Selbstverherrlichung in Bildern

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An diesem Tag, wie jeden Tag. An jenem Tag, dem stillen Tag, verweilte Levin allein mit sich und erschuf sich den Tag. Doch führte ihn das Schicksal zu anderen Seelen, wie er so den Trost suchte, beschwor und doch nicht erwartete.

Alles war beisammen, was für seinen Genuss geboren schien. Er packte sich zusammen und ging. Hinaus, suchend in den Tag.

Wagemut führte ihn, in jene freien Gefilde, auf denen die Sterblichkeit des Winters ruhte. Die Kälte schlich sich in seine Glieder, die Schuhe harrten des Schnees und bald schon war er von innen heraus durchnässt, getränkt in eisiger Kälte. Er konnte bald schon nicht mehr sagen, welche mehr da drückte: Die Kälte des Winters oder seine eigene.

Abhalten wollte er sich nicht, nicht wieder. Nicht er sich selbst und auch nicht das Gewicht seiner müden Blicke, die den Anblick der Welt bitter trugen. Vor ihnen erstreckte sich das entfernte Lichtermeer, ein schimmernder Saal, entspringend der Dunkelheit umher. Die Nacht war erfroren, doch die fernen Lichter schienen ihn zu wärmen. Als könnte ihr Strahlen, schier zauberhafte Wärme geben, die seinen Körper durchdrang und ihn in Besitz nahm.

Schritt um Schritt näherte er sich dem Hügel, von dem aus er seinen Weg zu den Lichtern angetreten hatte. Dem tobenden Winterwind trotzend, näher zu den Lichtern. Der Sturm so mahnend, dass er den Schnee senkrecht an den Rand des Waldes trieb und die Bäume dort mit einem weißlichen Mantel schmückte. Eine weite, offene Fläche erstreckte sich nach dem Walde. Es war weniger ein dichter Wald, eher ein zartes Gehölz, wenn überhaupt, denn wie viele Bäume mussten beisammen sein, um wahrlich von einem Walde sprechen zu können?

In Levin' Vorstellung formten sie eine feine Reihe, drei oder vier an der Zahl. Ein Streifen natürlicher Pracht, eingebettet in die endlosen Weiten der aufrechten Natur. Doch die vom Menschen gestaltete Natur ringsum passte nicht zum Stückchen Wald, das wie ein Überbleibsel inmitten der Ackerfelder stand.

Dort, zu den Bäumen hin, als wäre es im Dunkeln unabdingbar gewesen, ließ Levin sich ruhen. Wie im Schutze des Schattens, ja, eher noch unter dem schützenden Dach der Baumkronen, als wollten sie ihm Flüstern und die Warnung offenbaren, nicht weiter zu den Lichtern hinzugehen. Nicht zu sehen, wie sie aus der Nähe aussahen?

Bevor er selbst schneebedeckt war, schritt Levin weiter, seine Spuren verwoben mit dem weißglänzenden Flor. Voran strebte er mit jener unstillbaren Sehnsucht nach dem Licht, das seine Augen beflügelte. Ein Abbild sollte mitgetragen, von dem schönen Augenblick erzählen. Die Kamera in seinen Händen erwachte zum Leben, bereit, das Antlitz einzufangen. Doch stets zeugt das Bild von einer anderen Welt als jene lebendige Erinnerung, in der die Fülle von Genuss sich präsentiert. Dann wird es zur Erinnerung, wenn das Foto davon erzählt. Wird das Foto zur Erinnerung, war er wahrlich dort?

Manchmal jedoch vermag das Foto, die Erinnerung wieder zu ordnen oder gar neuerlich erblühen zu lassen. Oftmals ist Vergangenes vergessen, wenn es nicht dokumentiert wurde. Stets offenbarte das Bild eine andere Welt, fernab der pulsierenden Erinnerung, in der sich Erfahrung und Gefühl verschmelzen. Das Foto ward zum Denkmal, während die wahre Begegnung im Stillen ruhte.

Fragend schaute er auf das Bildnis, als Zeuge einer vergänglichen Zeit. War er dort gewesen, inmitten jener verzauberten Szenerie? Wie oft verblasst Vergangenes im Nichts, wenn es nicht in Bildern verankert. Wie wenig verankert war Levin, ohne dem Bild und wie wenig Bild hatte er über die wahre Erinnerung. Gerade da wollte er noch das Abbild erschaffen, das Foto mittragen, als es ihm aber kam: Sobald er über ein Bild der Landschaft mit den schönen Lichterspiel da gesichert wusste, würde er sich faul nicht mehr daran erinnern. Wüsste er, dass sein Gedanke daran der einzige Speicher war, so wird er ihn hüten. Daran denken, den Tag nicht wieder füllen.

Nein. An diesem Tag, wie jeden Tag. An jenem Tag, dem stillen Tag, war es der Zwang, der ihn gebot, sich selbst zu widersprechen. Wie bereinigend es sich anfühlte, zu wissen, dass es falsch war und es trotzdem zu tun. Die Rechtfertigung des freien Willens bereit, da er ja wusste, wie dumm es war, nicht mehr so groß. War es ihm doch wichtig, wieder zu zeigen, wieder zu wissen, wie schön er es doch hatte. Welch Schönheit er da zeigen durfte. Wie musste er sich das jetzt gönnen. Sich selbst den Gefallen tun. Wer sollte es sonst für ihn tun?

Schon fühlte er sich wie der selbsternannte Fotograf der Schönheit, bereit, die Pracht einzufangen und auf seiner Ausstellung namens "Selbstverherrlichung in Bildern" zu präsentieren. Sein Foto, dieses verstörende Stück, das sich als Erinnerung ausgab, während es doch nur eine flämische Lüge war, der Betrug am eigenen Empfinden. Die Wirklichkeit war gedampft und zurück blieb der fade Abglanz eines gestellten Lächelns.

Das Foto wurde zur heutigen Erinnerung, während die wahre Erfahrung in den Untiefen versank. Oh, wie oft hatte er schon erlebt, dass Vergangenes in der Bedeutungslosigkeit verschwand, weil es in den Feed oder ein anderes öffentliches Album gepresst wurde. Oh, wie sehr hoffte er, dass heute, n diesem Tag, dem stillen Tag, etwas Neues damit geschehen würde. Aber vielleicht gelingt es ihm morgen.


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