke mit zusammengekniffenen Lippen.
50 Minuten zu schweigen wird ein leichtes sein für mich, die in einem stummen Zuhause erstickt.

»Ich finde es gut, dass du hier bist, Liebes. Ich finde sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht, ist sehr wichtig.«
Ich ringe mich zu einem Nicken durch, mehr bekommt diese Trulla nicht.
»Du sprichst nicht gern darüber?«
Ich bin mir unsicher, ob dies eine Frage oder eine Feststellung sein soll. Also schüttle ich den Kopf.
»Ich hasse es.«
»Und hasst du auch Jacob?«
»Nein. Aber mich und Mum und mein ganzes Leben.«

Am Ende der Sitzung gibt sie mir ein Buch. Moosgrün. Wie Jacobs Augen es waren. Ich könnte heulen. Die Erinnerung an seine Augen schwebt zwischen meinen Gehirnzellen umher, ein Bild, das tausende Bilder zu Folge hat. Wie sie funkeln, wenn er lacht; wie sie schimmern, nachdem er geweint hat; wie sich verengen, wenn er sauer und zugleich amüsiert ist.

Nein. War. Wie sie funkelten, schimmerten, sich verengten.

Präteritum.

Nichts von all dem wird je wieder stattfinden.

Ich erschaudere, nehme alles nur noch gedämpft wahr.
Die Erinnerung an seinen Verlust läuft mir kalt über den Rücken und hüllt mein Leben in verwaschenes Grau.
Es ist, als wäre ein Leichentuch vom Himmel gefallen, welches sich über meinem Leben ausgebreitet und jeglichen Inhalt in endloser Dunkelheit versengt hat.

»Ich würde dich bitten aufzuschreiben, wodurch du die Schuld an seinem Unfall hast.«
Sie nickt mir ermutigend zu und ich nehme mit zittrigen Fingern das Notizbuch, das die Farbe seiner Augen hat. Irgendwo tief in meinem Inneren treffe ich dabei den Beschluss, mich auf die Psychologin einzulassen, ihre Aufgaben umzusetzen.

Ich bin Phia, schreibe ich an diesem Nachmittag auf die erste Seite.
Ich bin Phia, und habe vor zwei Jahren meinen Bruder umgebracht.
Ich bin Phia, und eine 16jährige Mörderin auf freiem Fuß.

so grün wie seine Augenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن