Krankenhauspudding

13 5 3
                                    

Klaus war in vielerlei Beziehung ein friedfertiger Mensch. Ersprießlich versteckte sich nichts weiter hinter dem, was andere von ihm schon sahen, wenngleich er bereits seit dem ersten Tag hier, jede Finesse kannte, seinen neuen Alltag schnell zu überstehen.

Er wollte nicht mürrisch, wie die Dienstältesten hier durch die Gänge ziehen, nicht jeden Gang schon am Geruch erkennen und doch, wollte er so lange wie nur möglich hierbleiben. Im städtischen Krankenhaus, dort, in seiner neuen Anstellung.

„Wenn es mir zu viel wird, gehe ich immer raus zu meinen Vögeln und beobachte sie. Das gibt mir die Ruhe zurück, wenn es mir hier zu viel wird.", erzählte der Schichtleiter nach dem letzten Rundgang. Klaus war neu im Krankenhaus für den Patiententransport angestellt.

Er war nun dafür verantwortlich, dass Menschen von einem Ort im weitläufigen Hospital, zum anderem kamen. So wie es einer Person nicht mehr möglich war, übernahm er. Er war ihr Lotse, ihre Beine, ihre Stütze. Meistens transportierte er noch viel mehr als nur eine Person. Er beförderte Geschichten, er karrte Emotionen, er verfrachtete mit jedem einzelnen Schritt, was dem Menschen ausmachte mit. Im übertragenen Sinne war es meist auch das, eine Beförderung dessen, was eine Person in ihrem Sein um sich mitbrachte.

„Vögel beobachten? Klingt interessant", konterte Klaus, auch wenn er es alles andere als interessant fand. Was wollte sein neuer Vorgesetzter ihm damit sagen? Das etwas für ihn Langweiliges ausgerechnet ihm die Ruhe bringen sollte, die er seit Monaten nicht mehr mit sich trug?

Aber was sollte er seinem Chef schon erklären was soll der ihm sagen, dass die Menschen nun einmal unterschiedlich sind und seine Ratschläge ihm nichts bringen würden, wie einem Kind? Nein es war sein Leiter. Klaus setzte also ein Lächeln auf und bedankte sich für den weisen Rat. Sie redeten noch eine Weile über gute Plätze, an denen man Vögel treffen konnte und Klaus, obwohl er noch nie in seinem Leben einen Vogel mehr beobachtet hatte, als er sie am Himmel vorbeifliegen bemerkte, stimmte begeistert zu.

Der letzte Rundgang war beendet und Klaus wollte schon nach Hause gehen, da wurde er von der Station zurückgerufen. Er war der Neue, was sollte er schon machen? Sollte er zurückrufen: »Nein, ich bin seit zwei Minuten außer Dienst, sucht euch jemand anderen!«

Er war der andere, der gesucht wurde, weil schon alle außer Dienst waren. Er war der Neue er musste ran. Auf der Station angekommen, wusste er, warum sonst niemand mehr zu erreichen war, beziehungsweise warum die, die gerade zur Nachtschicht gekommen waren, noch nicht verfügbar waren.

Eine schreiende und fluchende Frau stand vor ihm. Klaus schwante Übel.

Die Frau hatte sechs Taschen bei sich: Drei zu ihrer rechten und drei zu ihrer linken Seite.

»Ist das alles?«, fragte er mehr ironisch im Wunsch, keine weitere Tasche gezeigt zu bekommen.

Für was eine einzelne Frau sechs Taschen für einen Krankenhausaufenthalt brauchen würde, hätte er auch nicht wissen wollen, wenn die Frau es freundlich erzählt hätte.

Am ersten Arbeitstag hier, hatte er gelernt, dass man besser nicht nachfragt. Man fragt nicht nach, wie lange bleiben Sie? Was haben Sie, oder gar, ist es schlimm? Nein, denn mit der Antwort will man in keine Diskussion eintreten. Er wollte für die Menschen da sein und mit ihnen sprechen, aber nicht auf der Ebene eines Gesprächspartners gestellt, leer Fragen beantworten.

Was sollte er in den jeweiligen Kontexten schon antworten? Ja Ihre Krankheit ist schlimm, aber ich kenne mich ehrlich gesagt überhaupt nicht aus. Dies wäre ehrlich, aber würde ihn wohl zu den Vögeln seines Vorgesetzten bringen, würde ihm wohl Unruhe bringen. Dies ist ein Krankenhaus, für Klaus ein Ort der Kompetenz. Ein geschützter Rahmen zur Heilung, zur Antwort, zur Lösung. In ein Krankenhaus wollte Klaus keine inkompetente Antwort geben, obzwar er wusste: Das Nichtwissen zuzugeben, zeigt erst recht die wahre Kompetenz. Zu wissen, wie weit der eigene Horizont reicht, wird nur vom Fassbaren übertroffen: In der Verantwortlichkeit des eigenen Bereichs.

LyrikskramgeschichtenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora